Kapitel 14

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Fünf Tage. Fünf Tage lang war Fallon jetzt schon weg. Fünf Tage ohne ein Zeichen, dass sie noch lebte.

Mara verlor in dieser Zeit schier den Verstand. Denn die Vampirin war nur aus einem einzigen Grund auf Informationssuche bei den Tenebris. Um für ihr Überleben und ihre Sicherheit zu sorgen. Sollte Fallon dabei etwas zustoßen, würde sie sich das nie verzeihen. Nicht, wo sie ihr schon einmal das Leben gerettet hatte.

"Du musst dich wirklich beruhigen", meinte Will und nahm ihr das Buch aus der Hand, in dem sie blätterte ohne die Worte überhaupt zu lesen.

Mara schaute hoch und stand auf. "Wie? Sie ist seit Tagen weg." Nervös lief sie im Zimmer auf und ab. "Was, wenn ihr etwas passiert ist?"

Will legte das Buch zur Seite und packte Mara sanft an den Schultern. "Sie eine der stärksten Vampirinnen überhaupt. Und hat Hexenwurzeln. Wenn jemand auf sich aufpassen kann, dann sie. Du machst dir zu viele Sorgen."

Das mit den Hexenwurzeln war neu. Javed hatte zwar gesagt, dass sie anders war, aber das? "Willst du damit sagen, sie ist eine Hexe und ein Vampir gleichzeitig?" Dass es Hexen gab, hinterfragte sie gar nicht erst.

"Nicht direkt beides. Javed hat es mir gestern versucht zu erklären, aber es ist ziemlich kompliziert. Nicht einmal er versteht es vollkommen", erklärte er. "Soweit ich verstanden habe, ist Fallon ein Vampir. Aber vor ihrer Verwandlung war sie eine Hexe mit so starker Magie, dass Bruchstücke davon erhalten geblieben sind."

"Das klingt doch eigentlich ziemlich einfach. Ist das immer so?"

"Es ist noch nicht alles. Und das ist bei Weitem nicht immer so. Diesen Teil kann sich nicht einmal Javed erklären und Fallon hat es ihm auch nie erzählt. Aber er vermutet, dass ihre Eltern beide Hexen waren und irgendwann in ihrer Familie einmal ein Vampir war. So wäre sie von Geburt an beides und die Magie hätte die Verwandlung überleben können."

Mara runzelte die Stirn. "Also können Vampire doch Kinder kriegen? Ich dachte, das wäre unmöglich."

Will nickte bestätigend. "Es ist auch unmöglich. Aber wirklich viele andere Möglichkeiten gibt es nicht. Die Verwandlung tötet einen. Man stirbt und kein einziges Organ funktioniert mehr. Magie ist wie ein Organ, sie ist lebendig."

"Und Javed hat nie einfach nachgefragt?", hakte sie ungläubig nach.

"Du musst bedenken, dass die beiden sich vor 1300 Jahren kennengelernt haben. Damals war die Welt anders. Sie hat ihn verwandelt und es stand ihm nicht zu, sie in Frage zu stellen. Und da die meisten Vampire die Einstellung behalten, die sie in ihrem menschlichen Leben hatten, hat er sie auch später nicht gefragt."

Mara schnaubte. "Das ist Blödsinn. Sobald sie wieder da ist, werde ich sie fragen."

"Es wird wohl einen Grund haben, dass sie es Javed nie verraten hat."

"Äh, ja." Belustigt nickte sie. "Und zwar, dass er nie gefragt hat. Einfach so erzählt niemand solche Sachen." Und sie hatte immer gedacht, alte Leute wären schlau.

"Und du denkst, sie erzählt es dir, wenn du einfach nur fragst?" Er zog zweifelnd eine Augenbraue hoch.

Mara zuckte mit den Schultern. "Wir werden sehen. Fragen kostet nichts. Außerdem ist es nur fair. Sie weiß von meinen Fähigkeiten, dann sollte ich doch auch wissen, was ihre sind."

"Sie weiß was?" Es war fast schon ein Fauchen. Aber nur fast. Vorwurfsvoll blickte Will sie an. "Was hast du ihr gesagt?"

Scheiße. Das hätte sie nicht sagen sollen. Aber jetzt war es zu spät. "Ich habe ihr von meinem Blut erzählt."

"War das nicht die eine Sache, die du nicht verraten solltest?" Die Tatsache, dass er während dem Sprechen völlig ruhig war, machte es noch schlimmer.

"Du verstehst das nicht", zischte Mara. "Sie hat mir das Leben gerettet, als Dabrio mich damals umbringen wollte. Wir können ihr vertrauen."

"Sie hat dich gerettet?"

Mara nickte seufzend und zog den ätzenden Rollkragen ihres Pullis ein wenig nach unten. Abgesehen von den Bissspuren, die Fallon an ihrem Hals hinterlassen hatte, wurde so die Narbe enthüllt. "Dabrio hat versucht, mir die Kehle aufzuschlitzen, aber ich konnte fliehen. Trotzdem habe ich viel Blut verloren und bin irgendwann einfach umgekippt. Fallon hat mich gefunden und ins Krankenhaus gebracht. Das war vor zwei Jahren."

"Das hast du mir nie erzählt..."

"Du hast nie gefragt. Außerdem rede ich nicht gerne darüber."

Will nickte verständnisvoll. "Natürlich. War... war dein Onkel schon immer so?"

Sie schüttelte den Kopf. "Umbringen wollte er mich davor nicht, zumindest hat er nichts dergleichen versucht. Aber... ich hatte schon als Kind immer Angst, wenn er zu Besuch war. Er hasste mich und das habe ich gemerkt. Meine Eltern haben es mir aber nie geglaubt und deshalb nichts getan." Ihre Stimme zitterte ein wenig. "Nachdem sie gestorben sind, hat er sogar das Sorgerecht bekommen. Ab da hat sich alles geändert."

"Hat er direkt versucht, dich zu töten?"

"Nein. Das war erst ein paar Monate später. Aber er wollte mich kaum noch nach draußen lassen. Ich durfte nur noch zur Schule gehen, das war's. Spazieren gehen ging gar nicht und Freunde treffen war ein absolutes No-Go. Aber das alles wollte ich auch nicht, ich war noch ziemlich fertig wegen meinen Eltern." Sie kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen bei der Erinnerung an. "Irgendwann wurde ich dann doch misstrauisch und hab versucht, um mehr Freiheiten zu verhandeln. Ich wollte wissen, was los war. Und ab da wurde es schlimmer. Er nahm mich von der Schule und sperrte mich teilweise sogar in meinem Zimmer ein. Ans Telefon konnte ich nicht und mein Handy hat er auch weggenommen, also konnte ich nicht mal Hilfe rufen. Tja, und dann wollte er mir die Kehle aufschlitzen." Nicht völlig zusammenzubrechen kostete sie große Kraft.

"Oh Gott", hauchte Will und zog sie in eine Umarmung. "Das klingt ja schrecklich."

"16 ist ein Scheiß Alter", murmelte Mara und vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter. Nicht weinen, bloß nicht weinen. Wenn sie das täte, könnte sie nicht stoppen.

Will lachte trocken auf. "Das stimmt."

Plötzlich fuhr er zusammen und wich vor Mara zurück. "Ich rieche Blut."

"Was?" Sie sprang erschrocken auf. "Wo?"

"Unten. Den Geruch kenne ich nicht. Irgendjemand ist hier." Er ging mit festen Schritten zur Tür. "Du bleibst hier."

"Die Hölle werde ich tun. Ich komme mit." Sie würde ihn nicht allein gehen lassen. Wenn es ein Tenebris war... Wer wusste schon, was diese Vampirjäger ihm antun würden?

Nur widerwillig nickte Will und wies sie an, still zu sein. Dann liefen sie die Treppe hinab. Leise, langsam, vorsichtig. Maras Herz klopfte wie wild.

Will war gerade um die nächste Ecke gebogen, da wurde Mara von zwei starken Händen an die Wand gedrückt. "Tu mir einen Gefallen, Süße. Versuch nie wieder, dich anzuschleichen. Du bist lauter als eine Horde Elefanten."

Beruhigt atmete sie aus. Es war nur Fallon. "Du bist wieder da", hauchte sie und bemerkte Will kaum, der mittlerweile längst bei ihnen stand.

Die Vampirin ließ sie los. "Und ich habe Gesellschaft dabei. Kommt, ich stelle euch Karan vor."

The Light - Blut des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt