Kapitel 20

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"Warte, du bist wirklich ins falsche Haus gelaufen?", fragte Fallon ungläubig als Mara fertig erzählt hatte.

"Ohne mit der Wimper zu zucken", bestätigte diese lachend und wünschte sich, die Nacht damals rückgängig machen zu können. "Seit dem trinke ich keinen Alkohol mehr."

Denn mit 15 hatte sie es für eine gute Idee gehalten, sich mit einer Freundin auf einer Party völlig zu besaufen. Diese Freundin hatte sie damals gebeten, ihre Hausschlüssel in ihrer Tasche aufzubewahren, da sie selbst keine dabei hatte.

Mara hatte es getan und war am Ende so dicht, dass sie tatsächlich mit dem Ersatzschlüssel ihrer Freundin zu deren Oma gegangen war, die nur ein Stockwerk weiter unter ihr gewohnt hatte. Sie war in die Wohnung gegangen und hatte sich zum Schlafen aufs Sofa gelegt. Und am nächsten Morgen war das Geschrei groß. Sie hatte sich nie wieder dort blicken lassen.

"Das war garantiert witzig", meinte Fallon.

"Für alle anderen wahrscheinlich. Für mich war es zu dem Zeitpunkt eher peinlich. Ich meine, ich war nicht mal 16. Ich darf ja jetzt noch nicht mal legal Alkohol trinken."

Sie legte den Kopf in den Nacken und wollte noch etwas sagen, doch Wills fast schon panische Stimme unterbrach sie. "Mara! Fallon! Wir brauchen Hilfe!"

Die Vampirin war als erstes unten, Mara folgte nur Sekunden später. Was sie sah drehte ihr den Magen um. Javed lag auf dem Boden im Flur, blutend. Sie hatte nie so viel Blut gesehen. In Massen floss es aus einer klaffenden Wunde in seiner Brust. Beinahe hätte sie sich übergeben müssen.

Glücklicherweise ging es Fallon jedoch nicht so. "Wir bringen ihn ins Wohnzimmer", entschied sie und befahl Will, ihr zu helfen, ihn rüber zu tragen. Javed selbst war nicht bei Bewusstsein. "Was ist passiert?", fragte sie, während sie ihn aufs Sofa hievten.

"Die Tenebris", keuchte Will. "Wir waren im Wald und sie haben uns entdeckt. Die Kugeln... ich konnte sie nicht rausholen."

Fallon fluchte. "Mara, in meinem Zimmer steht unter dem Bett eine weiße Tasche. Darin ist eine Zange. Die brauche ich. Beeil dich."

Sofort rannte sie los, stolperte auf der Treppe beinahe und riss die Tür zu Fallons Schlafzimmer auf. Was würde passieren, wenn sie nicht schnell genug war? Würde Javed sterben? Sicher, sie konnte ihn nicht leiden, aber das wollte sie trotzdem nicht. So schnell es ging packte sie die Zange und rannte zurück nach unten. Es war eine schmale Zange, definitiv ein medizinisches Werkzeug, aber nichts, was sie von irgendeinem Arzt kannte.

Wieder im Wohnzimmer angekommen hatte Fallon Javed bereits das Oberteil ausgezogen. So sah er noch schlimmer aus. Überall war Blut. Man erkannte seinen Körper kaum noch.

"Ich werde jetzt die Kugeln rausziehen", kündigte Fallon an. "Will, du hältst ihn fest. Falls er aufwacht darf er sich nicht wehren, das könnte es noch schlimmer machen."

Will nickte, also sprach sie weiter. "Mara, Javed wird Blut brauchen, sobald die Kugeln draußen sind. Frisches Blut."

Ihr entschuldigender Blick und die Tatsache, dass Mara der einzige Mensch im Haus war, sagten alles. Sie nickte. "Okay. Was genau soll ich tun?"

"Am besten wäre es, wenn du bereits blutest. Nur ein bisschen, aber er wird nicht direkt aus eigener Kraft zubeißen können."

Mara nickte. "Ich hole ein Messer."

"Warte, das dauert zu lang. Gib mir nur schnell deine Hand." Sobald Fallon Maras Hand ergriffen hatte, biss sie in ihr Handgelenk. "Halte ihm das an den Mund."

Sie tat wie ihr geheißen und sah gleichzeitig, wie angespannt Will war. Natürlich. Ihr Blut - frisches menschliches Blut. Es musste ihn unglaubliche Kraft kosten, nicht die Kontrolle zu verlieren. Aber er schaffte es. Irgendwie.

Fallon holte tief Luft und stocherte anschließend mit der Zange in Javeds Brustkorb herum. Es klang grässlich und sah noch viel grausamer aus, aber die Vampirin verzog keine Miene. Sie arbeitete mit schier brutaler Effizienz.

Beinahe zehn Minuten dauerte es, bis sie die drei Kugeln herausgezogen hatte. Javed war in dieser Zeit immer blasser geworden. Seine Haut hatte einen viel zu hellen Grauton angenommen. Und selbst nachdem Fallon die Zange weggelegt hatte, dauerte es noch ein paar Minuten, bis Mara den Schmerz an ihrem Handgelenk spürte, als Javed zubiss.

Es kam so plötzlich, dass sie aufschrie. Dieser Schmerz war schrecklich, aber sie presste die Lippen zusammen. Sie würde es schon überleben. Beruhigend schaute sie erst Fallon und dann Will an. Die beiden machten sich offensichtlich Sorgen, besonders letzterer.

Die Vampirin war da etwas entspannter, aber sie nahm Maras freie Hand um sie vom Schmerz abzulenken. Dankbar lächelte diese ein wenig und versuchte, sich nur darauf zu konzentrieren. Aber verdammt, tat das trotzdem weh. Wenn das alles vorbei war, war Javed ihr sowas von etwas schuldig.

Erst eine gefühlte Ewigkeit später riss Fallon seinen Kopf zurück - und damit die Haut an Maras Handgelenk endgültig auf. Aber es war die einzige Möglichkeit den Vampir zu stoppen. Er war noch nicht endgültig bei Verstand.

Daher musste Will ihn auch weiterhin festhalten, während Fallon in ihr eigenes Handgelenk biss und Mara das Blut zu trinken gab. Diese hätte es fast wieder ausgespuckt, schluckte es aber, da sie wusste, dass es sie heilen würde. Innerhalb von Sekunden war die Wunde verschwunden.

Mittlerweile war auch Javed etwas ruhiger geworden und Will konnte ihn loslassen um ein paar Blutbeutel zu holen.

Fallon redete unterdessen beruhigend auf den noch immer orientierungslosen Vampir ein. "Hey, es ist alles gut. Du bist in Sicherheit, du stirbst nicht mehr. Dir passiert nichts."

Als auch das nichts half, schlug sie ihm einmal kräftig auf die Wange. Das schien ihn aus seiner Trance zu reißen. "Ich werde sie zerfetzen", knurrte er und wollte aufstehen.

Fallon war schneller. Noch bevor er sich wirklich erhoben hatte, drückte sie ihn zurück in die Sofapolster. "Immer schön langsam. Du hättest gerade fast ins Gras gebissen. Ruh dich aus, die Tenebris kannst du auch später noch ermorden."

"Sie kamen aus dem Nichts", keuchte er. "Spätestens jetzt wissen sie von diesem Haus. Es kann nicht mehr lang dauern bis sie angreifen."

Nun kam Will zurück und reichte Javed die Blutbeutel, die dieser gierig leerte. Die Verletzungen hatten ihn beinahe völlig ausbluten lassen, doch nun saß er bereits wieder aufrecht da.

Fallon dachte scharf nach. "Es ist zu früh", entschied sie. "Wir sind nicht bereit für einen Kampf."

"Wir haben keine Wahl", meinte Mara und atmete tief durch. "Früher oder später kommt es sowieso dazu."

"Später wäre mir lieber. Du und Will seid noch nicht bereit. Ihr könnt nicht gegen diese Leute antreten. Sie sind trainiert. Wir müssen das Ganze herauszögern." Die Vampirin strich ihr Haar nach hinten und band es zu einem Knoten zusammen. Da sie keinen Haargummi hatte, löste sich dieser jedoch sofort wieder. "Wir müssen euch hier wegschaffen."

Mara schüttelte entschlossen den Kopf. "Nein. Ich werde nicht fliehen."

"Ich auch nicht", schloss Will sich ihr an. "Das bringt doch nichts."

"Fallon hat recht", fand Javed. "Wir bringen euch an einen sicheren Ort bis wir mehr wissen und einen Plan haben."

Die Vampirin stand auf und strich ihr Kleid glatt. "Ich habe ein Haus in Tucson, Arizona. Dort geht ihr hin. Wir fahren morgen früh los."

Widerspruch war zwecklos.

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