Kapitel 29

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Wie hatte Fallon das tun können? Wie hatte sie Mara einfach zurücklassen können, unfähig, etwas zu tun, unfähig zu helfen. Sie fühlte sich nutzlos. Gefühlte Ewigkeiten konnte sie sich nicht einmal rühren, starrte einfach nur auf die Stelle, an der Fallon gestanden hatte.

Doch dann traf sie einen Entschluss. Hier rumzuheulen half der Vampirin auch nicht. Was jedoch helfen würde, war es, sich zu befreien. Also begann sie, genau das zu versuchen. Sie riss an dem Seil, das ihre Hände hinter dem Baum zusammen hielt, bis ihre Handgelenke wund waren. Doch es brachte rein gar nichts.

Blieb nur noch eins übrig. "Will!", rief sie und versuchte, ihr Gesicht so gut es ging an den Schultern abzuwischen.

Nach wenigen Sekunden stand der Vampir vor ihr. "Ich werde dich nicht losmachen", stellte er klar, bevor sie überhaupt dazu kam, etwas zu sagen und schien sich zwingen zu müssen, nicht auf die Wunde an ihrem Hals zu starren.

"Du kannst mich hier nicht sitzen lassen!"

"Mir gefällt das auch nicht, aber es ist die einzige Möglichkeit, dich davor abzuhalten, etwas Dummes zu tun." Mit einigem Abstand zu Mara setzte er sich ebenfalls auf den Boden.

Fassungslos schüttelte sie mit dem Kopf. "Hat Fallon dir das gesagt?"

Er antwortete nicht, aber sie wusste auch so, dass es stimmte. Will ließ sich einfach zu leicht einschüchtern.

"Dir ist bewusst, dass sie gerade auf dem Weg ist, sich umbringen zu lassen, oder?"

"Sie wird überleben", versicherte der Vampir und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. "Sie ist stärker als die Tenebris."

Ironisch lachte Mara auf. "Sie ist stärker als einzelne Tenebris. Gegen so viele hat sie keine Chance. Es ist ein Selbstmordkommando. Und wenn wir ihr nicht helfen, sind wir genau so an ihrem Tod schuld wie die Tenebris." Allein der Gedanke schmerzte.

"Wir können ihr nicht helfen. Noch nicht. Sie hat uns gebeten, 24 Stunden zu warten und das werden wir akzeptieren. Es tut mir leid, Mara, aber wir müssen das tun."

"Nein", fauchte sie. "Nein, müssen wir nicht. Fallon ist eine Sturheit in Person. Sie weiß, dass sie es allein nicht schafft und sie glaubt nicht, dass wir etwas daran ändern können. Deshalb will sie nicht, dass wir dort sind. Aber zwei Personen können einen Unterschied machen. Wir könnten ihr verdammt nochmal das Leben retten!"

"Oder wir könnten selbst auch sterben", hielt Will dagegen. "Und Fallon weiß das. Sie ist älter, sie hat schon viele Leben gelebt. Sie will, dass wir diese Möglichkeit auch haben, dass du diese Möglichkeit auch hast."

Mara schloss die Augen. "Lieber sterbe ich in diesem einen kurzen Leben an ihrer Seite, als hundert Leben zu leben, in dem Wissen, dass ich sie hätte retten können."

Will glaubte ihr nicht. Natürlich. "Weißt du überhaupt, was du da sagst? Du sprichst davon, dein Leben zu verlieren, oder als Versuchsobjekt zu enden. Darüber macht man keine Witze."

Wuterfüllt biss sie die Zähne zusammen. "Du hast keine Ahnung. Meine Eltern sind an meinem sechzehnten Geburtstag gestorben. Wir waren im Kino, weil ich unbedingt einen Film schauen wollte. Auf dem Rückweg sind wir von der Straße abgekommen und gegen einen Baum geprallt. Mein Vater hat einfach die Kontrolle über das Auto verloren, weil sein Kreislauf versagt hat. Ich habe als Einzige überlebt. Und weißt du, was das Schlimmste ist? Ich hätte es verhindern können. Ich saß auf dem Beifahrersitz und hätte einfach nur nach dem Lenkrad greifen müssen, mehr nicht. Ich hätte sie retten können, aber ich habe es nicht getan. Ich habe sie sterben lassen, weil ich dachte, ich würde es schlimmer machen, wenn ich eingreife. Diesen Fehler mache ich nicht nochmal."

The Light - Blut des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt