Leise kehrte ich in mein Bett zurück. Ich war in der Hoffnung aufgestanden, ein nächtlicher Spaziergang würde mir Ruhe vor meinem Gedankenchaos bringen, aber da hatte ich mich geirrt. Ratlos drückte ich mein Gesicht in das Kissen. Zwei Wochen hatte ich noch zu überstehen. Eine kurze Zeit, wenn man es von der einen Seite betrachtete. Für mich fühlte es sich aber gerade weiter entfernt an als ein ganzes Jahrzehnt. Ich könnte mir irgendetwas zusammenbrauen, was mich für ein paar Tage außer Gefecht setzte. Ich würde im Krankenflügen bleiben und... vielleicht zu schwach dazu sein, meine Gestalt versteckt zu halten. Es war keine Option. Noch dazu, war es feige. Ich sollte mich zusammenreißen.
Es vergingen keine zwei Stunden, bis meine Mitschüler begannen, sich zu regen und langsam aufzustehen. Ich fühlte mich kraftlos wie lange nicht und wäre am liebsten den ganzen Tag im Bett geblieben. Aber ich wusste, dass ich so nicht vorankommen würde. Sich zu verstecken, war keine Lösung, ganz abgesehen davon, dass es auffallen würde und das musste nach der langen Zeit, die ich es geschafft hatte, unentdeckt zu bleiben, nicht noch in letzter Minute passieren. Also stand ich auf, mit Gliedern, die sich so schwer anfühlten wie Blei.
Ich versuchte, mich, so gut es eben ging, mit anderen Dingen zu beschäftigen. Am Frühstückstisch ließ ich die Zweifel wachsen und im Unterricht überlegte ich mir meine nächsten Schritte. In Nurmengard hätte ich tolle Bücher gehabt, um meine Emotionen, die ab und zu an meine Oberfläche wollten, zu verdrängen. Ich hatte immer etwas Sinnvolles zu tun gehabt. Aber hier gab es all das nicht, ich war nur damit beschäftig meine Fassade aufrechtzuerhalten, was mich mit jedem Tag, der verging, mehr Kraft kostete. Ab und zu drängte sich das Bild, das der Spiegel mir gezeigt hatte, in mein Bewusstsein, machte mich wütend. Tief atmete ich durch. Wut brachte mich nicht weiter.
Mein Zwiespalt zwischen meinem Plan und meinem schlechten Gewissen Albus gegenüber, das gestern Nacht zum Vorschein gekommen war, verstärkte sich, wenn ich Albus ansah. Seinen Blicken wich ich sogar manchmal aus, weil es mir schwerfiel, die Kontrolle über meine Gesichtszüge allezeit aufrechtzuerhalten und ich ab und zu eine Pause davon brauchte. Ich war so müde von allem.
Ihm auszuweichen, wo es nur ging, während ich mich um die anderen Schüler und das Manipulieren dieser kümmerte, würde allerdings nur solange kein Problem sein, bis wir mit ihm gemeinsam Unterricht hatten und dieser Tag rückte allmählich näher. Allein bei dem Gedanken daran, wurde mir so übel, dass ich mich hätte in der nächstgelegenen Ecke übergeben können. Was war los mit mir? Selbst wenn Albus die Wahrheit über den Spiegel gesagt hatte und dieser wirklich den sehnlichsten Wunsch des Herzens zeigte – was ich bezweifelte –, musste ich diesem Wunsch doch nicht nachgehen oder mich ihm beugen! Mein Verstand war schärfer als die Kanten der Scherben, die durch den Raum geflogen wären, hätte Albus mich nicht davon abgehalten, diesen verdammten Spiegel zu sprengen. Ich war nicht abhängig von meinen Gefühlen, ich war vor allem nicht abhängig von Albus – zumindest musste ich es nicht sein, wenn ich mich zusammenriss. Ich hatte lang genug abgekoppelt von solchen Emotionen gelebt und es fiel mir schwer, zu glauben, dass all die Arbeit, die ich darin investiert hatte, nach so kurzer Zeit hier, völlig umsonst gewesen sein sollte. Ich musste nur wieder auf die richtige Bahn finden und das würde mir auch gelingen, wenn ich mich nur etwas zusammennahm und ich endlich hier rauskam!
Diese Zuversicht schwand, als ich ein paar Tage später, gemeinsam mit Isaac und Neil, Albus' Klassenraum betrat. Als ich ihn erblickte, konnte ich mich nur schwer davon abhalten, instinktiv wieder einige Schritte zurückzuweichen. Ich atmete einmal tief ein, riss mich zusammen und folgte den beiden Jungen, die sich – wie immer – in die erste Reihe setzten. Nur um meine Fassade aufrecht zu erhalten, setzte ich mich auch dieses Mal dazu, obwohl es mir mehr widerstrebte als jemals zuvor. Albus und seine bescheuerten Muggel konnten mir allesamt gestohlen bleiben.
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Phönixasche (Grindeldore)
FanficNachdem die Machtübernahme Grindelwalds nur knapp abgewendet werden konnte, zieht sich der dunkle Zauberer nach Nurmengard zurück und beginnt schon bald damit, neue Pläne zu schmieden, die ihn seiner Vision einer gerechteren Welt näherbringen sollen...