chapter 38: Der Junge aus dem Wald

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Ich wurde in einem kleinen Dorf im Wald geboren. Meine Geburt wurde einem Fluch gleichgesetzt. Zwei verschiedene Augenfarben zu besitzen war anscheinend unnatürlich. Mein Vater, meine Geschwister und meine Großeltern mieden mich, als das restliche Dorf von meiner Geburt erfuhr, distanzierten sich auch die restlichen Bewohner von mir, nur meine Mutter blieb die ganze Zeit an meiner Seite. Sie war eine wunderschöne Frau mit langen dunkelbraunen Haaren und giftgrünen Augen. ,,Höre nicht auf die anderen Yuuki, du bist ein wundervolles Kind. Die Menschen haben nur Angst vor Sachen, die sie nicht kennen." Das sagte sie zu mir als ich acht Monate alt war. Erstaunlicherweise erinnerte ich mich an alles aus meiner Kinder- und Babyzeit, ja sogar an die Zeit vor meiner Geburt konnte ich mich perfekt erinnern. Ein gewöhnliches Kind war ich bei weitem nicht. Mit zwei Jahren konnte ich perfekt lesen, schreiben und sprechen. Während meine Mutter mich in den höchsten Tönen lobte, hielten mich alle anderen noch weiter auf Abstand. Mit vier konnte ich sogar Werkzeuge und andere Sachen selber herstellen. Mit meinen Erfindungen versuchte ich den Dorfbewohnern ihr Leben irgendwie zu erleichtern, doch bei jeder meiner Erfindung sahen sie mich nur angewidert an als wäre ich eine Krankheit. Später zerstörten sie sogar meine Erfindungen und bewarfen mich mit Steinen. Als ich kurz vor meinem sechsten Geburtstag mit einem geprellten Arm nach Hause kam, platze meiner Mutter nun endgültig der Kragen. Sie ging wütend zum Dorfältesten, welcher sich vor der Kirche mit dem Priester unterhielt, um sich persönlich zu beschweren. Diese jedoch hatten die gleichen Ansichten wie die restlichen Dorfbewohner. Sie betitelten mich als "Sohn des Teufels". Meine Mutter wurde immer lauter und lauter, wodurch immer mehr Leute zum Platz kamen, um sich das Geschehen anzusehen. Als sie dann bemerkten, dass die Frau da meine Mutter war, wurden sie wütend und gingen auf sie los. Sie warfen sie zu Boden, traten ihr in den Unterleib, in den Magen, ins Gesicht und prügelten solange auf sie ein, bis sie bewusstlos wurde. "Du hast einen Teufel geboren!", "Jetzt kannst du keine Teufel mehr in die Welt setzen!" und "Dumme Schlampe, du solltest sterben." riefen sie ihr entgegen. Aus dem Fenster in meinem Zimmer beobachte ich alles. Ich musste mit ansehen, wie die Bewohner meine Mutter nicht nur grün und blau schlugen, sondern sie danach sogar lebendig verbrannten, es war eine Qual. Meine Familie stand ebenfalls draußen und sahen alles mit an. Sie sagten nichts, sie griffen nicht ein, sie verzogen nicht mal eine Miene, sie nahmen es einfach hin. Als sie dann wieder ins Haus kamen, rannte mein Vater die Treppe zu meinem Zimmer hoch, trat mich gegen die Wand und prügelte auf mich ein. ,,Sohn des Teufels! Du bist schuld an den Tod meiner Frau! Wärst du bloß niemals auf die Welt gekommen! Du verfluchst unsere Familie du Abschaum!" Er packte mich, zog mich aus meinem Zimmer und warf mich in den Keller, welchen er abschloss. Vier Tage war ich dort unten eingesperrt, ohne Essen, ohne Wasser, ohne Licht. Am Tag meines sechsten Geburtstag öffnete sich die Tür vom Keller. Meine Augen brauchten erst einige Minuten, um sich wieder an das Licht zu gewöhnen. Der Prieser sah mich von der Tür aus angewidert an. ,,Yuuki Kawanami, Sohn des Teufels, heute an deinem sechsten Geburtstag verweise ich dich des Dorfes. Nur weil du noch ein Kind bist, lassen wir dich lebend ziehen, solltest du dich aber wieder dem Dorf nähern, werden wir nicht zögern und das Todesurteil vollstrecken." So kam es also dazu, dass ich an meinem sechsten Geburtstag aus meinem Heimatdorf vertrieben wurde. Die ersten zwei Tage im Wald waren der Horror. Wildtiere hielten mich über Nacht wach, mein einziges Trinkwasser hatte ich von einer Pfütze und ich schaffte es einfach nicht, ein Tier zu jagen. Am dritten Tag fand ich endlich einen Teich, woraus ich richtig trinken konnte. Die wenigen Fische, die friedlich im Teich schwammen, fing ich und aß sie über einem Lagerfeuer. Nach und nach wandte ich immer mehr von meinem erlesenem Wissen an. Anstatt zu jagen, pflückte ich lieber nicht-giftige Beeren und Pilze, stellte mir meine eigenen Werkzeuge aus Stein und Holz her, so wie ich es damals im Dorf gemacht hatte und baute mir ein kleines Baumhaus, um mich vor Witterung zu schützen. Das alles schaffte ich in meinen ersten zwei Wochen. Nun hatte ich mich also ausgesorgt mit Essen, Trinken, einem Haus und noch einiges mehr, doch relativ schnell wurde mir langweilig. Ich fing also an, den Wald genauer zu erkunden. Einmal wurde ich fast von einer giftigen Schlange gebissen, ein anderes Mal wäre ich beinahe in einem Fluss ertrunken, ich hatte tatsächlich vergessen, dass ich gar nicht schwimmen konnte, weshalb ich es mir selber beibrachte. Schnell gingen drei Monate vorbei und noch immer konnte ich nichts gegen meine Einsamkeit unternehmen, weshalb ich einen imaginären Freund erschuf. Ich stellte mir einen tapferen Soldat vor und taufte ihn Takeru. Je öfter ich mich mit Takeru unterhielt, desto klarer sah ich seine Person  vor meinen Augen. Als weitere drei Monate vergangen waren, sah ich ihn bereits wie jeden normalen Mensch. Oft vergaß ich, dass Takeru ja nur in meinem Kopf existierte. Eines Tages brachte mir Takeru den Umgang mit einem Messer bei, welches ich mir vorher gebastelt hatte. Zwar fand der Unterricht nur in meinem Bewusstsein statt, doch danach konnte ich alles, was er mir gezeigt hatte, perfekt ausführen. Durch sein Training schaffte ich es auch endlich, Tiere zu jagen und Fleisch zu essen. Auch beim Bauen meines kleinen Hauses half mir Takeru weiter. Immer besser kam ich mit dem Leben im Wald klar und eh ich mich versah waren bereits ganze zwei Jahre vergangen. Als ich eines Tages wieder zum Teich ging, um zu angeln, hörte ich die Geräusche einer Kutsche. Ich folgte den Geräuschen und kam an einer Waldstraße raus, tatsächlich war dort eine Kutsche mit einigen Händlern. Ich beschloss, mir etwas Proviant von ihnen zu stehlen und schlich mich auf die Kutsche, wurde jedoch relativ schnell entdeckt. Die Erwachsenen sahen mich verwirrt an und stellten mir einige Fragen. Sie waren anscheinend sehr begeistert von mir. Ich zeigte ihnen auch einige meiner Tricks mit dem Messer und führte sie durch mein Haus. Das erste Mal seit langer Zeit hatte ich wirklich das Gefühl, wieder als Mensch gesehen zu werden. "Willst du nicht mit in unser Dorf kommen? Ich wollte schon immer einen Sohn haben." Diese eine Frage werde ich nie vergessen, denn sie veränderte mein Leben komplett.
Nun so kurz vor meinem Tod zog also nochmal meine ganze Vergangenheit vor meinen Augen vorbei ja? Ich hätte gerne noch etwas länger an Jishinos und Soutas Seite gekämpft, aber anscheinend bin ich dazu nicht bestimmt. Jishino, Souta, eines Tages werden wir uns wiedersehen...

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