Kapitel 5 - Das Treffen

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Meinem Fuß ging es dank Isabellas guter Pflege schon wieder besser. Er tat so gut wie nicht mehr weh, war aber mittlerweile in einem hellen Grün und in Gelbtönen gefärbt. Viel Make- Up zum Überschminken der sonstigen Wunden und blauen Flecken benötigte ich auch nicht mehr.

Ich saß am Fenster und begutachtete die vorbeilaufenden Menschen auf der Straße, bis ich wieder auf die Uhr schaute.

Sie ließ mich schon eine halbe Stunde warten... Langsam war ich enttäuscht, denn ich war nach der Schule extra in die Stadt gefahren um Melanie zu treffen. Der Kellner des Cafés brachte mir bereits den zweiten Cappuccino, denn auch wenn der frisch gemahlene Kaffeegeruch meine Geruchsnerven umspielte, gefiel er meinen Geschmacksknospen eher weniger.

Als ich gerade gehen wollte, sah ich sie doch noch durch die Tür kommen. Sie schaute sich etwas verunsichert um, also winkte ich sie zu mir. Sie setzte sich neben mich und wirkte noch völlig verstört. Ich begrüßte sie freundlich, doch darauf ging sie nicht ein.

Ihre Finger zitterten, als sie ein verblasstes Passfoto aus ihrer Geldbörse zog. Darauf war ein junger Mann mit markantem Gesicht und einem Irokesenschnitt abgebildet, der schätzungsweise wie Mitte zwanzig aussah. Ich kannte ihn nicht und fragte deshalb:

"Was hat es mit dem Bild auf sich? Wer ist das?"

Mir fielen ihre fettigen Haare und ihre ungepflegte Kleidung auf. Wahrscheinlich war sie wirklich obdachlos, so wie es mein Vater es vermutet hatte. Sie antwortete nur fetzenhaft:

"Adrian... Ist weg."

Was für ein zusammenhangsloses Zeug erzählte sie mir da?

War sie nur irgendeine Spinnerin?

Ich startete einen Versuch es herauszufinden, da sie mein einziger Anhaltspunkt war:

"Wer ist Adrian? Hat er dir das angetan?", fragte ich.

Sie schaute mich verwirrt an und schüttelte dann heftig den Kopf.

"Er würde mir niemals etwas antun!"

Hatte das Treffen überhaupt einen Sinn?

"Ist er dein Freund? Wieso ist Adrian weg?", setzte ich erneut an.

"Nein. Er ist mein Bruder. Ich war mit ihm unterwegs an dem Abend... Nachdem er sich mit seiner komischen Gruppe getroffen hat, kam er mich abholen. Wir sind zu zweit allein. Leben in der Gosse. Sind der Abschaum der Gesellschaft. Aber wir halten zusammen. Passen aufeinander auf. Haben wir zumindest... jetzt ist er weg!"

Ihre Augen wurden glasig, doch sie versuchte ihre Tränen zurückzuhalten, was ihr sichtlich Mühe bereitete.

"Jetzt bin ich allein. Habe ihn überall gesucht. Seine falschen Freunde helfen mir auch nicht!", sagte sie.

Der Kellner kam und fragte Melanie, was sie trinken wollte. Sie schüttelte nur den Kopf. Ich bestellte ihr einen Kaffee und als der Kellner wieder gegangen war, bohrte ich weiter:

"Er hat dich abgeholt und dann?"

"Adrian wollte uns was zu essen besorgen. Er lief einer dunklen Gestalt hinterher. Es war ein Mann, sah aus wie der Teufel höchstpersönlich. Ich hatte ein schlechtes Gefühl, hielt ihn fest und wollte ihn abhalten. Er riss sich los und bedrohte den Mann mit einem Messer. Es klingt vielleicht rabiat, aber er hatte solchen Hunger. Wenn er Hunger hat, brennen seine Sicherungen durch. Er hätte ihm nichts getan... Wollte nur sein Geld... Aber der Mann gab ihm kein Geld, sondern verzog nur seinen Mund zu einem grausamen Lächeln. Ich konnte es mir nicht mehr mit ansehen. Der Mann wirkte so bedrohlich! Ich rannte weg. Die finstere Straße entlang und weiter und weiter in diesen Wald hinein. Ich wusste die Ursache für meine Angst lag bei diesem Mann. Aber warum ich Angst vor ihm hatte, wusste ich nicht. Wäre ich bloß bei Adrian geblieben. Hätte ich gewusst...", sie verstummte und legte ihren Kopf in die Hände.

Mittlerweile hatte der Kellner ihren Kaffee gebracht. Erst hatte sie sich ihre zittrigen Hände an der Tasse gewärmt, nun stand er da und sie rührte ihn nicht an.

"Hast du der Polizei Bescheid gesagt?", fragte ich.

"Die Polizei kann mich mal! Schon seit längerem verschwinden Leute spurlos oder können sich einfach nicht mehr erinnern. Die tun nichts! Alles wird nach einer bestimmten Zeit wieder vergessen. So viel wird verheimlicht. Keiner soll merken, wie machtlos sie sind!", schrie sie.

Der Kellner bat sie zu gehen und Melanie rannte in einer Mischung aus Tränen und Verzweiflung fort.

Der kalte Kaffee stand ungerührt da, ich legte einen Zehneuroschein auf den Tisch und ging. Ich wusste nicht, was ich mir von dem Treffen mitnehmen konnte.

War Melanie glaubwürdig?

Aber welchen Grund sollte sie haben um zu lügen?

Irgendwie tat sie mir auch leid. Es musste was an ihrer Geschichte dran sein. Ich musste nur herausfinden, was und wie das alles in einen Zusammenhang zu bringen war.

Irgendwas stimmte nicht. Und ich wollte alles dafür tun um zu verstehen was das war...

Die flüsternden BäumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt