Kapitel 21 - Der Wald - Auf der Lichtung

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Es war ein wunderschöner sonniger Sonntagnachmittag, den ich noch einmal richtig genießen wollte, nachdem ich den gestrigen Tag mit der Suche nach Martha verbracht hatte. Also heute mal richtig entspannen, bevor ich morgen wieder den ganzen Tag in der Schule sitzen musste, dachte ich mir. Da ich immer schnell einen Sonnenbrand bekam, cremte ich mich mit Sonnenmilch ein und genoss dabei den süßen Duft nach Urlaubsfeeling, der mich an Meer und Strand erinnerte. Ich zog aufgrund der Hitze nur ein luftiges grünes Kleid an, was einen perfekten Kontrast zu meinem roten Haar bildete, jedoch perfekt den Farbton meiner Augen widerspiegelte. Die Haare wuschelte ich mir zu einem lockeren Dutt zusammen, damit sie nicht in meinem Nacken festkleben konnten und nun konnte es ab in die Sonne gehen.

Doch wer wollte einen freien Tag schon alleine verbringen? Deshalb rief ich Isabella an und fragte, ob sie sich mit mir treffen wolle. Sie erklärte mir, dass sie noch bei Daniel war und sich danach um den Haushalt ihrer Mutter kümmern müsste. Isabellas Mutter achtete so gut wie gar nicht auf Ordnung und Sauberkeit, ließ alles stehen und liegen und deshalb musste Isabella ihr oft unter die Arme greifen.

Von Isabellas Absage ließ ich mich nicht unterkriegen, lief zu Melanie herüber und fragte sie, ob sie mit mir in den Wald gehen würde. Wir könnten nach Adrian suchen und es uns ein wenig auf der Lichtung bequem machen. Melanie war sehr wortkarg und lehnte ohne eine weitere Begründung ab.

Ich schaute nach, was Rachel machte, doch sie wollte in Ruhe auf ihrem Bett sitzen und mit dem Laptop chatten.

Dann musste ich wohl allein den Tag verbringen. Warum also nicht auf der alten Lichtung im Wald? Ich packte mir eine Picknicktasche mit einer großen Decke, einem Kissen, Zeichenzeug, Erdbeeren aus Mamas Garten und machte mich barfuß auf den Weg in den Wald. Für die Suche nach Adrian war es mir noch zu warm und so bahnte ich mir als erstes den Weg zu meiner Waldlichtung, wo die Gräser an meinen Füßen kitzelten. Ich breitete meine Picknickdecke aus und machte es mir bequem. Als ich mich gerade in das weiche Kissen fallen lassen wollte, sah ich einen kleinen Marienkäfer darauf landen, den ich nun vorsichtig vom Kissen schüttelte, bevor ich mich meinen Kopf doch noch ablegte. Die Sonne knallte auf meine nackten Arme und Beine und auch mein Gesicht fühlte sich heiß an. Ab und zu landete eine Erdbeere in meinem Mund. Oh, wie ich Erdbeeren liebte und anders als bei Kirschen, musste man sich nie Sorgen um Maden machen oder Kerne ausspucken. Immer wenn es mir zu heiß wurde, schüttelte ich mein Kissen durch und drehte mich um.

Warum war ich eigentlich so lange nicht mehr hier gewesen?

Es war ein ruhiger, naturnaher Ort, den ich Stück für Stück wieder mehr für mich entdeckte.

Irgendwann waren meine Erdbeeren alle und die Sonne hatte sich hinter einer weißen Wolkenfront verkrochen, weshalb ich mich aufsetzte, meinen Block, Bleistifte verschiedener Härtegrade sowie einen Radiergummi aus meiner Tasche packte und anfing zu zeichnen. Ich wollte diesen Moment der Ruhe und des inneren Friedens für mich festhalten und so führte ich den Bleistift in zielgerichteten Bewegungen über das Papier, was ein leises schabendes Geräusch machte. Ich zeichnete den Übergang von der Lichtung in den Wald mit dem kleinen Trampelpfad. Die Lichtung war umsäumt von Ahornbäumen, zwei Buchen und einer Zitter- Pappel. Als Kind hatte ich mir die geflügelten Samenstände des Ahorns aufgebrochen, auf meine Nase geklebt und gedacht, ich sei ein Nashorn. Bei der Erinnerung, wie ich dann aufgedreht durch den Wald gelaufen war, musste ich lächeln. Für mich hießen die Bäume immer noch Nasenbäume.

Nach der Fertigstellung des Bildes, war ich unzufrieden damit. Es hatte den Moment nicht so gut aufgefangen, wie ich es gewollt und mir vorher vorgestellt hatte. Trotzdem sah es nicht schlecht aus und so legte ich das Bild behutsam in den Block.

In der ganzen Zeit auf der Lichtung, nahm ich nur einmal andere Leute im Wald wahr. Sie drangen nicht bis zur Lichtung vor und ich hörte ihre leisen Stimmen nur aus der Ferne. Auch früher waren hier nie oft Leute gewesen. Lediglich ein Paar Pilzsammler verirrten sich im Herbst hierher und manchmal liefen ein paar naturliebende Spaziergänger durch den Wald. Die Lichtung hatte sich immer nur Oma und ich zu eigen gemacht, denn ich hatte noch nie jemand anderen hier gesehen.

Nun war es an der Zeit Adrian zu suchen. Ich ließ die Tasche auf der Lichtung liegen, da ich sie nicht unnötig umher tragen wollte. Und wer hatte schon Interesse daran, einen Beutel, eine einfache Decke, ein Kissen und eine leere Brotbüchse zu stehlen? Nur meinen Block klemmte ich mir unter den Arm, da ich Angst um mein Bild hatte.

So lief ich erst einmal den Waldrand entlang, bis ich an den plätschernden Bach gelangte, der die Grenze zum Friedhof bildete. Mir fiel eine Trauerweide auf, aus der zwei dicke Stämme herauswuchsen. Beide Stämme sahen so eigenständig aus, es wuchsen unzählige Äste und Zweige aus ihnen und doch waren sie miteinander verbunden.

Ich suchte den Wald systematisch ab, kam an den Überresten der Burgruine vorbei und guckte auch nach unterirdischen Verstecken, doch ich kam irgendwann wieder demotiviert an der Lichtung an, ohne etwas entdeckt zu haben. Ich hatte nicht den kleinsten Hinweis auf Adrian gefunden.

War der Wald doch nicht der gemeinsame Nenner?

Für heute war ich jedenfalls geschafft, weshalb ich meine Sachen von der Lichtung zusammenraffte und nach ein paar Schritten noch einmal auf die schöne bunte Lichtung zurückblickte, um die Erinnerung in mir aufzusaugen. Der Nachmittag war sogar ohne Isabella und Melanie schön gewesen, obwohl ich das Alleinsein eigentlich überhaupt nicht mochte. Mein Blick wanderte auf einen Ahornbaum, den ich auch mit auf mein Bild gezeichnet hatte. Ich ging näher heran und tatsächlich: jemand hatte ein Herz in den Baum geritzt. Da musste ich meine Zeichnung zu Hause wohl noch einmal vervollständigen. Ich strich verträumt über das Herz und meine Gedanken schweiften wieder einmal zu meinem zukünftigen Traummann ab.

Wie er wohl aussehen würde?

Wo er nur war?

Ob es ihn überhaupt gab?

Die flüsternden BäumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt