Eric zu sehen stellte mich auf eine harte Probe, denn ich wollte ihm so sehr nah sein, wie niemals zuvor. Und gleichzeitig hatte ich solche Angst davor, dass er meine Gefühle nicht erwidern würde. Es war einfacher, mit einem unsicheren <Vielleicht> zu leben als mit einem deutlichen <Nein>. Wenn ich Caly so betrachtete, verstand ich, was Eric an ihr gemocht haben musste. Sie wirkte tough und energisch, aber in einem genau richtigen Maß. Es war schwer zu beschreiben. Ich hatte weder lange Beine, noch eine so schöne Figur. Und ich war weder tough noch energisch, eher schüchtern und ein bisschen zu still. Dass ich Eric aufgefallen war, grenzte an ein gewaltiges Wunder. Bei meinem Glück hätten wir eigentlich beide von der Klippe stürzten müssen. Ich kicherte gequält.
,,Was ist denn so lustig?" raunte Eric und drehte sich zu mir. Hitze schoss mir ins Gesicht, ich fühlte mich ertappt. ,,Nichts." Eric streckte seinen Arm aus und legte seine Hand grob und bestimmt um meine Taille. Dann zog er mich mit einem Ruck zu sich heran. ,,Dir ist doch klar, dass wir beide tief in der Scheiße stecken, wegen dem was in den Gängen vom Lager passiert ist. Du hast zwar einiges an Punkten dazu gewonnen, aber das haben andere auch. Glaubst du, deswegen musst du jetzt weniger trainieren und kannst dich im Tattoostudio verkriechen?" Ich schüttelte nur stumm den Kopf. Verdammt. Verdammt. Verdammt. Was sollte ich ihm antworten? ,,Hast du dazu nichts zu sagen?" ,,A...I-ich....brauch die Pillen nicht mehr." presste ich mühevoll hervor.
Eric hob seine Augenbrauen. ,,Ach so? Ich wusste gar nicht, dass du hier auch Entscheidungen triffst?!"
Wütend versuchte ich mich aus seinem Griff zu befreien, aber Eric gab nicht nach. ,,Vielleicht war ich zu nachsichtig mit dir. Die nächsten Wochen wirst du außer von dem Raum fürs Einzeltraining und deinem zugewiesen Zimmer nichts anderes zu sehen bekommen. Hast du mich verstanden?" ,,Du kannst mich nicht einsperren." zischte ich. ,,Ich kann und ich werde. Offensichtlich verstehst du ja nur so den Ernst der Lage. Wenn es sein muss, kette ich dich an die Wand." ,,Oh, das würde dir ganz sicher gefallen. Wenn du glaubst, zwischen uns würde noch einmal etwas laufen, dann hast du dich getäuscht." ,,Spricht da etwa Eifersucht aus dir?" Erics Lippen umspielte ein süffisantes Grinsen. Irritiert schwieg ich. Woher wusste er....?Als könnte er meine Gedanken lesen, antwortete er. ,, Angstwelten verraten viel über einen Menschen. Und dass ich in deiner vorkomme, verrät mir, dass deine rebellische Gegenwehr eigentlich eher ein Kompliment ist. Für eine Candor bist du ziemlich unehrlich." Ich schnappte nach Luft. ,,Das ist nicht....das stimmt einfach nicht." ,,Stimmt einfach nicht, mmh? Oh warte- hab ich ganz vergessen- Fenja ist zu meiner persönlichen Assistentin aufgestiegen. Das stört dich doch nicht oder?" Augenblicklich ballten sich meine Hände zu Fäusten. ,,Ich mein ja nur." Eric zuckte mit den Schultern. ,, Hör auch mich zu verarschen." fauchte ich. ,,Ich höre auf. Sobald du aufhörst." Er grinste selbstgefällig. Seine Hand glitt unauffällig seitlich an meinem Körper herunter, während wir nach draußen, aus dem Gebäude traten. Als Caly sich umdrehte, zog er sie blitzartig zurück und verschränkte seine Arme hinter dem Rücken. ,, Und wie kommen wir jetzt zurück? Zu dritt auf einem Motorrad wird schwierig." Eric nickte wortlos mit dem Kopf in Richtung Straße, auf der ein Geländewagen der Ferox immer näher kam.
Zurück im Lager brachte Eric mich schnurstracks in das Zimmer, aus dem ich zum Tattoostudio geflüchtet war. ,,Ich will meine Freunde sehen." protestierte ich, während Eric mit dem Rücken zu mir an der Tür stand und am Schloss herumwerkelte. ,, Außerdem verstehe ich nicht...warum bin ich so wichtig? Warum kann ich nicht mit den anderen trainieren? Warum kann ich nicht raus?" Genervt seufzte Eric. ,,Weil du geschossen hast. Und weil du die letzte lebende Person bist..." seine Stimme wurde sehr leise. ,,die bezeugen kann, dass man versucht hat, mich zu töten." Ich hielt die Luft an. ,,Du hast keine Ahnung, wie sehr sich die Lage in letzter Zeit zugespitzt hat. Angesichts dieser Tatsache kann ich niemandem hier mehr trauen. Die Gefahr, dass man dich tötet, um meinen letzten Zeugen zu vernichten, ist zu groß."
Eric drehte sich zu mir und verschränkte seine Arme vor der Brust. Seine blauen Augen wanderten über mein Gesicht. ,,Warum hast du geschossen, Alexis? Ich wollte dich rauswerfen. Ich hab dich geschlagen. Warum hast du dich eingemischt? Du hättest mich sterben lassen können und alle deine Probleme wären gelöst gewesen."Sterben lassen? In meiner Brust meldete sich ein seltsamer Schmerz. Die Vorstellung bei den Ferox ohne Eric zu sein, löste in mir ein so schreckliches Gefühl aus, dass ich die Augen zusammen kniff und meinen Kopf schüttelte, um sie los zu werden.
,,Ich war nie gut in etwas. Weder hier beim Training, noch war ich jemals gut darin, eine Candor zu sein", begann ich zögerlich, ,,Ich war auch bei den Ferox nicht gut. Ich schätze, das Einzige, was ich kann, ist Menschen zu beschützen, die mir etwas bedeuten." Ich dachte an meine Familie, als ich das sagte. Und viel zu spät wurde mir klar, dass das aus Erics Sicht völlig falsch klang. Verblüfft kräuselte er seine Lippen. ,,I-ich meine meine Familie." stotterte ich mit hochrotem Kopf. ,,Klar."Die plötzliche Stille war grausam. Zumal ich noch immer nicht wusste, ob Eric mich wirklich mochte oder ob er nur seine Zeugin beschützen wollte, damit er seinen Posten behielt. Er hatte recht. Warum hatte ich ihm überhaupt geholfen? Eigentlich hätte er mir völlig egal sein müssen. Aber das war er nicht. Ich bildete mir ein, unter all der Härte und der Aggressivität etwas wiederzuerkennen, das ich nicht benennen konnte. Noch nicht. Ein Klicken ließ mich erschrocken zusammenzucken.
Eric hatte die Gurte seiner Weste gelöst, sie ausgezogen und war an die kleine Waschbeckenecke getreten, die in dem Zimmer installiert war. Er drehte den Wasserhahn auf und schöpfte mit den Händen ein wenig von der kühlen Flüssigkeit, um sich das Gesicht abzuwaschen. ,,Hast du schon mal aus dem Wasserhahn getrunken?" fragte er völlig unvermittelt und beugte sich vor, um mit dem Mund das Wasser anzufangen. Meine Kehle war staubtrocken, als ich beobachtete wie einige Wassertropfen sein Kinn herunterrannen, über seinen Hals, den Adamsapfel bis hin zu seiner Brust. [Verflucht, ich sollte Abstand gewinnen. Warum nur fiel mir das so unheimlich schwer?]
Eric grinste und mir wurde klar, dass er es bewusst darauf angelegt hatte, mich zu provozieren. ,,Na los, komm her." Ich schnaubte und schüttelte stur den Kopf. ,, Für sowas bin ich zu alt." behauptete ich. Eric stützte seine Hände links und rechts auf dem Waschbecken ab. ,,Entweder du kommst freiwillig oder ich hole dich. Du hast die Wahl." ,,Oh wie großzügig. Ich wähle Antwort C: Nein." Trotzig reckte ich mein Kinn nach vorne, festentschlossen, mein Ziel Eric nicht mehr zu nah zu kommen bis zum bitteren Ende zu verfolgen. Eric knurrte leise und war mit drei großen Schritten bei mir. Er griff mir in die Haare und drückte meinen Kopf nach vorne, ganz nah an sein Gesicht.
,,Was genau von dem Punkt "Entscheidungen treffen" hast du nicht verstanden?"
,,Lass mich doch gehen." keuchte ich. ,,Was willst du von mir? Ich bin nur eine Initiantin und dazu keine besonders Gute." ,,Du hast ja keine Ahnung." Eric schlang seine Arme um meinen Körper, zog meine Hände hinter meinem Rücken zusammen und drängte mich Richtung Waschbecken. Über dem Wasserhahn hing ein kleiner Spiegel. ,,Schau hinein und sag mir was du siehst." flüsterte er, während seine rechte Hand um meine Taille glitt, nach vorne zu meinen Brüsten. Ich biss die Zähne zusammen. Sein Körper dicht an meinen Rücken strömte eine unwiderstehliche Wärme aus und ich kämpfte verzweifelt gegen das Gefühl, das er in mir entfachte. [Zum Teufel mit dir, Coulter!] fluchte ich in Gedanken. Ein heißer Atemzug streifte mein Ohr und ich versuchte mich in einem Anflug von letztem Widerstand aus Erics Griff zu befreien. Genauso gut hätte ich versuchen können, mich aus Hulks Griff zu winden.,,Lass mich los!" Erics Griff wurde noch fester. ,,Beantworte meine Frage und ich überlege es mir." ,,Ich sehe...ein ganz normales Mädchen....eine Initiantin bei den Ferox, die von ihrem Anführer ihrer Freiheit beraubt wird." Eric verzog das Gesicht und begann schallend zu lachen. ,,Nicht schlecht. Aber vielleicht ist es auch umgekehrt und die Initiantin beraubt den Anführer seiner Freiheit." Mein Herz setzte einen Schlag aus. ,,Was?" Eric antwortete nicht und unsere Blicke begegneten sich im Spiegel. Seine blauen Augen verdunkelten sich und wirkten bedrohlich besitzergreifend. Ein heißer Blitz jagte abermals durch meinen Körper und ich wusste, dass jegliche Chance, eine Barriere zwischen uns aufzubauen, um ihm fern zu bleiben, innerhalb einer Sekunde im Nichts verpufft war.
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Ein bestimmter Tag X
FanfictionWas passiert, wenn man als Initiantin bei den Ferox gründlich versagt, aber um jeden Preis im Ranking bleiben will? Und wenn dann auch noch der allseits gefürchtete und überaus fiese Anführer durch einen Zwischenfall ein Auge auf einen wirft... Alex...