Kapitel 23

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PoV Taddl

Ich war in einem Loch versunken. Ich distanzierte mich von allem.
Doch umso länger ich allen fernblieb, desto schlechter ging es mir.
Ich war ein Wrack.

Ardy war Tag und Nacht bei mir, das half ein wenig.
Aber man kommt nur mit Hilfe des Fallenbauers wieder aus einer Falle heraus.

"Ardy", flüsterte ich, während er einen Arm um meinen Bauch gelegt hatte.
"Ja?" Er sah mich erwartungsvoll an.
"Wir werden übermorgen entlassen. Wo sollen wir hin? Ich will nicht zu meiner Mum..", sagte ich leise und unsicher.
"Hast du denn... noch andere Verwandte? Onkel, Tante, Großeltern?"
"Ja, zu meiner Oma könnten wir, die frag ich dann gleich. Aber hey, sag mal: Warum denken eigentlich alle Ärzte, dass du dann einfach nach Hause gehst? Ich dachte, Doktor Ericht weiß, dass du keine Bleibe hast?"

Ardy verzog seinen Mund, es war offensichtlich für ihn selbst schwer zu verstehen.

"Also, die hatten keine Adresse bei mir eingetragen. Das war auch als ich denen gesagt hab', dass ich keine Bleibe hab'. Und dann hat sich das Amt nochmal gemeldet, weil die meine Adresse gefunden haben..", erklärte er langsam.
Ich brachte nur ein "Achso" heraus, weil ich so in meinen Gedanken versunken war. Ich überlegte, was wohl jetzt die beste Möglichkeit wäre.

Ich strich mit einer Hand über seinen Kopf.
"Ich find' schon was und du au- Nein, wir finden was", flüsterte er und drückte mir einen Kuss auf die Stirn.

Das wir tat so unglaublich gut. Ich war nicht allein. Es gab keine einsame Zukunft mehr für mich. Es ist jetzt unsere Zukunft. Unser. Uns. Wir. Gemeinsam.

Ich schnappte mir mein Handy und wählte die Nummer meiner Oma. Erst die Vorwahl, dann die vierstellige Telefonnummer. Wie lange sie die Nummer schon haben musste, dass sie nur 4 Stellen hatte.
Es wählte nicht lange und schon hob sie ab.

"Thaddeus!! Wie geht es dir?", rief sie euphorisch.
"Hey Oma. Geht, ganz gut, bin noch im Krankenhaus."
"Im Kra- was ist passiert?"
"Passt schon wieder. Ich hätte 'ne andere Frage..."

Ardy sah mich erwartungsvoll an. Mit seinen Lippen formte er das Wort "bitte!"

"Was gibt es Spatzi?", fragte sie.
Als Ardy fett grinsen musste, wusste ich, dass er jedes Wort hörte, das sie sagte.
"Also, ähm. Können Ardy und ich ab übermorgen ein paar Tage zu dir? Vermisse dich auch schon so!"
"Wer ist denn Ardy?", fragte sie verwirrt.

Er schüttelte schnell den Kopf und fuchtelte wild mit den Händen. Ich verstand aber was er meinte.

"Mein Fr- also Kumpel."
"Achso, na klar, komm doch zu mir!! Du weißt, meine Tür steht immer offen für dich!"
"Danke Oma, ich ruf dich dann nochmal an"
"Ok. Wir hören uns, tschü-huus!"
"Tschüss, Oma!"
"Tschau."
"Tschüss"
"Tschüss"

Man, sie musste immer die letzte sein, die sich verabschiedete. Als Kind habe ich das Spiel 10 Minuten lang mit ihr gespielt.
Aber ich liebte sie dafür.

Als ich aufgelegt hatte, lächelte Ardy zufrieden. Wir gaben uns die bro-fist und lachten.

Ich wurde aber mit jeder Minute aufgeregter vor der Reaktion meiner Oma.

PoV Ardy

Die letzten Stunden hatte er mich mehr gebraucht als jemals zuvor. Das Ganze war ziemlich eigenartig, da ich nicht einmal Eltern hatte. Aber für mich war es mittlerweile normal geworden, ich hatte mich mit dem Gedanken angefreundet.
Für ihn war es ein Schock. Er kommt aus einer Perfektfamilie. Er, glücklich zuhause mit der alleinerziehenden Mutter. Jetzt war sie weg.

Ich hoffte so sehr, dass wir bei seiner Oma eine Bleibe finden würden. Hoffentlich hat Helena ihre Homophobie nicht von ihr.

Ich drückte Taddl fest an mich und schlief irgendwann ein. Ich träumte von meiner Kindheit.

"Papi, Papi!", rief ich als die Haustür aufging. Mit drei schweren Tüten bepackt betrat er unser selbstgebautes Holzhaus.
Es war nicht das modernste, aber wunderschön. Und ich liebte die blauen Fenster. Die hatte ich früher auch mit Papa angemalt.
Ich sprang vom Sofa auf und lief ihm in die Arme. Er nahm mich mit Leichtigkeit hoch und drückte mich fest an sich.
"Hab' dich vermisst, du kleines Würmchen!", rief er mir zu.
Ich glaube, zu dem Zeitpunkt war ich 5 Jahre alt.
Ich nahm ihn an der Hand und rannte auf die Terrasse heraus, um ihm mein selbstgebautes Schiff zu zeigen. Es war aus Ästen und nicht sehr stabil, aber für meine Fantasiewelten war es mehr als ausreichend. Ich wollte ihm zeigen, wie ein tapferer Pirat die starken Wellen der See überwand, aber er hörte mir gar nicht zu. Er ging an das andere Ende der Terrasse und rauchte. Eine nach der anderen. Da war er wieder, mein Vater in seinem alten Muster.
Er würde sich nie ändern.
Ich rannte in das obere Stockwerk, nahm mir ein weißes Blatt aus dem Drucker und bunte Malkreiden.
Auf den Zettel schrieb ich:
'Annti Rauch Gutschain
Ainlößen bis: fraie Wal'
Ich mochte nicht, dass er rauchte. Und auch nicht dass er trank. Also schrieb ich ihm auch einen Anti-Trink-Gutschein.
Ich faltete die beiden Papiere zusammen und legte sie ihm auf sein Bett.
Dann verschwand ich wieder in meinem Zimmer und hoffte auf eine Veränderung. Eine Besserung.
"Vielleicht wird es endlich normal", flüsterte ich noch.

Dann wachte ich auf. Taddl lag in meinen Armen und sah mich verschlafen an.
"Was ist los?", gähnte er.
"Hab' nur geträumt."
"Was hast du geträumt?", fragte er interessiert und setzte sich aufrechter.
"Ich hatte ne Erinnerung. Ich hab' meinem Vater früher immer Anti-Rauch und -Trink Gutscheine geschenkt. Er hat sie nie eingelöst."
Taddl lachte.
"Ich finde das ehrlich gesagt eher traurig..", sagte ich bedrückt und er stellte sein Gekicher sofort ein.
"Tut mir leid", flüsterte er und nahm mich in den Arm.

"Es ist noch riiichtig früh, schlafen kann ich nicht mehr. Wollen wir ein paar neue Räume ausfindig machen?", schlug er vor.
"Au ja!", rief ich und sprang auf. Ich liebte es, einfach nur herumzulaufen. Das würde mich ein bisschen ablenken.

Wir fanden eine Bibliothek, von der wir beide nichts wussten. Wir wussten danach wo die Kinderspielecke war und wo es zur Intensivstation ging.

Wir waren den ganzen Tag bis Abends herumgelaufen. Auf einmal hörten wir Musik von draußen.
"Ey, ey, das ist doch Filistine? Hab das schon voll vergessen, dass die heute spielen", rief ich ihm entgegen, während er sich schon Richtung Ausgang bewegte. Mit einer kurzen Handbewegung machte er mir deutlich, dass ich ihm folgen sollte. Schnell rannte ich ihm hinterher.

Kaum ging die Tür auf, wurde es um einiges lauter. Die Verstärker waren auf volle Lautstärke. Und es machte Spaß.

In der Ecke standen einige gefährlich aussehende Männer mit Lederjacken und Nietenschmuck, der eine winkte uns mit seinem Motorradhelm in der Hand zu sich.
Unsicherheit durchströmte mich. Ich sah hoch zu Taddl, doch er schien sie nicht zu bemerken. Ich schüttelte den Kopf in deren Richtung und wandte mich ihnen ab. Ständig bekam ich Gänsehaut, wenn ich an sie denken musste.
Wie sollte ich unseren letzten Abend hier in Ruhe genießen?

Taddl schnappte meine Hand und führte mich gottseidank ans andere Ende der Bühne. Die Jungs machten echt Party. Genau mein Musikgeschmack.

Wir setzten uns auf eine Bank und ich lehnt mich an seine Schulter.

"Morgen gehen wir erstmal zu mir, holen Sachen und dann geht's zu Oma", beschloss Taddl.
"Gott, dann ist das morgen ja voll der Stress..."
"Das schaffen wir schon", rief Taddl durch die Lautstärke der Musik.

Ja, das schaffen wir.

WIR.


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Tut mir leid, dass so lange nichts kam, wir sind umgezogen und ich hatte schlechtes Internet. Jetzt kommt wieder öfter was! Als Entschädigung gab es jetzt ein langes Kapitel mit 1200 Wörtern haha

One wall between us ~ Tardy FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt