Kapitel 2

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Es war einmal eine Prinzessin. Sie hieß Aurora, lebte im Schloss ihrer Eltern und sollte eines Tages ihrem Vater auf den Thron nachfolgen. Doch so märchenhaft, wie es zunächst klingen mag, war ihr Leben nicht. Sie wurde von Hoflehrern auf das Leben als künftige Monarchin vorbereitet. Dabei hatte sie kaum Zeit für sich, der Tag war straff durchgeplant. Schon als kleines Mädchen stand sie unter enormem Druck.

Aurora wäre oft viel lieber ein ganz normales Mädchen gewesen, dann hätte sie mit Freundinnen spielen können oder im Garten herumtollen. Doch das blieb ihr in all den Jahren stets verwehrt. Stattdessen musste sie Fächer wie Etikette, gepflegte Konversation, Anstand, Benehmen, Verhandlungstaktiken, Kriegsführung und noch einiges mehr lernen. Alles Dinge, von denen nicht einmal ein normaler Erwachsener eine Ahnung hat, geschweige denn ein Kind.

Trotzdem nahm Aurora ihr Schicksal geduldig an. Sie murrte nur heimlich und niemand ahnte auch nur ansatzweise, wie unwohl sich das Mädchen in Wirklichkeit fühlte. Sie war inzwischen schon fast 18 Jahre alt und bereits eine junge, ausgesprochen schöne Frau.

Ihr war allerdings in den letzten Wochen aufgefallen, dass ihr Vater zunehmend nervöser und angespannter wurde. Sie spürte, dass etwas in der Luft lag. Aber keiner wollte ihr verraten, was vor sich ging und wovor ihr Vater eine solche Angst hatte.

Ein Märchen, echt jetzt? Und dann so ein Trara am Anfang. Das Einzige, was mich neugierig macht ist, dass die Prinzessin gleich heißt, wie ich: Aurora. Vermutlich ist das auch der Grund, warum ich weiterlese. Entgegen meinen ersten Erwartungen verliere ich mich schon bald in der Geschichte und es kommt mir so vor, als wäre ich selbst die Prinzessin. Es fühlt sich so unglaublich real an, als würde ich selbst durch die Gänge des Schlosses laufen und finde mich sehr schnell mitten in der Geschichte wieder:

Ich eile den Gang des Schlosses entlang. Ich bin etwas spät dran, weil die Hofdame, die mir das Tanzen beibringt, die ihr zustehende Zeit überzogen hat. Ausgerechnet Lord Merinor, mein Lehrer für Etikette, wartet bereits auf mich, für die nächste Unterrichtsstunde. Auch, wenn es nicht meine Schuld ist, dass ich nicht rechtzeitig weggekommen bin, wird es ein Donnerwetter geben. Ich höre ihn schon sagen: Man muss dafür Sorge tragen, dass der Lehrer pünktlich aufhört. Du bist die zukünftige Königin dieses Landes und musst den nötigen Respekt ausstrahlen, wird er wieder einmal brüllen. Als ob die alte Hofdame Purrier sich von mir etwas sagen lassen würde.

Ich bin in meine Gedanken vertieft, da tritt mir ganz unverhofft ein Hauptmann der königlichen Garde in den Weg. Hinter ihm stehen fünf seiner Männer. Ich kenne den Mann. Er ist sehr gewissenhaft und loyal. Auf mich hat er immer einen guten Eindruck gemacht.

„Was ist los, Hauptmann Samon?", frage ich überrascht.

Es ist äußerst ungewöhnlich, dass sich mir Wachen direkt in den Weg stellen. Normalerweise würden sie sich ehrfürchtig an die Wand drücken und den Kopf neigen, um mich vorbeizulassen.

„Prinzessin Aurora, Ihr schwebt in großer Gefahr. Bitte folgt mir", sagt er nur.

„In Gefahr, ich? Wie das denn?"

„Ich habe von Plänen erfahren, dass Ihr gemeuchelt werden sollt."

„Und was sagt mein Vater dazu?"

„Er hält es für ein Gerücht."

„Und nun wollt Ihr mich in Sicherheit bringen", sage ich nachdenklich.

„So ist es."

„Auf eigene Faust?"

„Ja, sozusagen."

„Und warum soll ich Euch mehr vertrauen als dem Urteilsvermögen meines Vaters?"

„Ich bitte Euch darum, Prinzessin."

Legenda MajorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt