Kapitel 40 - Der Wald - Vertrauensvoll (Lukas)

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~ Lukas ~

Es gab Abende, da begrüßte mich Mina, indem sie mich als Entführer, Vergewaltiger oder Krimineller beschimpfte. Manchmal sah sie mich auch als Opfer und Gefangener. Um es kurz zusammenzufassen: Allmählich verdrehte mir Mina ganz schön den Kopf. Wenn sie einmal das Böse in mir gesehen hatte, war es schwer, Mina vom Gegenteil zu überzeugen und manchmal war es schier unmöglich, doch in dieser Nacht hatte ich Glück, denn es war die Opferrolle, die sie mir zuschrieb. Nach einer umfangreichen Erklärungsphase schenkte mir Mina ihren Glauben und der heikelste Teil der Nacht war überwunden. Das Eis zwischen uns war gebrochen.

"Warum gehst du eigentlich regelmäßig nachts in den Wald?", traute ich mir schließlich die Frage auszusprechen, die mich schon lange beschäftigt hatte. "Hast du keine Angst, was dich hier erwartet?"

"Am Anfang habe ich mich schon gefürchtet. Ich bin nur hierhergekommen, um das Verschwinden der Menschen und den Grund der Amnesien zu erforschen... Mittlerweile ist es aber nicht mehr der einzige Grund. Irgendwas zieht mich hierher und ich bin jedes Mal unausstehlich, wenn ich mal nicht in den Wald gehen kann. Und meine Angst ist fast vollständig verschwunden", antwortete sie wahrheitsgemäß, was ich deutlich in ihren Augen sehen konnte.

Obwohl mich Mina nicht erkannte und jede Nacht neu kennenlernte, schien ihre Offenheit und ihr Vertrauen gegenüber meiner Person Fortschritte zu machen. Ich konnte es mir nicht erklären.

"Kennen wir uns gut?", fragte sie schließlich.

"Ja, ich denke schon. Wir sind uns zumindest schon lange nicht mehr unbekannt."

Es war gar nicht so einfach einer Person etwas weißzumachen, was sie selbst gar nicht erlebt hatte. Besser gesagt, wenn sie sich nicht daran erinnern konnte. Aber Mina war zumindest ihr Vergessen bewusst.

"Aber wir haben uns doch noch nicht...?", blieben ihr die Worte im Hals stecken.

Ich wusste sofort, was Mina meinte, aber hieß das, dass sie sich vorstellen konnte, mich zu küssen? Irgendwie genoss ich diese Vorstellung.

"Wäre das denn schlimm?", stellte ich grinsend in den Raum.

Mina rang nach passenden Worten:

"Ähm... Ja... Ich meine nein... Ach, keine Ahnung. Ich kann mich ja nicht erinnern! Hat es mir denn gefallen?"

"Hätte es bestimmt."

"H-Ä-T-T-E? Hast du gerade tatsächlich dieses Wörtchen benutzt?", herrschte mich Mina an.

"Wir haben uns nicht geküsst. Aber was nicht ist, kann ja noch werden!", gluckste ich.

Es war eine Schande, dass Mina all diese Situationen wieder vergessen würde. Vielleicht war es aber auch besser so bei meinen Sprüchen. Für diesen erhielt ich jedenfalls einen Klaps auf den Hinterkopf, der jedoch viel zu sanft war, um ernsthafte Reue aufkommen zu lassen.

"Manchmal willst du nicht einmal mit mir reden, also kann von Küssen keine Rede sein, schätze ich", offenbarte ich ihr.

"Oh... Erkläre ich wenigstens, warum ich nicht mit dir sprechen möchte?", fragte Mina.

"Nicht direkt, aber deine Betitelungen als Krimineller, die du mir zuschreibst, geben einen direkten Interpretationsansatz, warum du nicht mit mir kommunizieren möchtest."

Mina schaute beschämt auf den Boden und entschuldigte sich sogleich:

"Das tut mir leid, denn es ist nicht fair, dich als sowas zu bezeichnen."

Die flüsternden BäumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt