Kapitel 6 - Die Befragung

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Ich wollte Melanie noch so viele Dinge fragen, die nun nach unserem Treffen unbeantwortet blieben. Beispielsweise wollte ich wissen, wer dieser Teufelskerl gewesen war, dem Adrian versucht hatte sein Geld zu stehlen.

Ob dieser düstere Typ auch mit zu dieser Gang gehörte, die mich in den Wald verfolgt hatte? Ich wollte sie fragen, ob sie sich an mehr erinnern konnte als ich... Auch wenn es noch so kleine Details waren. Ich wollte wissen, ob ihre Geschichte genau mit meiner übereinstimmte. Doch sie war sogar noch schneller weg gewesen, als sie gekommen war.

Ich wollte unbedingt noch einmal mit ihr reden, aber ich wusste wirklich nicht wo sie war. Zwar hielt ich stets Ausschau nach ihr, doch ich bekam sie nirgends zu Gesicht und da ich nicht wusste, wo ich sie finden konnte, begann ich anderweitig nach der Wahrheit zu suchen.

"Warum fragst du nicht einfach deinen Vater? Du als Tochter eines Polizisten sitzt doch an der Quelle schlechthin!", sagte Isabella am Mittwoch nach dem Vorfall in der Schule zu mir.

"Ich weiß nicht, ob er mir viele Auskünfte geben kann und darf. Aber einen Versuch ist es ja..."

"Mina Sommer! Würdest du dich jetzt bitte wieder auf meinen Unterricht konzentrieren oder möchtest du dich hier vorn hinstellen und Lehrer spielen?", fuhr mich Frau Strumpf, unsere Lateinlehrerin, an.

Immer traf es mich! Isabella konnte Quatschen wie viel sie wollte, sogar den Spliss konnte sie sich stundenlang aus den Haarspitzen schneiden und kein Lehrer schimpfte. Aber ich war ein armes Luder! Zugegeben, Isabella war ein Genie und ich eher ein Durchschnittsschüler, also vielleicht hatte ich die Ermahnungen nötiger. Es gab lediglich ein Fach, wo ich wirklich gut war - Kunst, denn da kam ich annähernd an ihre grandiosen Meisterleistungen heran. Latein war aber wirklich langweilig und diese endlosen trockenen Texte, die wir immer übersetzen mussten... Meine Mutter sagte damals in der sechsten Klasse zu mir:

"Nimm Latein als zweite Fremdsprache! Das brauchst du später mal am ehesten im Beruf!"

Ich glaubte ihr damals, aber heute würde ich sagen, sie als Krankenschwester konnte Latein bestimmt gut gebrauchen, aber was sollte ich damit?

Abgesehen davon, dass ich sowieso keinen Beruf erlernen wollte, der auch nur im Geringsten mit Latein zu tun hatte, konnte ich sowieso nicht viel mehr als 'Alea iacta est' oder 'Veni, vidi, vici'. Die vielen Jahre Lateinunterricht hatten mir nicht viel genutzt. Ich hielt mich die meiste Zeit mit Vokabeltests und willkürlichen Übersetzungsversuchen über Wasser.

Es gibt Schultage die ziehen sich endlos in die Länge. Heute war einer davon. Ich hätte mir ein Sudoku-Rätsel mitnehmen können, aber ich hatte zu viel Angst erwischt zu werden. Ich dachte lieber darüber nach, was ich jetzt alles machen könnte um meine Langeweile zu vertreiben. Nichts davon ließ sich angemessen umsetzen. Frau Strumpf redete munter weiter vor sich hin ohne uns in ihren Unterricht einzubeziehen. Zum Schluss gab sie uns noch eine halbe Stunde Zeit um einen lateinischen Text über Julius Caesar zu übersetzen.

Bis vor dem Pausenklingeln hatte ich zwei ganze Wörter auf meinem Blatt stehen:

'What happened?'

Und das war nicht nur in der falschen Sprache, sondern auch ohne jeglichen Zusammenhang mit dem Übersetzungstext.

Irgendwann fand der Schultag doch ein Ende und Isabellas Freund Daniel fuhr mich nach Hause um danach ein romantisches Picknick mit Isabella im Stadtpark zu machen. Ich sollte mich eigentlich nicht beschweren, aber ich wollte auch gern mal einen Freund, der es gut mit mir meinte. Bisher hatte ich nur zwei Kurzbeziehungen, ein Paar wenige Flirts ohne Zukunftschancen und eine Beziehung über ein halbes Jahr mit einem Künstler gehabt, der mir immer eingeredet hatte, dass er besser wäre, als ich und all meine Geschenke sofort in irgendeiner Kiste oder unter seinem Bett versteckt hatte. Aber der Künstler war der Einzige gewesen, der mich richtig verletzt hatte. Er hatte sich selbst für ein anderes Mädchen entschieden und ich war mit Liebeskummer zurückgeblieben. Lange hatte ich mich leer gefühlt, aber ich hatte gelernt damit zu leben und irgendwo in mir blühte die Hoffnung auf einen wirklich liebenden Partner auf. Jemand der mich so liebte, wie Daniel seine Isabella, aber meine Zeit war jetzt noch nicht gekommen.

Die flüsternden BäumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt