Kapitel 9: Ferien

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Ich sprach mit niemandem ein Wort. Weder grüßte ich Menschen, die mir auf meinem Rückweg vereinzelt entgegenkamen, noch beachtete ich meine Mitschüler, als ich in den Schlafsaal zurückkehrte. Ohne jemandem auch nur einen Blick zu schenken, ließ ich mich ins Bett fallen und wartete darauf, dass der Schlaf mich in seine Tiefen zog, mich vergessen ließ.

Doch das tat er nicht. Ich hatte die Nase voll von allem hier, drehte mich entnervt auf meinen Rücken und starrte nach oben. Vor meinen Augen begann es, zu flimmern. Das Flimmern wurde zu einem verschwommenen Bild und bevor es schärfer wurde, erkannte ich bereits Albus' Gesicht, das nur wenige Zentimeter von meinem entfernt war. Sehnsüchtig blickte er mich an. Wir waren uns so nah, dass ich die Reflektion meines eigenen Gesichts in seinen Augen erkennen konnte. Gespannt hielt ich die Luft an. Schlagartig veränderte sich der Ausdruck in Albus' Gesicht und im selben Moment erkannte ich aus dem Augenwinkel, wie sich ein Zauberstab in meine Schläfe bohrte.
Das Bild brannte sich in mein Gedächtnis ein.

Als ich blinzelte, umgab mich wieder völlige Dunkelheit. Ich wusste nichts mit diesem Schnipsel einer Vision anzufangen, war nur noch verwirrter als vorher und die Kontrolle zu behalten, fühlte sich noch einmal schwieriger an als zuvor. Meine Wut brachte mich nicht weiter, ich musste konstruktiv denken. Aber wie dachte man konstruktiv, wie kam man weiter, wenn es nichts gab, woran man sich festzuhalten wusste?

Als ich die Augen öffnete war ich mir erst sicher, keine Sekunde lang geschlafen zu haben. Irgendwann nach einer Ewigkeit musste ich jedoch eingeschlafen sein, denn ich sah bereits ein wenig Tageslicht durch das Fenster sickern. Es war Zeit, aufzustehen und mich durch den Tag zu kämpfen. Ich nahm mir fest vor, meinen Mitschülern heute eine überzeugende Lüge aufzutischen. Auch wenn ich nach den Ferien nicht mehr hier sein würde, war es weiterhin wichtig, was sie in mir sahen; vielleicht sogar wichtiger als in der Zeit, die ich hier verbracht hatte.

Beim Frühstück war die Stimmung ausgelassen. Alle waren froh, bald frei zu haben und nach Hause zurückkehren zu können. Auch ich war sehr erleichtert darüber, endlich von diesem Ort verschwinden zu können. Albus machte mich weich. Außerdem war ich es leid, dass man mir sagte, was ich zu tun hatte. Vermutlich war das der Hauptgrund für meine Erschöpfung.

Bevor es jedoch soweit war und ich endlich diesen verfluchten Ort hinter mir lassen konnte, hatte ich noch ein paar Dinge zu erledigen. Neil ließ mir keine Zeit, ein Gespräch zu beginnen. Mit meinem Niederlassen am Tisch plapperte er schon auf mich ein. „Was war gestern mit dir los, Daniel?" Ich seufzte innerlich, natürlich hatte ich mit der Frage gerechnet.

„Ach", antworte ich wie nebenbei, „ich bin allgemein schon am Ende mit meinen Nerven, der ganze Stress und so, ihr wisst schon. Und gestern habe ich einen Brief von meinen Eltern bekommen. Sie haben mir mitgeteilt, dass ich über die Ferien nicht bei ihnen bleiben kann, weil sie unerwartet unterwegs sind und dann am Abend kam einfach alles zusammen, ihr wisst ja, wie das ist."

Mitfühlend sahen die beiden Schüler mich an. „Das ist scheiße", stimmte Isaac zu. „Weißt du denn schon, wo du stattdessen bleibst? Oder bleibst du hier?"

Schnell schüttelte ich den Kopf. „Nein. So sehr ich es hier auch mag, ich brauche mal ein paar Tage Ruhe vor diesem Ort."

„Ich glaube", nuschelte ich nach einigen Minuten der Stille, während ich mein Toast zerkaute, „ich werde einen alten Bekannten fragen, ob ich bei ihm unterkommen kann. Erst vor ein paar Wochen habe ich einen Brief von ihm erhalten. Ohnehin ist das wahrscheinlich angenehmer als ein Aufenthalt bei meinen Eltern. Er ist ein bisschen-", ich beugte mich näher zu den Jungen, damit nur sie mich hören konnten, „offener und weniger liniengetreu, wenn ihr wisst, was ich meine. Er bildet sich gern seine eigene Meinung über die aktuellen Geschehnisse."

Phönixasche (Grindeldore)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt