Zwei Tage vergingen ohne eine Nachricht von Fallon. Und Mara war wohl die Einzige, die sich deshalb Gedanken machte. Javed war die meiste Zeit im Keller damit beschäftigt, alle möglichen Informationen aus Karan herauszukriegen. Das wiederum bedeutete, dass Will während diesen Zeiten nicht im Haus sein konnte. Zumindest nicht, wenn Mara auch da war.
Und so wechselten die beiden sich ab, wer hinausging. Viel Kontakt zueinander hatten sie nicht, die Verhältnisse waren noch angespannter als ohnehin schon. Will war nicht begeistert was ihre Entscheidung zu den Tests anging und Mara war noch immer sauer, weil er sich dauerhaft auf Javeds Seite stellte.
Aber ihnen war klar, dass diese Funkstille nicht ewig halten konnte. Doch Mara weigerte sich, den ersten Schritt auf Will zu zu machen, deshalb verbrachte sie ihre Zeit am Liebsten in der Bibliothek einer angrenzenden Kleinstadt. Dort war es ruhig und gemütlich - und es gab keine Vampire. Ihr war natürlich bewusst, dass es feige war, sich zu verstecken, aber momentan hatte sie einfach zu viel um die Ohren als dass sie sich auch noch damit beschäftigen konnte.
Javed wollte morgen mit den Experimenten an ihrem Blut anfangen und bis dahin musste sie sich mental darauf vorbereiten. Zwar wusste sie, dass nichts passieren würde, aber sie war nervös herauszufinden, welche Macht sie besaß - oder auch nicht. Und Fallons Sorge ging ihr ebenfalls nicht aus dem Kopf. Warum hatte sie so heftig reagiert? Was war mit ihr los gewesen?
Mit einem Seufzen klappte Mara ihr Buch zu und stellte es zurück in das Regal, aus dem sie es genommen hatte. Sie lieh sich hier nie etwas aus und hatte nicht einmal eine Karte, mit der das möglich wäre. Es war sicherer, keine Spuren zu hinterlassen. Dabrio durfte sie nicht finden.
Mara zog die Kapuze ihrer Jacke über den Kopf und verließ das alte Gebäude. Es war spät geworden und sie wollte noch etwas Schlaf bekommen, bevor morgen früh der Stress losging. Früh deshalb, weil Javed entschieden hatte, dass es besser wäre, wenn sie alle ihren Schlafrhythmus umstellten und tagsüber wach waren. Dank Maras Blut war das schließlich möglich und die Tenebris würden ohnehin nicht nachts angreifen. Das hatte Karan verraten und es war auch logisch. Nachts hatten Vampire bessere Siegeschancen als Menschen und Dabrio war nicht dumm genug, solche Risiken einzugehen.
Zehn Minuten später war Mara Zuhause. Eigentlich wollte sie direkt nach oben ins Bett gehen, aber auf dem Weg dorthin schweifte ihr Blick am Wohnzimmer vorbei. Und traf auf einen lockigen roten Haarschopf. "Fallon?"
Die Vampirin drehte sich um. "Wieso so überrascht?", fragte sie schmunzelnd.
"Ich hätte nicht gedacht, dass du zurückkommst", gab Mara zu und setzte sich der Vampirin gegenüber auf einen der Sessel.
Diese lachte trocken auf. "Also bitte. Du triffst vielleicht dumme Entscheidungen, die ich nicht verstehe, aber das bedeutet umso mehr, dass du meine Hilfe brauchst. Und willst du wirklich Javed mit deinem Blut experimentieren lassen? Der Kerl weiß vielleicht, wie man foltert und tötet, aber von sowas hat er keine Ahnung."
"Also bist du hier um zu helfen? Ich dachte, du hasst diese ganze Idee." Mara hatte wirklich geglaubt, Fallon würde nicht zurückkommen.
"Oh, ich hasse sie auch. Der Gedanke, einen Menschen zu einem Versuchsobjekt zu machen - dich zu einem Versuchsobjekt zu machen, ist abscheulich", beharrte sie weiterhin, "aber es ist nun mal dein Körper und du hast deine Entscheidung getroffen. Und dabei werde ich dich unterstützen. Mal ganz davon abgesehen, dass ich die einzige Ärztin im Haus bin."
