Auch am Abend, als wir gemeinsam zusammensaßen, war Isaac noch mehr oder weniger eingeschnappt. Er war sehr ehrgeizig und die Niederlage, die er heute Nachmittag gegen seinen vermeintlich besten Freund hatte einstecken müssen, noch dazu vor seinem Lehrer, hatte seinem Ego einen herben Schlag verpasst. Ich hielt gerade ein Schulbuch in der Hand und tat so als würde ich darin lesen, während ich mir in Wirklichkeit überlegte, wie meine nächsten Schritte aussehen könnten. Auf jeden Fall würde ich Geduld haben müssen. Ich wusste, dass an Albus schwer heranzukommen war und dass er eine vorsichtige, jedoch trotzdem freundliche, Distanz zu seinen Schülern wahrte, was es mir nicht leichter machte. Ich musste also einen Weg finden, diese Distanz unmerklich zu verringern. Erst hatte ich überlegt, mir eine herzzerreißende Geschichte auszudenken und so sein Mitleid zu erregen, mir war aber schnell klar gewesen, dass das bei Albus nicht auf fruchtbaren Boden fallen würde. Er war ein sehr empathischer Mensch, doch mit dem Verteilen von Mitleid hielt er sich zurück.
Ich sah aus meinem Buch auf und beobachtete Isaac dabei, wie er verbissen seine Hausaufgaben erledigte. Im Moment konnte ich nichts dafür tun, weiter zu unserem Lehrer vorzudringen, also beschloss ich, mich vorerst auf andere Wege zu fokussieren. Den Ehrgeiz, den Isaac an den Tag legte, wollte ich mir zu Nutze machen.
„Du, Isaac", begann ich vorsichtig und sah meinen Mitschüler an. Dieser hob seinen Kopf, sein Blick war düster. „Du bist mir doch nicht noch böse oder?", wollte ich wissen.
Isaac schnaubte. „Das würde dir so passen."
Beschwichtigend hob ich die Hände. „Es tut mir leid", log ich. „Wenn du magst, kann ich dir vielleicht ein paar... Tipps geben." Ich bemühte mich, diese Aussage nicht abgehoben klingen zu lassen.
Das Angebot war mehr ein Vorwand als ein Vorschlag. Wenn ich mit ihm alleine war und ihm das Gefühl gab, meine Macht mit ihm zu teilen, würde er sich höchstwahrscheinlich mehr dafür öffnen, was ich ihm zu sagen hatte und dem eher Glauben schenken. Ich konnte Zweifel säen in seinem kleinen Kopf.
Isaac murmelte etwas Unverständliches zu sich selbst. Ihm widerstrebte es, Hilfe anzunehmen. Schließlich gab er sich aber einen Ruck und nickte. „Gut, abgemacht."
Die nächsten Wochen verbrachte ich damit, meinem Mitschüler ein paar mehr oder weniger hilfreiche Techniken beizubringen. Selbstverständlich keine, die er in irgendeiner Form wirksam gegen mich verwenden konnte. Dafür war er, trotz seiner überdurchschnittlich ausgeprägten Fähigkeiten, ohnehin nicht talentiert genug. Ich wollte ihm nur das Gefühl geben, verstanden zu werden und nicht allein zu sein, damit er sich mir gegenüber öffnete und sein Unterbewusstsein zuließ, dass ich ihm Gedanken in den Kopf pflanzte. Tatsächlich machte er schnell Fortschritte und er schien mir überaus dankbar für meine Hilfe zu sein.
„Ich weiß zu schätzen, dass du das machst, Daniel", gab er an einem Nachmittag zu. „Nicht nur wegen meiner Leistung im Unterricht. Ich denke, dass sich meine Chancen, mich erfolgreich zu verteidigen, mehr als verdoppelt haben. Nachdem du mich im Unterricht so mühelos besiegt hast, hatte ich das Gefühl, leichte Beute zu sein." In seinen Augen konnte ich eine Spur Furcht erkennen. Das spielte mir in die Karten.
„Leichte Beute für wen? Für die Muggel? Die pustest du doch im Handumdrehen weg", lachte ich.
Isaac schüttelte den Kopf, sein Blick blieb ernst. „Nein, gegen Grindelwald und seine Anhänger. Von dem, was man so hört, schreckt er vor nichts zurück, er ist unglaublich mächtig." Recht hatte er.
Ich neigte meinen Kopf von der einen zur anderen Seite. „Sicher ist er das", stimmte ich nach einigen Sekunden zu. „Doch warum sollte er Leute wie uns angreifen? Er kämpft nicht gegen uns, er kämpft gegen die Muggel."
Der Ausdruck meines Gegenübers veränderte sich, wurde skeptisch. „Wenn wir im Weg stehen, wird er darauf aber keine Rücksicht nehmen."
„Dann", setzte ich an, „sollten wir uns ihm nicht in den Weg stellen."
DU LIEST GERADE
Phönixasche (Grindeldore)
FanficNachdem die Machtübernahme Grindelwalds nur knapp abgewendet werden konnte, zieht sich der dunkle Zauberer nach Nurmengard zurück und beginnt schon bald damit, neue Pläne zu schmieden, die ihn seiner Vision einer gerechteren Welt näherbringen sollen...