Vor mir stand Bathilda Bagshot, meine Großtante. Bei ihr hatte ich gelebt, als ich Albus damals kennengelernt hatte. Ihr Gesicht, ihr Blick, war unweigerlich mit den Erinnerungen an Albus verbunden.
Ihr Gesicht hatte sich kaum verändert, der Ausdruck in ihren Augen war derselbe wie damals und das erste Mal seit Jahren spürte ich ein schlechtes Gewissen in mir aufsteigen. Denn als ich Albus vorhin gesagt hatte, dass er der Einzige gewesen war, der mich trotz allem geliebt hatte, war das nicht die Wahrheit gewesen. Ich wusste natürlich, tief in mir verborgen, dass meine Eltern mich geliebt hatten. Aber sie waren nicht hier und außerdem war ich damals ein ganz anderer Mensch gewesen. Vermutlich würden sie mich jetzt ohnehin dafür, wofür ich stand, verachten. Allen voran mein Vater, der den Muggeln gegenüber freundlich gesonnen war, sich für sie und gegen die Gesetze gegen sie eingesetzt hat. Er hat versucht sie zu schützen und ihnen zu helfen, soweit er konnte, was letztendlich seinen Untergang bedeutet hatte.
Der einzige Mensch, von Albus abgesehen, der diesen Menschen, der ich nach all den Jahren geworden war, kennengelernt und trotzdem hatte lieben können, war Bathilda gewesen. Inzwischen verachtete sie mich sicher, so wie alle anderen auch, und so egal mir das bei den anderen war, umso trauriger machte mich dieser Gedanke jetzt bei meiner Großtante, ohne die so vieles anders und vielleicht schlimmer gekommen wäre. Sie war die einzige Person, zu der ich jetzt noch gehen konnte und dass sie in dem Moment, in dem ich sie am meisten brauchte, vor mir auftauchte, sah ich als ein gutes Zeichen an.
Langsam kam Bathilda auf mich zu und zog mich schließlich in eine feste Umarmung, die ich unbeholfen erwiderte. „Es ist schön, dich zu sehen, Gellert", murmelte sie und überraschte mich damit. Ich antwortete ihr nicht, schwieg, weil ich nicht wusste, was ich hätte sagen können. Ich fürchtete, dass der Ruhe ein Donnerwetter folgen würde.
Wir lösten uns aus der Umarmung, Bathilda hielt mich nun auf Armlänge von sich weg. „Was hast du nur wieder angestellt, Junge?" Ihre Stimme klang brüchiger als ich sie in Erinnerung hatte, aber es lag der gleiche Ton an Besorgnis und Tadel darin, wie damals, wenn sie mich aufgefordert hatte, ihr zu erzählen, was ich verbrochen hatte, um der Schule verwiesen zu werden.
„Ich habe ihnen das gegeben, was sie verdienen. Und auch wenn ich weiß, dass dir das nicht gefällt, werde ich mich dafür nicht entschuldigen können."
Traurig lächelte meine Großtante. „Weißt du, es macht mir Angst, aber ich verstehe, wieso du so denkst. Und trotzdem würde ich dir gern eine dafür verpassen, Gellert. Was hast du dir dabei gedacht?" Ihre Stimme wurde jetzt fester, lauter und erinnerte mich damit wieder mehr an die temperamentvolle Frau, die ich von damals in Erinnerung hatte.
„Und was mich noch viel mehr interessiert", fährt sie fort, „ist: wieso hast du dich nie bei mir gemeldet, Gellert? Ich habe mir Sorgen gemacht um dich und schließlich um den Rest der Welt. Ich wusste, wozu du in der Lage bist. Und wie sich herausgestellt hat, waren meine Sorgen keinesfalls unbegründet."
„Nachdem ich gegangen bin", setzte ich vorsichtig zu einer Erklärung an, „konnte ich nicht mehr hierher zurückkehren. Ich musste das alles hinter mir lassen, um zu überleben."
„Warum bist zu nun zurückgekehrt?", wollte meine Großtante von mir wissen.
„Es war... eine spontane Entscheidung", log ich, denn ich wollte nicht über Albus reden, „und ich bin froh, dass es dir gut geht, aber ich fürchte, ich kann nicht bleiben. Auch wenn ich nicht wirklich weiß, wohin ich sonst gehen soll." Meine eigene Ehrlichkeit verunsicherte mich mit einem Mal. Konnte ich mir sicher sein, dass Bathilda noch auf meiner Seite stand?
„Bitte, mein Junge, bleib noch etwas", bat mich meine Großtante. Dass ich mich all die Jahre nie hatte blicken lassen und keinen Moment darüber nachgedacht hatte, was das mit Bathilda angestellt haben musste, traf mich nun aus heiterem Himmel mitten ins Gesicht.
![](https://img.wattpad.com/cover/309701928-288-k888238.jpg)
DU LIEST GERADE
Phönixasche (Grindeldore)
FanfictionNachdem die Machtübernahme Grindelwalds nur knapp abgewendet werden konnte, zieht sich der dunkle Zauberer nach Nurmengard zurück und beginnt schon bald damit, neue Pläne zu schmieden, die ihn seiner Vision einer gerechteren Welt näherbringen sollen...