Juli
Jedes Jahr war es das Gleiche: Bevor wir in die Sommerferien starten durften, mussten wir in der Turnhalle auf dem Boden Platz nehmen und uns die Musik der Lehrerband anhören sowie eine Rede unserer Schulleiterin Frau Schubert. Die Schüler der ganzen Schule saßen zusammengepfercht da und füllten die gesamte Turnhalle aus. Nur an solchen Festen, wurde mir bewusst, wie viele Schüler hier auf die Schule gingen und ich hielt nach Kevin und Johnny Ausschau, doch sie waren nicht da. Schon lange hatte ich sie nicht mehr gesehen.
Frau Schubert war, meiner Meinung nach, die tollste Lehrerin der Schule, doch sie unterrichtete uns leider nur in Sport, was nicht wirklich mein Lieblingsfach war. Mit ihr war dieser Unterricht jedoch erträglich und ihre freundliche, witzige und charmante Art, brachte uns alle zum Strahlen. Dank ihr, stand ich in Sport sogar auf Note zwei, während keiner schlechter als drei benotet wurde. Sie war ein kleines Powerpaket, hatte viele Muskeln, kurze schwarze Haare und immer ein Lächeln auf den Lippen.
Mein Zeugnis hatte ich bereits in der dafür vorgesehenen Mappe in meine Schultasche gepackt. Im Gegensatz zu Isabella, bin ich ein typischer Durchschnittsschüler mit einem Durchschnitt von 2,8. Isabella hingegen schaffte auch dieses Jahr wieder die 1,4. Was für eine Intelligenzbestie!
Als die Lehrerband das letzte Lied spielte, beugte sich Isabella zu mir herüber und fragte:
"Wollen wir in den Ferien spontan mal ein paar Tage am See zelten fahren?"
"Also ich habe Zeit! Müssen wir nur noch sehen, wo wir hinfahren und wie wir dahin gelangen", antwortete ich.
"Wir könnten an den Brückensee fahren. Die Preise des Zeltplatzes sind nun einmal die günstigsten in der Umgebung!", sagte Bella und mir fiel es aufgrund der Lautstärke schwer, sie zu verstehen. Frau Strumpf stand auf der Bühne und sang sich die Seele aus dem Leib, währenddessen Herr Peters dirigierte und weitere Lehrer Trommeln, Rasseln, eine Gitarre und ein Keyboard spielten. Es war schon irgendwie lustig, seine Lehrer musizierend auf der Bühne zu sehen, was unsere Schule zu etwas Besonderem machte. Entstanden war die Lehrerband, weil sich die Jahrgänge vor uns beschwerten, dass immer nur Schüler die Band spielen mussten und nie die Lehrer. Das mussten sich unsere Lehrer so oft anhören, dass sie schlichtweg selbst die Initiative ergriffen hatten. Nun war festgelegt, dass die Lehrerband jedes Jahr vor dem Sommerfest in der Turnhalle spielte und die Schülerbands der zwölften Klassen ein Programm mit Band zu ihrer Verabschiedungsfeier einstudierten.
Dieses Jahr war Daniel am Programm der Abschlussklassen beteiligt gewesen und hat uns als ein Moderator bereichert, eine Rolle die perfekt auf ihn zugeschnitten war. Daniel hatte eine tolle Art sich zu artikulieren und Leute zu faszinieren. Dazu kamen noch die abgefahrenen Verkleidungen des Abschlussjahrgang. Daniel trug bei seiner Moderation eine bunte Clownsperücke, Schuhe in geschätzter Schuhgröße 60 und ein buntes Sommerkleid von Bella, die sich bei seinem Auftritt fremd geschämt hatte. Seit Isabella ihn nicht mehr jede Pause sehen konnte, weil er die Schule verlassen hatte, versuchte sie diese Lücke privat auszugleichen und verbrachte kaum noch ein Wochenende mit mir. Ab Oktober wollte er soziale Arbeit studieren und jeden Tag mit dem Auto in die Universität fahren, die ca. eine dreiviertel Stunde Fahrt entfernt war. Umziehen wollte er Isabella zuliebe erst, wenn auch sie mit der Schule fertig war. Was dann wohl aus unserer Freundschaft werden würde?
"Na klar, wieso nicht? Da kennen wir uns wenigstens schon aus, aber mit dir ist es auch jedes Mal aufs Neue schön dort!", sagte ich schließlich.
Der Brückensee war nur wenige Kilometer von unserer Kleinstadt entfernt und trug seinen Namen aufgrund einer schmalen, langen hölzernen Brücke, die sich an einer verengten Stelle über die Mitte des Sees zog. Bisher waren Isabella und ich fast jedes Jahr mehr oder weniger spontan in den Sommerferien auf den Zeltplatz an diesem See gefahren und hatten dort einige Tage miteinander verbracht. Ein einziges Mal hatten wir ein Survivaltraining in den tiefen eines wildes Waldes gemacht, aber daran wollte ich mich lieber nicht erinnern...
Frau Schubert verabschiedete uns gerade in die Ferien, als bereits ein paar Schüler nervös wurden und auf dem Boden hin und her rutschten. Nun war es endlich soweit, dachte ich: Sommerferien, Sonne, Freiheit und Freizeit.
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Gut gelaunt kam ich Zuhause an und wider meiner Erwartungen, saß Rachel im Wohnzimmer und schien auf mich zu warten. Gerade als ich meinen Mund öffnen würde um sie freudig zu begrüßen, stand sie auf und reckte mir selbstbewusst ihre Brust entgegen.
"Ich hab sie gesehen!", knallte sie mir an den Kopf.
Wenn ich etwas erwartet hatte, dann sicher nicht so etwas.
"Wen hast du gesehen?", fragte ich, obwohl ich genau wusste, wen sie meinte.
Rachel trat noch ein Stück an mich heran, setzte ihren bösen Blick mit den zusammengekniffenen Augen auf und streckte mir drohend ihren Zeigefinger entgegen.
"Verkaufe mich nicht für dumm! Du lässt ein fremdes Mädchen im Haus von Oma und Opa wohnen!", sprudelte es aus ihrem Mund.
Oh je... Wie kam ich nun aus der Nummer wieder raus? Ich versuchte es mal mit der Wahrheit.
"Ja, das Mädchen ist eine Freundin von mir und sie war in Not, deshalb habe ich sie in dem Haus untergebracht. Es ist doch nur vorrübergehend."
"Wissen das unsere Eltern?", fragte sie provokant.
"Nein und das wirst du ihnen hoffentlich auch nicht sagen, wenn du nur einen kleines Fünkchen Anstand in dir trägst!", sagte ich.
"Und was ist wenn doch?", erwiderte sie, woraufhin ich antwortete:
"Das lässt du mich schön selbst klären!"
"Sonst was...?"
Na schön... Sie wollte die harte Tour, dann sollte sie die harte Tour natürlich auch bekommen! In sowas war ich sehr zuvorkommend.
"Sonst erzähl ich Mum und Dad mal, dass du einen Freund hast und was du hier so mit ihm treibst!", gab ich zurück.
Ihr arrogantes Grinsen verschwand aus ihrem Gesicht und ihre Augen waren vom Schock geweitet. Damit hatte sie wohl nicht gerechnet. Jetzt stand es wohl 1:1, ha!
"Das tust du nicht!", sagte sie.
"Na gut, ich bin nett. Ich sage es nicht..."
Sie atmete hörbar erleichtert aus und ihre angespannten Muskeln lockerten sich wieder.
"...wenn du auch nicht verpetzt, dass ich einer Freundin in Not helfe und sie bei unseren Großeltern im Haus untergebracht habe", beendete ich meine Aussage.
Rachel wusste, dass ihr kleines Spielchen nicht aufgegangen war, funkelte mich noch einmal böse an und verschwand dann. Wohin wohl?
Was für ein toller Start in die Sommerferien, aber ich hatte mich ja gerade noch so gerettet.
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Die flüsternden Bäume
Fantasy'Wo Liebe ist, wird das Unmögliche möglich. ' ~~~ "'Renn um dein Leben', schrie meine innere Stimme. Ich müsste nur über die Wiese laufen und würde dann zum Pfad in Richtung Wald gelangen. Dort kannte ich mich verdammt gut aus, wenn auch nicht im Du...