Kapitel 37 - Der Wald - Tierlieb (Lukas)

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~ Lukas ~

Mina sah verwirrt aus und schien Schutz auf der kleinen Lichtung zu suchen. Mein Herz klopfte vor Aufregung, als ich mich selbst hinter der leeren Hülle meiner täglichen Erscheinungsform verkroch. Endlich konnte ich wieder auf den Beinen meines menschlichen Seins stehen. Und trotzdem waren sie wie versteinert.

Ob sie mich vergessen hatte?

Irgendetwas in mir löste das Verlangen aus, ihr näher zu kommen und sie einfach danach zu fragen. Eigentlich war ich schon immer sehr offen und Herausforderungen liebend gewesen, aber nun stand ich hier in meinem Versteck und zögerte. Vor mir sah ich ein wirklich hübsches Mädchen und erst jetzt begann ich darüber nachzudenken, wie ich ihr am besten gegenübertreten sollte. Zum einen war ich schon so lange hier, dass ich in Unterhaltungen mit Mädchen total aus der Übung war und zum anderen war ich darin noch nie ein Profi gewesen. Kurz gesagt: Ich hatte keine Ahnung von Frauen, aber mich hatte es bisher auch noch nicht gestört. Ich redete normalerweise einfach immer darauf los ohne nachzudenken. War ein freier und intuitiver Mensch. Aber jetzt? In diesem Moment geriet ich aus den Fugen, obwohl es ja nicht mein erstes Gespräch mit Mina sein würde. Ich hatte das Gefühl, umso mehr ich sie mochte und näher ich sie kennenlernte, desto schwerer wurden die Unterhaltungen für mich, denn ich dachte zu sehr darüber nach. 'Erinnerst du dich an mich?', hatte ich fragen wollen, doch ich bekam keinen Ton aus meinem Mund und auch meine Füße klebten am Boden fest.

Mein Versteck war erst aufgeflogen, als mich das leise Knacken eines Zweiges unter meinen Füßen verriet, während ich wieder einen Versuch startete, auf sie zuzugehen.

Sie schaute zu mir auf, erschrak und sprang augenblicklich auf. Auch ich war ängstlich und fühlte mich ertappt. Als sie merkte, dass zumindest keine direkte Gefahr von mir ausging, fragte sie etwas entnervt:

"Sind hier nur Verrückte in diesem Wald? Hast du dir auch einen Namen für mich ausgedacht?"

Ich war verwirrt, perplex und enttäuscht. Sie hatte mich vergessen. Mina räusperte sich, wodurch mir bewusst wurde, dass sie nun eine Antwort von mir erwartete.

"Wie? Was für einen Namen? Du hast doch bereits einen Namen, Mina. Warum sollte ich mir also einen anderen ausdenken?", stotterte ich darauf los.

Sie stutzte und wieder einmal musterte sie meine Narbe sowie meinen ganzen Körper in seiner Nacktheit. Mina dachte nach, was ich an ihrem angestrengten Gesicht und ihrer langen Sprechpause erkannte. Als ihr Gesicht ein kleines bisschen seiner Sanftheit wiederfand, fiel auch mir ein kleines Bruchstück eines Steines von meinem Herzen.

"Kennen wir uns?", fragte sie schließlich ohne auf meine Frage davor einzugehen.

"Ähm... Ja... Zumindest haben wir uns schon ein paar Male getroffen", sagte ich und sie bedeutete mir mehr davon zu erzählen. Mit jedem Wort gewann ich ein kleines bisschen mehr Sicherheit, denn sie hörte mir zu und wider meiner Erwartungen, glaubte sie mir. Das gab mir auch den Mut sie mit Vorsicht zu fragen:

"Und wer hat dich bei einem anderen Namen genannt?"

"So ein Baummensch. Er sah eher noch aus wie ein Baum, aber konnte seine Äste bewegen, hatte eine menschliche Silhouette und ein Gesicht. Er hat mich 'Marry' genannt. Ziemlich verrückt, oder?", erklärte sie mir schließlich.

"Du bist auf deinem Weg hierher an dem Baum vorbeigelaufen, richtig? Welche Art von Baum war er?", fragte ich nach.

"Eine Eberesche, wenn mich meine Pflanzenkenntnis nicht täuscht."

"Das ist Matthias. Er ist schon länger hier. Schon fast eins mit dem Baum. Deshalb vergisst er viel und ist die meiste Zeit ziemlich verwirrt", versuchte ich Mina zu erklären, doch darauf folgte ein ganzer Fragenkatalog von ihr und ich klärte sie wieder einmal über die Baummenschen auf. Ihr wahres Interesse bestärkte mich dazu, ihr alles zu erzählen, was sie wissen wollte.

Die flüsternden BäumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt