Kapitel 18 - Stadtbummel

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Die Schule heute war der Horror gewesen: eine richtig schwere Klausur in Mathematik und zum krönenden Abschluss hatte eine gewisse Mutter vor Publikum mit dem Finger auf mich gezeigt und zu einem anderen älteren Herren gesagt:

"Die haben uns die Beule in unser neues Auto gefahren, die Familie Sommer. Wenn man nicht Auto fahren kann, sollte man es lassen, oder Dieter? Unachtsame Leute gibt es..."

Die Frau schüttelte empört den Kopf und dieser Dieter stimmte ihr nickend zu.

Zu gerne hätte ich etwas gesagt, aber so viel Mut hatte ich dann doch nicht und am Ende hätte sich die Situation dadurch nur zugespitzt. Also hielt ich mich brav zurück, obwohl ich innerlich vor Wut kochte und stieg schnell in Daniels Auto ein. Freitagnachmittags hatte ich öfter mal das Glück nach Hause gefahren zu werden, da Daniel dann meistens das Wochenende zusammen mit Isabella verbrachte und er sie deshalb gleich von der Schule abholte. Isabella brauchte dann nur einmal mit ihren hübschen Augen zwinkern und schon nahm Daniel den kleinen Umweg zu mir auf sich. Dafür gab ich den beiden ab und zu mal ein Eis aus und bedankte mich immer gefühlte tausendmal. Vielleicht war das etwas übertrieben, aber es kam von Herzen.

"Was war das denn gerade für eine Show, die die Frau abgezogen hat? Ich habe gar nichts davon gesehen, dass ihr Auto ramponiert war?", fragte Daniel nach ein paar Metern.

"Meine Mutter hat dem Auto der Frau einen kleinen Stempel mit ihrer Anhängerkupplung aufgedrückt. Du hättest ihn in der Front des Wagens sehen können. Das ist ihr vor ein paar Tagen versehentlich beim Ausparken passiert und die Frau war sehr wütend darüber, dabei hätte sich meine Mutter auch so schon genug geärgert."

Tagelang hatte sie uns noch in den Ohren gelegen und Papa und mir immer wieder vor Augen geführt, wie blöd das mit dem Ausparken gelaufen war, obwohl bereits das Meiste mit der Versicherung geklärt war.

"Die soll sich mal nicht so echauffieren und vor allem hat sie das ja gleich verallgemeinert und eure ganze Familie beschuldigt! Was für eine Frechheit!", mischte sich Isabella ins Gespräch.

"Klar ist es Mist, was passiert ist, aber es hätte auch schlimmer kommen können", sagte ich.

"Auf jeden Fall! Ihr steht wenigstens für euren Fehler ein, aber mir hat ja mal einer die Tür von meinem Auto eingefahren und ist dann einfach abgehauen ohne etwas zu hinterlassen. Das finde ich frech!", sagte Daniel.

Ich erinnerte mich daran, dass mir das Isabella vor ein paar Monaten mal erzählt hatte. Eine Anzeige gegen Unbekannt bei der Polizei hatte nichts gebracht und deshalb hatte Daniel versucht seine Fahrertür zusammen mit seinem Cousin auszubeulen. Dieser schraubte privat gern an Autos herum und hatte sowas wie eine kleine inoffizielle Werkstatt. Die beiden hatten das gut hinbekommen, denn man sah kaum noch etwas, außer einen weißen Lackstriemen als Erinnerung.

"Ach Isabella und Daniel? Ihr fahrt doch jetzt sowieso in die Stadt! Könntet ihr mich und Melanie vielleicht mitnehmen? Ich würde sie dann schnell aus dem Haus jagen und nur fix meine Schultasche abstellen. Wäre das okay?", fragte ich.

Auf jeden Fall brauchte ich nach dem anstrengenden Tag mal etwas Schönes, also warum nicht mal mit Melanie in die Stadt gehen, wenn Daniel und Isabella unter sich sein wollten? Ich hatte Bella bereits davon erzählt, dass ich Melanie von der Straße aufgesammelt hatte. Sie hatte mich erst als völlig durchgeknallt abgestempelt, aber es nach umfassenden Erklärungsversuchen von mir doch noch irgendwie verstanden. Verrückt fand sie es aber bestimmt immer noch, aber so war ich nun einmal und sie kannte mich auch nicht anders. Ob sie es Daniel jedoch schon erzählt hatte, wusste ich nicht. Er würde es aber ohnehin irgendwann von ihr erfahren, denn zwischen den beiden gab es so gut wie keine Geheimnisse, was für mich nicht immer einfach gewesen war.

Nachdem ich eine positive Zustimmung auf meine Frage erhalten hatte, sprang ich aus dem Auto, rannte über den Hof und warnte Melanie vorher. Danach sprintete ich in mein Zimmer, ließ meine Schulsachen fallen und packte genügend Geld in mein Portemonnaie. Wieder im Haus meiner Großeltern angelangt, zerrte ich Melanie mit mir ins Auto und stellte alle einander vor. Melanie wusste noch nicht so richtig, was auf sie zukommen würde, zumindest sah sie so aus. Die ganze Fahrt über schwieg sie und schaute mich verwirrt an. Ach, wie ich es liebte, Leute spontan zu überraschen.

Daniel fuhr uns direkt bis vor das Einkaufszentrum, wo wir ausstiegen und uns voneinander verabschiedeten. Wir waren umhüllt von einer riesigen, sich bewegenden homogenen Menschenmenge. Ich nahm junge Erwachsene wahr, die telefonierten und hastig in der Gegend herumliefen und ältere Menschen, die sichtlich Mühe hatten, ihre Einkäufe zu transportieren. Auf den Bänken, hatten es sich ein paar Jugendliche bequem gemacht. Keines der vielen Gesichter kam mir bekannt vor, also widmete ich mich wieder dem von Melanie, was mich fragend anschaute.

"Was hast du vor? Sehe ich aus wie eine kleine Shoppingdiva?", entgegnete sie mir kritisch.

"Mit Shoppen liegst du nicht ganz falsch. Du brauchst doch noch ein paar Vorräte, also ab in den Lebensmittelladen."

"Ich habe gar kein Geld dafür, falls du das noch nicht bemerkt hast", protestierte Melanie und schaute peinlich berührt zur Seite. Von der sonst selbstbewussten Melanie, war in diesem Moment nicht viel zu sehen.

"Ich aber, also keine Widerrede", winkte ich ab.

Im Lebensmittelladen war viel los, alle wollten ihren Kühlschrank vor dem Wochenende noch einmal richtig füllen. Wir drängten uns zwischen den engen Gängen entlang und ich kaufte Melanie alles, was ich als nötige Grundnahrungsmittel für sie einstufte: Müsli, Milch, Toast, Butter, eine Packung Wurst, Nutella und ein paar Konservendosen. Eigentlich wollte ich noch Schokolade für sie einpacken und Getränke kaufen, aber Melanie wollte es nicht und bestand darauf Tee und Leitungswasser zu trinken. Melanie legte nicht auch nur eine Ware selbstständig in den Einkaufswagen und suchte sich nichts selbst aus, weshalb ich blind los raten musste, was sie gern aß. Ich hielt ihr meine Favoriten für sie unter die Nase und sie schüttelte entweder den Kopf oder zuckte mit den Schultern. Das Zucken mit den Schultern war das Zeichen für mich, dass die Ware einkaufswagentauglich war.

Die Schlange zur Kasse war mehrere Meter lang, aber eine ältere Dame ließ uns vor. Es gab also doch noch freundliche Menschen auf dieser Welt! Die Summe der Kosten für den Einkauf war so gering, da wir wirklich nur das billigste vom Billigsten gekauft hatten, dass sie nicht der Rede wert war.

"Können wir jetzt endlich gehen?", drängelte Melanie, als wir unseren Einkauf in Sack und Tüten hatten.

"Ja, gleich. Wir müssen nur noch schnell in den Schuhladen um die Ecke."

Melanie dachte erst, dass ich mir selbst Schuhe kaufen wollte, doch ich hatte bereits genug zu Hause herumstehen. Melanie hatte nur leider keine mit mir identische Schuhgröße, weshalb ich ihr keine alten paar Schuhe von mir geben konnte. Wieder protestierte Melanie, aber wieder setzte ich einen Kauf durch. Sie suchte sich praktische und einfache Turnschuhe heraus, natürlich nicht ohne auf den Preis zu schauen. Turnschuhe für 9,99 Euro? Das sollte doch verboten werden. Ich versuchte Melanie zu erklären, dass so günstige Schuhe sicher keine lange Lebensdauer haben würden, doch sie wollte sich nichts von mir erzählen lassen. Die Mitarbeiter des Schuhladens schauten nicht schlecht, als sie auf Melanies kaputte Schuhe hinabspähten. Wurde aber auch langsam mal Zeit für etwas Neues!

Ich hatte Melanie ganz schön überrumpelt und konnte auch irgendwie verstehen, dass ihr der Einkauf etwas unangenehm war, doch er war nötig gewesen. Mich hatte er nicht viel gekostet und mir hatte es schon immer Spaß gemacht, anderen Menschen eine kleine Freude zu bereiten. Wahrscheinlich würde mir das ausgegebene Geld nicht einmal fehlen, denn mit mir selbst haushaltete ich eher streng. Ich hatte beispielsweise ohnehin schon einen viel zu vollen Schuh- und Kleiderschrank, weshalb ich mir vorher genau überlegte, ob ich etwas Neues brauchen würde und legte auch keinen Wert auf teure Marken. Kurz gesagt: Ich war sehr sparsam und legte mir meine zehn Euro Taschengeld pro Monat meist auf die hohe Kante.

Als wir alle Einkäufe für heute erledigt hatten, konnte ich Melanie immer noch ansehen, dass sie sich schämte. Doch da war noch etwas: tiefgreifende Dankbarkeit.

Die flüsternden BäumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt