„Aufstehen!", ruft eine durchdringende Stimme. „Ihr Schlafmützen!"
Wie bereits gestern, schrecke ich aus dem Schlaf hoch und muss mich für einen Moment orientieren. Als ich sehe, dass der Kommandeur der Garde persönlich vor der Zelle steht, wir mir klar, was nun ansteht.
„Das Grauen persönlich!", sage ich.
Sein missbilligendes Prusten zeigt mir, dass es ihm nicht passt, dass ich ihn beleidige. Aber mehr scheint ihn zu ärgern, dass wir schon wieder Möbel in unseren Zellen haben und Sigur sich auch heute in der Zelle neben mir befindet.
„Wie macht ihr das?", faucht er. „Das kann doch nur Magie sein. Aber jetzt ist das auch egal. Damit ist bald Schluss! In gut einer Stunde werdet ihr hängen und dann ist das Problem endgültig gelöst."
Sein gehässiger Unterton zeigt mir, dass er sich fürchterlich über uns ärgert. Er ist auch froh, dass wir bald hingerichtet werden und er sich danach nicht mehr mit uns herumschlagen muss.
Während uns wieder Ketten angelegt werden, kommt mir wieder mein Traum in den Sinn. Dabei fällt mir auf, wie real sich dieser angefühlt hat und erneut kommen mir die Schuppen in den Sinn. So etwas kann doch nicht möglich sein?
Gestern war mein Geburtstag! Was ist, wenn sich mit der Vollendung meines 18.Lebensjahres alle meine Kräfte zeigen? Ist es zu anmaßend, zu glauben, ich könnte nicht nur alle fünf Elemente beherrschen, sondern mich auch in einen Drachen verwandeln? Vermutlich schon.
Unter starker Bewachung werden wir aus dem Kerker, aus dem Schloss und hinaus aus der Stadt geführt. Vor dem Eingang zum Kerker warten der Kämmerer und mein Vater, der König. Er scheint auch heute massiv unter Drogen gesetzt worden zu sein. Sie reihen sich zusammen mit weiteren Zuschauern hinter uns in eine Art Prozession ein. Vor dem Schlosstor warten weitere Würdenträger des Reiches und ziehen ebenfalls mit uns mit in Richtung des Platzes, an dem die Hinrichtung stattfinden wird.
Ich kenne den Ort. Es ist ein Hügel, etwas außerhalb der Stadt. Er ist eigentlich recht idyllisch gelegen und ich habe mich schon als Kind immer gefragt, warum ausgerechnet dieser malerische Platz gewählt wurde, um die Hinrichtungen zu vollstrecken.
Vor dem Schlosstor erwarten uns die normalen Bürger. Eine Hinrichtung ist immer ein großes Spektakel, das sich keiner entgehen lassen will. Auch sie reihen sich am Ende des Zuges ein, der damit immer länger wird.
Auf dem Weg zum Hügel, an dem ich schon aus der Ferne eine kleine Bühne entdecke, auf der der Galgen steht, an dem zwei Schlingen baumeln, versuche ich noch einmal in mich zu gehen. Ich will versuchen herauszukriegen, ob sich meine Magie verändert hat.
Ich kann noch immer den mehrfarbigen Strang erkennen. Er scheint noch dicker und noch energiegeladener zu sein als zuvor. Ich erkenne die einzelnen Fäden, aus denen er sich zusammensetzt. Ich sehe die Farben rot, gelb, blau, grün, golden und schwarz.
Moment! Was? Schwarz? Was ist das denn bitte? Ich betrachte diesen Faden genauer. Er ist dicker und offenbar mächtiger als alle anderen. Zudem ist er auch nicht so einheitlich in der Färbung. Mir kommt es so vor, als wäre dieser Faden geschuppt.
Mein Gott! Kann es sein, dass dies meine Fähigkeit zur Gestaltenwandlung ist? Aufgeregt schaue ich mich um und überlege hektisch, wie ich mich verhalten soll. Mir fällt wieder der Traum ein. Es wäre doch eine gewaltige Demonstration von Macht, wenn unsere Flucht tatsächlich so ablaufen würde, wie ich sie geträumt habe.
Eine riesige Unbekannte bleibt jedoch. Kann ich wirklich schon beim ersten Verwandlungsversuch aufs Ganze gehen? Was, wenn es nicht klappt, wenn ich kein Drache, sondern eine mickrige Eidechse bin?
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Legenda Major
FantasyEine junge Frau liest ein Buch und taucht dabei in eine magische Welt ein