Bereits seit zwei Stunden lag der Vampir auf der Lauer. Es war ein unglaublich warmer Tag und die Sonne brannte heiß auf ihn hinab. Doch er genoss sie, wo er sie doch so lange nicht mehr hatte spüren können. Als er noch ein kleiner Junge gewesen war, hatte er jede freie Sekunde genutzt, um draußen zu spielen und ab jetzt nahm er sich vor, das wieder zu tun. Lediglich die Art der Spiele hatte sich geändert. Vom Ballspiel mit den anderen Kindern in seinem Heimatdorf im Süden Indiens, zu Psychospielchen mit der gefährlichsten Vampirjäger Organisation der Geschichte.
Denn das war der einzige Grund, weshalb er Mara drei Tage nach ihrem Albtraum dazu überreden konnte, ihm ihr Blut zu geben. Er musste herausfinden, was ihr Onkel plante. Und das tat er mit Vergnügen. Noch spaßiger wäre es nur noch, Dabrio Dinora endlich sein verdorbenes Herz aus der Brust zu reißen.
Aber das musste noch warten. Zumindest ein bisschen. Doch es würde passieren, das schwor Javed sich. Und der Tag, an dem das passieren würde, wäre einer der Besten in seinem ewigen Leben.
Als er gerade begann, sich die vielen Arten auszumalen, wie er Dabrio foltern und quälen konnte, passierte etwas. Die Tür des Hauses, auf dessen Flachdach er kauerte, öffnete sich. Sofort war er in Alarmbereitschaft.
In diesem Gebäude hatten gerade eben wohl Gespräche darüber stattgefunden, was der nächste Schachzug sein sollte. Und obwohl die Wände dünn waren, hatte Javed kein Wort gehört. Sie mussten einen Schutzzauber mit Holzspänen gewirkt haben. Diese Art Magie blockierte, wie allgemein bekannt war, jegliche Art vampirischer Kraft, die von außen eindringen wollte. Also auch das Gehör.
Doch jetzt, wo eine Frau Anfang 50 das Gebäude verließ, konnte er sie verfolgen. Und bestechen. Javed kannte sie noch von früher und wusste daher, dass ihr Geld wichtiger war als die Prinzipien der Organisation, der ihre Familie schon seit Generationen angehörte.
Geduldig wartete der Vampir eine Weile und sprang dann von Dach zu Dach, bis er elegant neben der weißhaarigen Frau landete. "Hallo Melanie."
"Javed!", rief sie überrascht aus. Sofort sprach sie jedoch in einem ruhigeren Ton weiter. "Wie lange haben wir uns schon nicht mehr gesehen? Zehn Jahre?"
"Mittlerweile fast zwanzig", meinte er kühl.
"So lange schon? Du hast dich rein gar nicht verändert, mein Guter."
"Das kann man von dir nicht behaupten." Sich einzuschleimen brachte nichts. Nicht bei Melanie. Da kam man mit brutaler Ehrlichkeit deutlich weiter.
Melanie nickte zustimmend. "Nicht jeder kann ewig jung und schön bleiben. Manche von uns werden irgendwann zu verschrumpelten, verwesenden Leichen. Was mich zu meiner nächsten Frage bringt: Wieso verschwendest du deine Zeit mit jemandem, der in wenigen Jahrzehnten tot sein wird?"
Ihre Direktheit war es, was er an ihr mochte. "Worüber habt ihr dort drinnen geredet?"
Melanie lachte. "Du weißt, dass ich dir das nicht erzählen darf."
"Nenn mir deinen Preis."
"Charmant wie immer. Aber das kann ich dir nicht durchgehen lassen. Nicht dieses Mal. Das Licht muss vernichtet werden. Schau dich doch mal an. Du bist bei Tag draußen. Das ist nicht natürlich. Und es muss aufhören. Aber danke für den Tipp. Jetzt wissen wir, mit wem Amara zu tun hat." Sie beförderte blitzschnell einen Pfahl aus der Tasche um Javed zu töten.
Einsetzen konnte sie ihn jedoch nicht. Der Vampir war schneller und brach ihr mit einer einfachen Handbewegung das Genick. Das hatte sie sich selbst zuzuschreiben.
Was er mit der Leiche machen würde, war schnell klar. Er brachte sie unauffällig zu dem Hochhaus, in dem ihr Apartment lag. Dort drapierte er sie so am unteren Ende der Treppe, dass es wie ein Sturz aussah. Natürlich nicht, ohne vorher ihre Taschen nach Hinweisen auf Pläne zu untersuchen. Dabei fand er jedoch nichts.
Zumindest wusste er jetzt aber eines mit Gewissheit: Mara steckte nicht mit den Tenebris unter einer Decke.
"Welche Nachrichten wollt ihr als Erstes hören? Die Guten oder die Schlechten?", fragte Javed kurze Zeit später, als er mit Will und Mara im Wohnzimmer saß. Die beiden hatten sich nach seinem Wissen wieder vertragen, doch Mara war weiterhin distanziert. In solchen Momenten war er froh, keine emotionalen Bindungen einzugehen.
"Die Schlechten", sagte Mara. Sie war ihm gegenüber so gehässig wie eh und je. Aber er konnte es ihr nicht mehr wirklich verübeln.
"Die Tenebris wollen dich wirklich um jeden Preis tot sehen. Selbst die, die noch am Ehesten auf unserer Seite stehen." Er redete es nicht schön, versuchte nicht, es auszuschmücken. Es ein Problem. Ein Problem, das sie alle umbringen konnte.
Mara schluckte hörbar und William fragte: "Was sind die guten Nachrichten?"
Javeds Gedanken wanderten zu Melanies Leiche, die mittlerweile wohl gefunden worden war. "Wir haben eine Tenebris weniger zu töten. Meine Informantin hat sich als potenzielle Gefahr entpuppt."
"Du hast sie einfach umgebracht? Ihr wart Verbündete!", rief Mara aufgebracht.
Diese menschliche Vertrauensseligkeit... Javed vermisste sie nicht im Geringsten. "Wir hatten Deals", korrigierte er daher. "Geld im Austausch für Informationen. Sie hat das Interesse daran verloren. Damit war sie nur noch eine Feindin. Aber falls es dich beruhigt, es war ein schneller Tod. Außerdem wollte sie uns verraten. Ich musste mich entscheiden, sie oder wir."
"Hast du sonst noch etwas herausgefunden?", wollte William wissen. "Etwas, das uns weiterbringt?"
"Nein", gestand Javed und schloss für einen Moment die Augen. Seine nächsten Sätze würde er bereuen, das wusste er jetzt schon. "Das Gebäude, in dem sie sich getroffen haben, wird von einem Zauber geschützt, den ich nicht durchbrechen kann. Das wird bei all ihren Häusern so sein. Wir können sie darin nicht hören. Kein Vampir kann das. Zumindest kein Gewöhnlicher."
Mara verdrehte die Augen. "Überspring das Drama und spuck's einfach aus. Du kennst jemanden, der es kann, richtig?"
Javed nickte. "Richtig. Ich werde sie bitten, herzukommen. Aber niemand erzählt ihr vom Blut, verstanden? Wir müssen erst sicher sein, dass wir ihr vertrauen können."
Will runzelte die Stirn. "Wie groß ist die Chance, dass wir das können?"
"In etwa 50 Prozent. Sie ist sehr sprunghaft. Aber sie ist mächtig. Wenn sie sich uns anschließt, haben wir einen entscheidenden Vorteil." Es gefiel Javed zwar nicht, das zu sagen, aber es stimmte. Ihre Kraft konnte entscheidend für alle weiteren Pläne sein.
"Also, was genau soll sie tun?", fragte Mara. "Belauschen, was die Tenebris reden? Und was noch?"
"Falls es zu einem Kampf kommt, ist sie ebenfalls unsere Geheimwaffe. Sie hat eine gewisse... Immunität gegenüber einigen Dingen."
"Was zum Beispiel?"
Javed schüttelte den Kopf. "Das spielt keine Rolle. Noch nicht. Zuerst muss sie überhaupt zustimmen, uns zu helfen." Und das könnte schwierig werden.
DU LIEST GERADE
The Light - Blut des Lebens
ParanormalMara wollte immer nur eines. Leben. Doch in letzter Zeit wurde das immer schwieriger. Als sich der junge Will jedoch dazu entschließt, sie vor dem Tod zu bewahren, dachten sie beide, dass nun alles besser werden würde. Falsch gedacht. Als sie in ein...