Kapitel 6

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Es klopft an meiner Tür. Nina muss sich angezogen und fertig für das Frühstück gemacht haben. Da ich aufgrund meines Versuchs mit dem Element Geist schon vorher wusste, dass meine Mentorin wach ist, habe auch ich mir ein Kleid übergezogen und mich bereit gemacht. Deshalb können wir sofort los.

Wir sitzen am Tisch des Speiseraumes, als es draußen plötzlich laut wird. Zunächst verstehe ich nicht, was die Leute rufen. Dann aber höre ich, wie ein Bote auf einem Pferd vorbeireitet und einem Mann zuruft, dass Ramon von der königlichen Garde gefangen genommen wurde.

„Ramon wurde gefangen genommen?", frage ich Nina. „Ich muss ihm helfen!"

„Du?", meint meine Mentorin skeptisch. „Du bist erst zwei Tage hier. Außerdem wissen wir noch gar nicht, was passiert ist."

„Komm, wir gehen zum Vorsitzenden, der muss informiert sein", sage ich entschlossen.

Bei diesen Worten stehe ich auch schon auf und ziehe Nina am Arm mit hoch. Ich schaue sie so flehend an, dass sie nachgibt und mir nach draußen folgt. Ohne ein Wort zu verlieren, eile ich zum Haus des Vorsitzenden, wo sich bereits eine Traube aus Leuten gebildet hat. Pupso steht im Türrahmen und drum herum zahlreiche Männer.

Ich kann von hinten aus nicht viel hören oder sehen. Deshalb zwänge ich mich durch die umstehenden Leute nach vorne und ernte immer wieder missbilligende Blicke. Doch das ist mir egal. Ich will wissen, was mit Ramon ist. Bevor ich in der Menschentraube verschwinde, erhasche ich noch einen Blick auf meine Mentorin, die mehr als unglücklich dreinschaut. Ich fürchte, sie hat sich meine Betreuung auch leichter vorgestellt.

„Wir können Ramon nicht hängen lassen", meint einer der Männer. Ich kenne ihn nicht.

„Wir haben keine Wahl. Oder sollen wir das Mädchen gegen ihn eintauschen? Was soll dann aus der Prophezeiung werden? In dem Fall hätte die Welt von Anfang an schon verloren und Ramons jahrelange Bemühungen, sie in Sicherheit zu bringen, war umsonst", antwortet der Vorsitzende entschlossen.

„Es muss doch noch eine andere Lösung geben", ruft ein anderer.

„Wir sollten eine Sitzung des Rates einberufen. In einer halben Stunde im Versammlungssaal", meint Pupso.

„Moment", rufe ich nun dazwischen. „Wer ist dieses Mädchen und was hat es mit der Prophezeiung zu tun?"

Ich frage das, obwohl ich bereits stark vermute, dass es sich dabei nur um mich handeln kann. Warum sonst, sollen sie so viel Aufhebens um mich machen und mich so lange beobachten und dann retten lassen.

„Äh, das tut hier nichts zur Sache", versucht der Vorsitzende meiner Frage auszuweichen.

„Ich denke schon, dass es das tut. Bin ich es?"

Ich sage dies sehr entschlossen und höre, wie einige um mich herum überrascht Luft holen. Alle schauen gebannt zum Vorsitzenden.

„Sag es ihr doch", ruft ein jüngerer Mann. Ich schätze ihn auf Mitte Zwanzig.

„Sigur!", ruft der Vorsitzende tadelnd.

„Was denn? Früher oder später kommt sie doch drauf."

„Ja, gut, du bist es", bestätigt der Vorsitzende nach einer kurzen Pause. Es ist mehr als offensichtlich, dass es ihm schwerfällt, mir das zu sagen.

„Dann sollte ich an der Sitzung teilnehmen. Schließlich geht es um mich", sage ich bestimmt.

„Keine Angst, wir werden dich nicht ausliefern", versucht der Vorsitzende mich zu beruhigen.

„Und wenn ich will, dass ihr mich gegen Ramon austauscht?"

Nun geht ein Raunen durch die Anwesenden. Sie schauen mich plötzlich anders an, so als könnten sie nicht glauben, was ich gerade gesagt habe.

Legenda MajorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt