Konsequenzen

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Mit zitternden Beinen stand ich auf und lief zur Tür. Ich weiß nicht genau, was ich erwartet hatte.
Dass ich einfach so aus dem Zimmer heraus spazieren würde und alles wäre so wie vorher.
Mein Weg in die Freiheit wurde mir allerdings von einer verschlossenen Tür versperrt. Ich kochte vor Wut. [Der Typ hat sie doch nicht mehr alle! Erst droht er mir, dann will er mir raus schmeißen oder über mich herfallen? Und jetzt sperrt er mich einfach ein?]
Frustriert ließ ich mich auf dem Boden nieder.
Ich war immer eher brav und angepasst gewesen, hatte mir Mühe gegeben nicht aufzufallen um keine unnötige Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Diese blauen Pillen zu nehmen war das erste und das einzige Mal, dass ich ausbrach, aber seitdem überschlugen sich die Ereignisse.
Als würde ich absichtlich dazu herausgefordert werden, zu rebellieren. Wenn meine Eltern wüssten, dass ich auf einen Menschen geschossen hatte- Oh Gott, das dürften sie nie erfahren.
In meinen Gedanken spielte sich bereits das Verhörsszenario meines Vaters ab. ,,Du hast WAS?" hörte ich ihn in seiner wütenden Tonlage beinah schreien.
Schnell schüttelte ich meinen Kopf, um diese Szene aus meinem Gedächtnis zu verscheuchen.
Wenn er überhaupt noch bei meiner Mutter war....
Meine Eltern hatten sich schon lange nicht mehr gut verstanden und es war klar, dass es irgendwann knallen würde. Früher oder später.
Zwar taten Mom und Dad vor uns Kindern immer so, als sei alles in Ordnung- aber seit meine ältere Schwester aus dem Haus war, konnten sie den schwelenden Konflikt immer schlechter vor mir verbergen. Und wenn sie sich trennen wollten, wäre jetzt der perfekte Zeitpunkt. Da alle Kinder aus dem Haus waren...
Hilflos seufzte ich.
Schöne Scheiße.

Ruckartig ging die Tür auf und Eric kam herein. Er warf einen kontrollierenden Blick hinter sich zurück auf den Gang, bevor er dir Tür wieder schloss. Dann ruhten seine Augen ein paar Sekunden zu lange auf mir, bevor er den Mund öffnete um etwas zu sagen. Ich unterbrach ihn. ,,Du hast mich eingesperrt, verdammt noch mal."
,,Glaub mir, das war zu deiner eigenen Sicherheit." ,,Ach so? Und das kann ich nicht selbst entscheiden?"
Er warf mir einen warnend Blick zu: ,,Du bist noch immer Initiantin."
,,Eh? Was? Hei...heißt das?"
,,Trotz deiner Vergehen hast du mehr Durchsetzungsvermögen bewiesen als der Rest der Gruppe. Auf einen Feind zu schießen, wenn es ernst wird, das schaffen hier nur die wenigsten. Dennoch braucht es Konsequenzen.
Also wirst du Wache schieben, wenn alle anderen frei haben, darüber hinaus an den Wochenenden und hin und wieder nachts. Wir haben Trupps, die die Posten an den Zäunen kontrollieren. Dort wirst du mitfahren. Zusätzlich möchte ich dich beim Einzeltraining sehen. Du wirst vorher getestet. Solltest du wiederholt irgendetwas nehmen, um deine Leistung zu steigern, wars das endgültig."

Ich wäre Eric am liebsten um den Hals gefallen, auch wenn ich recht überrascht war, dass er so entschieden hatte. Er hatte schon oft genug vor der Gruppe bewiesen, dass er nicht zu den Netten gehörte und er hatte Menschenleben ausgelöscht ohne jegliche Reue.
,,Verstanden?" Eric trat einen Schritt auf mich zu und ich nickte schnell.
,,Das heißt ,,Ja, Sir." Er machte noch einen Schritt auf mich zu, sodass er dicht vor mir stand, als ich widerwillig zu ihm hoch blickte und ,,Ja, Sir." antwortete.

,,Hey! Hey, pssst! Initiatin?" rief mir ein roter Schopf entgegen. Ich nickte nur. Der Wagen bog scharf um eine Kurve und ich hatte Mühe, mich auf der überdachten Ladefläche irgendwo festzuhalten, um nicht gegen einen der Soldaten geschleudert zu werden. Der Rotschopf grinste, als ich mit verzweifelter Miene einige Zentimeter über den Boden rutschte. ,, Setz dich lieber! Das wird nicht besser."
Ich folgte seinem Vorschlag und ließ mich tollpatschig auf den Hintern plumpsen, gerade noch rechtzeitig vor der nächsten scharfen Kurve.
,,Übersteht man das ohne blaue Flecken?" stotterte ich. ,,Wohl kaum. Ich bin übrigens Ivo." ,,Hi, ich bin Alexis." ,,Ah, die dies wieder ins Ranking geschafft hat."
Ich wurde rot. ,,Du weißt das?" ,,Klar, das weiß jeder. Kommt ja nicht allzu häufig vor. Vor allem bei Eric nicht."
,,Oh Gott." stöhnte ich.

Wenn es alle wussten, dann sicher auch meine Eltern. Und dann wussten sie vielleicht auch wieso. ,, Chapeau auf jeden Fall. Kein Wunder dass du nach der Nummer bei den Wachposten bist." ,,Das wisst ihr auch?" fragte ich entsetzt. ,,Sicher. Ich meine, es kommen Fragen auf, wenn vier Feroxmitglieder abtrünnig werden und versuchen, einen der Leader zu töten. Heftige Sache. Mir tut das verdammt Leid für die Menschen, die jetzt ohne sie leben müssen. Aber Verrat in den eigenen Reihen ist niemals zu entschuldigen. Und da es Notwehr war, wird der Prozess für Eric und dich wohl kurz ausfallen." ,,P-p-prozess?"
Ich fühlte wie mir alle Farbe aus dem Gesicht wich. ,,Kein Grund zur Sorge. Notwehr kann man euch schlecht vorwerfen."
Ivo klopfte mir beruhigend auf die Schulter.

,,Ankunft Wachposten Eins." rief jemand von draußen und der Wagen blieb mit einem Ruck stehen.
Die Soldaten sprangen von der Ladefläche, gefolgt von Ivo und mir. Mir tat alles weh. Wirklich alles.
Ächzend griff ich nach dem Gewehr, das Ivo mir hin hielt. Er hatte freundliche braune Augen und zu den rötlichen Haaren ebenso einen roten Bartansatz. Sein Gesicht wirkte eher jugendhaft und ich fragte mich, wie alt er war. ,,Gehen wir zusammen auf einen Posten?"
Ivo lächelte und unter seinen Augen bildeten sich kaum merklich kleine Grübchen.
,,Für einen Ferox bist du erstaunlich nett." erwiderte ich und machte Anstalten, ihm zu folgen.
,,Tja, ich war schließlich auch mal Initiant. Darum weiß ich wie das ist. Außerdem gab es Eric damals noch nicht."
Er lief los, Richtung einer Treppe, die einer Feuerschutzleiter glich. ,,Wie meinst du das?" Ich hatte Mühe, mitzuhalten, Ivo machte scheinbar riesige Schritte. ,,Naja, Eric war damals in meiner Initiaten-Gruppe. Er kam wohl von den Ken, munkelt man. Er hat sich bei den Ferox mehr Respekt als Freunde verschafft und ständig gab es Rangeleien mit Four. Am besten kennt ihn wohl seine Ex-Freundin Caly. Das mit den beiden ist lange her, aber mit ihr war er nicht mehr so verschlossen."
Irgendwas an der Art und Weise wie er das sagte, versetzte mir einen Stich.
Allerdings konnte ich nicht einordnen, was oder wieso.
Stattdessen tauchten zwei Fragen in meinem Kopf auf und wurden unangenehmen drängend:
Wer war diese Caly? Und was war zwischen ihr und Eric passiert?

Ein bestimmter Tag XWo Geschichten leben. Entdecke jetzt