"Du bist Ärztin?"
"Unter anderem. Ich lebe schon sehr lange, da hatte ich genug Zeit für viele Ausbildungen. Natürlich bin ich nicht bei allem auf dem neuesten Stand, aber es dürfte ausreichen", bestätigte sie. "Ärztin bin ich zum ersten Mal zur Zeit des Schwarzen Todes in Europa geworden, etwa 1346. Und dann nochmal 1918 wegen der Spanischen Grippe. Ich konnte mich ja nicht anstecken."
"Haben das damals viele Vampire gemacht?" Der Gedanke war unfassbar schlau. Vampire mussten keine Angst vor den Krankheiten haben. So konnten sie extrem vielen Menschen helfen.
Fallon nickte. "Dort wo ich war, waren es einige. Aber einige haben welche, die das Leid der Leute ausgenutzt haben, um unauffällig an Blut zu kommen."
Mara schüttelte fassungslos den Kopf. Wie konnte man so etwas nur tun? Diese Leute waren wehrlos gewesen! "Passiert das heute auch noch?"
"Nicht ganz genau so. Es gibt Vampire, die in Krankenhäusern arbeiten, ziemlich viele sogar, aber sie töten für gewöhnlich keine Patienten. Stattdessen nehmen sie sich etwas von den Blutkonserven", erklärte Fallon. "Eine schlaue Taktik im Grunde."
"Wieso machst du das nicht?"
Ein Schulterzucken. "Frisches Blut schmeckt besser. Dafür tue ich mir den ganzen Stress nicht an. Menschen sind anstrengend. Und die meisten finden immer etwas zu meckern. Ich hoffe, du gehörst nicht dazu."
Auch wenn der letzte Satz nur ein Scherz war, versicherte Mara, dass sie nicht diese Art Mensch war. "So viel meckere ich gar nicht. Ich glaube, da ist Javed schlimmer."
"Das auf jeden Fall", lachte Fallon und ihre Augen leuchteten vergnügt. "Der wird von niemandem übertroffen. Du hättest ihn mal als Mensch erleben müssen."
"So schlimm?"
"Schlimmer als du denkst." Sie stockte einen Moment und rief dann: "Ich weiß, dass du uns hörst, ich bin nicht dumm. Es ist mir nur egal!"
Auf Maras verwirrten Blick hin erklärte sie: "Javed ist nicht wirklich davon begeistert, dass ich von seiner Jugend erzähle."
"Dass er überhaupt eine Jugend hatte ist schwer zu glauben", fand Mara. Immerhin schien er keine Ahnung davon zu haben, was es bedeutete, jung zu sein.
"Oh, die hatte er." Fallon lachte bei der Erinnerung. "Und hätte es damals schon Kameras gegeben, wäre sie ihm noch immer sehr peinlich gewesen. Aber so, ohne Bilder, und mit mir als einziger Zeitzeugin kann man es wirklich leicht vergessen. Himmel, Javed! Hör auf uns zu belauschen und kümmer dich um Karan!" Ihre Stimme klang wütend, aber ihr Gesicht lachte noch immer. Ruhiger fuhr sie fort. "Wir sollten ein anderes Mal darüber reden, sonst platzt er gleich."
"Vielleicht hast du recht", stimmte Mara amüsiert zu. "Aber ich will die Geschichte auf jeden Fall hören."
Fallon nickte. "Ich erzähle es dir einfach morgen. Wir werfen Javed und Will raus, kümmern uns um die Sache mit deinem Blut und ich erzähle dir peinliche Geschichten aus der Vergangenheit. Aber nur, wenn du auch welche erzählst."
Mara lachte auf. "Okay. Aber ich werde nicht ganz so viel zu erzählen haben. 18 Jahre sind immerhin weniger als 1500."
"Das auf jeden Fall." Fallon grinste.
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The Light - Blut des Lebens
ParanormalMara wollte immer nur eines. Leben. Doch in letzter Zeit wurde das immer schwieriger. Als sich der junge Will jedoch dazu entschließt, sie vor dem Tod zu bewahren, dachten sie beide, dass nun alles besser werden würde. Falsch gedacht. Als sie in ein...