Ein bestimmter Tag X

Erwischt

Ich nippte gerade an meiner Cola, da ging die Tür zum Studio auf und zwei männliche Feroxmitglieder kamen herein. ,,Ist das nicht die, die Eric sucht?" sagte ein braunhaariger Hüne zu seinem Kumpel, der seine Haare raspelkurz trug. ,,Nee. Die hat keine Piercings. Sowas Auffälliges hätte er erwähnt. Na Caly?"
Für eine Sekunde war mein Herz stehen geblieben um im nächsten Augenblick loszugalloppieren, wie ein durchgehendes Pferd. Caly zwinkerte mir verschwörerisch zu, als die beiden Männer mich ignorierten, da ich offensichtlich nicht in das Bild der Gesuchten passte. Ich konnte mein Glück kaum fassen. ,,Was kann ich für euch tun, Jungs?" ,, Mein Kumpel Ed hier will ein neues Tattoo." begann der Typ mit den kurzen Haaren.

Ich stellte meine Cola zurück auf den Tresen und deutete Caly mit einem Handzeichen, dass ich das Studio kurz verlassen würde. Sie war so in das Gespräch vertieft, dass sie es gar nicht mitbekam. Ich fühlte mich dank der Piercings relativ sicher und wenigstens Lara wollte ich sprechen, nachdem ich sie beim Angsttraining verpasst hatte.
Vorsichtig schlich ich durch die Gänge Richtung Initiantenlager. Doch dort war niemand. Also lief ich weiter, in die große Trainingshalle, in der wir seit Anfang unserer Initiation trainierten. Ich blieb an einer der Eingangstüren stehen und versteckte mich vorsorgehalber im Dunkel des Ganges. Lara war gerade in der Mitte auf dem Kampfpodest und trat gegen eine andere Initiantin an. Eric stand am Rand und sah mit undurchdringlicher Miene dem Kampf zu. Ich musterte ihn von oben bis unten. Ein Schauer jagte mir über den Rücken, als ich daran dachte, was im Trainingsraum zwischen uns geschehen war. Sein Oberkörper war genauso muskulös, wie ich ihn mir unter all den Schichten Kleidung vorgestellt hatte. Und der Ausdruck von süßem Schmerz auf seinem Gesicht hatte sich in meinen Kopf gebrannt, jetzt, wo er so eisig und unnahbar wirkte. Widerwillig spürte ich das warme Kribbeln in meinen Körper zurückkehren und ziemlich erfolglos versuchte ich, es beiseite zu schieben.
Es war nicht sonderlich hilfreich bei meiner Mission, ein und denselben Fehler kein zweites Mal zu machen.

,,ALEXIS!" rief eine männliche Stimme durch die gesamte Trainingshalle. Ich zuckte so heftig zusammen, dass ich mit einem Knall gegen die Tür stieß und mir dabei volle Wucht den Ellenbogen anschlug. Hätte ich mich nicht so dämlich angestellt, hätte ich vielleicht noch flüchten können. Doch durch den Knall waren plötzlich alle Augen auf mich gerichtet. Jetzt sah ich, wer gerufen hatte. Ivo.

Er winkte freudig und lief mit schnellen Schritten an Eric vorbei, der mich mit einem Blick, finsterer als jeder Gewitterhimmel, fixierte. Unschlüssig blieb ich in der Tür stehen. Ivos rote Locken wippten bei jedem Schritt, den er machte. ,,Wie geht's dir?" fragte er leicht außer Atem, als er vor mir zum stehen kam. ,,Schon besser." Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie Eric den anderen Initianten bedeutete, weiterzukämpfen. Dann kam er mit leicht gesenktem Kopf auf mich zugelaufen. Sein Blick war so bedrohlich, dass ich unwillkürlich zwei Schritte zurück wich. ,,Ich störe ja nur ungern euer Gespräch, Ivo. Aber ich muss dringend mit der Candor unter vier Augen reden." knurrte er. Ivo grinste, wandte sich zum Gehen und rief: ,,Wir sehen uns später, Alexis." Misstrauisch blickte ich ihm hinterher. Hatte er mit Absicht so laut gerufen, damit Eric mich erwischte? [Wehe, Ivo!]

Eine Hand schloss sich brutal fest um meinen Oberarm und zerrte mich grob weiter in den Gang, weg vom Eingang der Trainingshalle. ,,Au!" protestierte ich und versuchte mich loszureißen. ,,Du kommst jetzt mit!" presste Eric zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. ,,Oder ich schwör dir, wir werden kämpfen!" ,,Du tust mir weh!" ,,Ach wirklich. Oh entschuldige." Erics Stimme triefte nur so vor Ironie. Er packte mich an beiden Schultern und drückte mich mit ganzer Kraft an die Wand. Keuchend unterdrückte ich die Erinnerung, die über mich hereinbrach wie eine Sturzflut. ,,Ich musste feststellen, dass einige deiner Sachen aus dem Zimmer verschwunden sind, das ich dir zugewiesen habe. Kannst du mir sagen, warum? Gab es irgendeinen Grund? Oder macht es dir Spaß, mich zum Narren zu halten?" ,,Bitte....i-ich...kann das erklären...." ,,I-ich..." äffte Eric mich nach und ich spürte seine Wut. Sein Gesicht kam ganz nah an meines heran. So nah, dass sein warmer Atem meine Wange traf.

Er fasste mit einer Hand nach meinem Kinn und umschloss meinen Kiefer mit festem Griff. ,,Ich habe hier das Sagen. Hast du mich verstanden?" flüsterte er gefährlich leise. ,, Du kannst mich nicht zwingen, dort zu bleiben." ,,Oh dann möchte die Dame also doch gern fraktionslos werden." ,,Das ist Erpressung!" Eric lächelte überheblich. Er hob seinen Daumen von meinem Kinn und strich über meine Lippen. Mit einem Ruck zog ich meinen Kopf zur Seite. ,,Ich habe keine Lust auf deine Spielchen." sagte ich mit klopfendem Herzen. ,,Das sah beim Training aber ganz anders aus." Ich biss die Zähne zusammen und reagierte nicht. Eric seufzte. ,,Na schön. Wie du willst."

Er lehnte sich nach hinten, ließ mich los und ging zurück Richtung Trainingshalle. Kurz vor der Tür blieb er stehen. Ich spürte dieses seltsame Prickeln, wenn man unterbewusst merkt, dass man beobachtet wird. Da hob ich den Kopf und unsere Blicke trafen sich. Verdammt! Ich müsste irgendwas sagen. Aber was? Ich will mehr als das? Ich will dich für mich allein? Was soll das mit Fenja?

,,Die Piercings stehen dir." raunte Eric, gerade so laut, dass ich es hören konnte. Dann verschwand er in der Halle und ich sank verzweifelt zurück an die Wand.