Kapitel 23 - Zukunftssuche

152 20 35
                                    

Ich spazierte gerade quer über den Hof um den Papiermüll raus zu bringen, als ich in meinen Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. Ich schärfte meinen Blick und suchte nach dem Ursprung, den ich in einem der Fenster des Hauses meiner Großeltern fand. Melanie gestikulierte wie wild und zeigte mit ihren Fingern in meine Richtung, woraufhin auch ich in eine Art Zeichensprache überging. Zuerst dachte ich, sie zeige auf mich, doch dann merkte ich, dass sie den Müll meinte.

Was wollte sie denn damit?

Ich griff in den Müll, hielt eine Pappe hoch und zog fragend meine Schultern in die Höhe. Sie schüttelte mit dem Kopf und ich streckte ihr das Nächste entgegen, bis sie anfing zu nicken, als ich eine alte Zeitung in der Hand hielt. Aha, Melanie wollte sich wohl bilden! Ich legte die Zeitung bei Seite und schmiss den restlichen Müll in die große blaue Tonne. Dann steuerte ich, mit der Zeitung in der Hand, auf das Haus meiner Großeltern zu. Heute war der erste offizielle Ferientag nach dem langen Wochenende und ab morgen musste sich Melanie vorerst nicht mehr verstecken, da meine Eltern und Rachel dann für drei Wochen in den Urlaub fliegen wollten. Nach dem Zickenkrieg mit Rachel im letzten Jahr, hatte ich keine Lust mehr mit zu kommen, schließlich wollte ich meine Sommerferien auch ein wenig genießen können.

Melanie begrüßte mich freundlich und ich übergab ihr die Zeitung, woraufhin sie mir deutete, ihr in die Küche zu folgen. Sie selbst lief eilig vorneweg und hatte die Zeitung schneller aufgeschlagen, als sie sich überhaupt setzen konnte. Heute strahlte sie eine unheimlich positive Energie aus.

"Kannst du die Zeitung nicht später lesen? Sei mir nicht böse, aber ich muss dir ja jetzt nicht stundenlang beim Lesen zuschauen oder?" fragte ich. Es nervte mich schon genug, wenn meine Eltern immer nicht ansprechbar waren, weil sie Zeitung lesen mussten und ich ewig vor ihnen stehend wartete, bis sie sich endlich von ihrer Zeitung lösten.

"Ach Mina... Ich will doch keine langen Zeitungsartikel lesen! Ich möchte bei den Anzeigen schauen, ob es irgendetwas gibt mit dem ich mein Brot verdienen kann. So kann es doch nicht weitergehen! Es ist zwar lieb, dass du mich durchfütterst, aber ich fühle mich nicht gut dabei. Ich möchte selbstständiger werden!", redete Melanie auf mich ein.

Die letzten Wochen war ich regelmäßig mit ihr einkaufen gegangen oder gab ihr ein wenig Geld, damit sie sich etwas zu essen besorgen konnte, doch sie suchte sich noch immer nur wenige und kostengünstige Lebensmittel aus. Eigentlich merkte ich gar nicht, dass überhaupt Geld in meinem Portemonnaie fehlte.

Ich wollte Melanie schon widersprechen, aber dann beobachtete ich, wie ernst ihr das Ganze war. Sie wollte sich gebraucht fühlen und war einfach ein Mensch der Taten, also wollte ich ihr diese Chance nicht nehmen. Wie wild blätterte sie in der Zeitung herum und ihre Augen wanderten in schnellen Bewegungen über die einzelnen Zeitungsseiten.

"Und findest du was?", fragte ich.

"Na klar! Hier habe ich was:

Lother, attraktiver Akademiker

66/181, ein Mann mit Format

und einer Schulter zum Anlehnen

wünscht sich Frau 18+ für mehr", erwiderte sie mit gespielt ernster Miene.

"Der hat doch bestimmt eine Menge Schotter für mich übrig oder was meinst du?", fügte sie fragend hinzu.

"Das ist doch jetzt eine rhetorische Frage oder?"

Melanie las mir noch weitere Suchanzeigen für 'Er sucht Sie' und 'Sie sucht Ihn', 'Sie sucht Sie' und 'Er sucht Ihn' vor und wir lachten herzhaft über so manche Formulierungen.

Die flüsternden BäumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt