Kapitel 24

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In dieser Nacht schlief Mara so fest wie lange nicht mehr. Durch die Erschöpfung war sie nach dem Abendessen direkt ins Bett gefallen und eingeschlafen, obwohl es noch recht früh war.

Doch irgendwann riss etwas sie aus den Träumen. Ein Geräusch am Fenster. Regnete es? noch im Halbschlaf setzte sie sich auf. Da war das Geräusch wieder. Ein Prasseln, aber nein, das war definitiv kein Regen.

Alarmiert stand sie auf und zog den Vorhang zur Seite. Dort unten stand jemand. Wer genau das war, konnte sie aber nicht sagen, es war so dunkel, dass sie nur grobe Umrisse erkannte.

Als hätte die Person sie gesehen, blickte sie hoch. Es war eine Frau - und Mara kannte sie. Nisha, eine Freundin ihrer Eltern. Was machte sie hier?

Mara machte Anstalten, sich zurückzuziehen um Fallon und Will zu wecken, doch Nisha bedeutete ihr, einfach das Fenster zu öffnen. Sie zögerte, tat es aber dennoch. Außen auf der Fensterbank lagen Kieselsteine. Das war also das Geräusch gewesen.

Nisha kletterte die Regenrinne hinauf und zum Fenster hinein. Seit wann konnte sie das denn? "Hallo Amara", begrüßte sie Mara.

"Was machst du hier?", fragte Mara und bereute es jetzt schon, geöffnet zu haben.

"Ich will dich warnen", sagte Nisha. Seit Mara sie das letzte Mal gesehen hatte, war ihr Englisch besser geworden. Nisha war erst vor wenigen Jahren von Indien in die USA gezogen und hatte einige Monate bei Maras Familie gewohnt. Daher kannten die beiden sich.

Aber an ihr hatte sich mehr geändert als nur ihre Sprachkenntnisse. Sie sah älter aus, strenger. Sie war erst Anfang dreißig, hätte aber locker als vierzig durchgehen können. Und die Art wie sie sprach...

"Wovor warnen?"

Nisha warf ihr einen wissenden Blick zu. "Ich denke, das weißt du sehr gut."

Eine böse Ahnung ereilte sie, aber sie schüttelte den Kopf. "Nein, weiß ich nicht."

"Oh Amara, jetzt tu doch nicht so ahnungslos. Wir wissen beide, dass du das Licht bist. Dein Onkel will, dass wir dich zu ihm bringen."

Ihr wurde schlecht. "Wer ist wir?"

"Die Tenebris natürlich."

Natürlich.

"Weißt du, du könntest auch ein Teil von uns werden. Du wärst unseren Zwecken von großem Nutzen", meinte Nisha.

Mara hastete zum Lichtschalter. Die Dunkelheit schien auf einmal mit ihren Tentakeln nach ihr zu schlagen. "Eure Zwecke sind es, Vampire zu töten und mich wegen meinem Blut zum Versuchskaninchen zu machen. Da mache ich nicht mit. Niemals."

"Du verstehst das alles falsch, Kleines." Nisha setzte sich aufs Bett und bedeutete Mara, sich zu ihr zu gesellen.

Diese lehnte ab. Stehen war sicherer. So konnte sie schneller fliehen.

Seufzend begann Nisha zu erklären: "All das Gift haben dir die Vampire eingeredet. Wir wollen dich als Verbündete, nicht als Versuchskaninchen. Natürlich würden wir einige Tests mit deinem Blut machen, aber alles völlig schmerzlos und ungefährlich, vertrau mir."

"Wenn das so wäre, warum hat Dabrio dann versucht, mich umzubringen?", zischte Mara. Hörte Nisha sich eigentlich selbst zu?

"Sprich leiser", fuhr sie sie an. "Sonst hören diese... Kreaturen uns."

"Vampire", sagte Mara. "Sie sind Vampire."

"Das meinte ich doch. Aber es tut nichts zur Sache. Hier geht es darum, ob du dich uns anschließt. Es ist dein Vermächtnis, deine gesamte Familie gehörte zu dieser Organisation. Deine Eltern sind Ikonen!"

"Waren", fauchte Mara. "Sie sind vor mehr als zwei Jahren bei einem Unfall gestorben und das weißt du. Und ihre Fähigkeit Leute zu foltern macht sie nicht zu Ikonen."

"Niemand foltert irgendwen", widersprach Nisha. "Es sind lediglich ein paar harmlose Tests im Namen der Wissenschaft. Komm mit mir, dann wirst du es sehen."

Entschieden verneinte sie: "Lieber sterbe ich. Ihr seid Monster."

Enttäuscht senkte Nisha den Blick. "Siehst du denn nicht, wie sehr sie dich manipulieren? Du warst einmal so ein liebes Mädchen und jetzt schau nur, was aus dir geworden ist. Du bist ein Mensch, Amara, also stell dich auf die Seite deiner Leute."

"Lieber stehe ich auf der Seite der Vampire als auf der der Leute, die grundlos quälen." Sie ging in Richtung Tür um Fallon und Will zu rufen.

Doch Nisha war schneller und stellte sich ihr in den Weg. "Du wirst ihnen nichts sagen."

"Und du willst mich aufhalten?" Mara lachte trocken auf. "Das sagt sehr viel über deine Absichten aus."

"Ob du es nun glaubst oder nicht, ist deine Entscheidung, aber ich will dir nichts tun. Anders als manch andere meiner Leute. Einige wollen dich wegen deinem Blut tot sehen, weil es eine Bedrohung ist, das ist wahr. Aber wenn du dich uns freiwillig anschließt, wird es sie umstimmen. Dir muss nichts passieren", versprach Nisha. "Alles, was du dafür tun musst, ist, uns zu sagen, was du über Vampire weißt."

Das Wort Vampire sprach sie aus, als wäre es Gift. Was war nur aus ihr geworden? Oder hatte sie all diesen Wahnsinn früher nur nie bemerkt? "Du hast doch völlig den Verstand verloren", flüsterte Mara.

"Sagt die Frau, die sich auf die Seite von Mördern stellt."

"Und das tust du nicht? Sag mir, wie viele Leute hast du schon getötet? Wie viele hat Dabrio getötet?"

"Leute? Gar keine. Du musst wenigstens versuchen zu verstehen. Vampire sind keine Leute. Sie sind Monster, die Menschen töten."

Mara verschränkte die Arme und blickte Nisha todernst in die Augen. "Wenn jeder, der Menschen tötet, in deinen Augen ein Monster ist, dann zählt Dabrio dazu. Er hat versucht, mir die Kehle aufzuschlitzen! Und weißt du, wie ich überlebt habe? Eine Vampirin hat mich gerettet. Wer ist also jetzt das Monster?"

Nisha schüttelte ernüchtert den Kopf. "Du bist wirklich nicht mehr zu retten. Die anderen hatten recht. Du wirst uns niemals freiwillig helfen. Es tut mir leid. Ich hatte wirklich gehofft, es gäbe eine andere Möglichkeit." Sie zog eine Spritze hervor. "Es sticht nur ganz kurz, versprochen." Sie holte aus und versuchte, Mara mit der Nadel erwischen.

Doch die wich geschickt aus und schleuderte Nisha gegen eine Wand. "Fallon!", schrie sie panisch. Sie durfte nicht verlieren. Wer wusste schon, was in dieser Spritze war.

"Du musst wirklich keine Angst haben", sprach Nisha weiter. "Niemand will dir wehtun. Du..." Sie brach ab und sackte in sich zusammen.

Erschrocken blickte Mara auf die Frau hinab, die da lag wie tot. Hinter ihr tauchte Fallon auf. Sie trug nichts als ein hauchdünnes schwarzes Nachthemd und ihr Haar stand in alle Richtungen ab.

"Sie lebt noch, keine Sorge", meinte sie in Anbetracht der kleinen Blutlache, die sich unter Nishas Kopf ausbreitete. "Sie wird beim morgen Früh bloß höllische Kopfschmerzen haben."

Dankbar und erleichtert atmete Mara aus. "Ich glaube, du hast mir schon wieder das Leben gerettet. Danke."

Fallon winkte ab und hob Nisha auf. "Keine Ursache. Für dich immer gern."

Mara grinste schief. "Obwohl ich dich mitten in der Nacht aufwecke?"

"Auch dann." Die Vampirin erwiderte das Grinsen.

The Light - Blut des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt