Kapitel 26

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Mara übergab sich. Immer und immer wieder. Dieser Anblick... das Blut war plötzlich überall und Nishas Kopf... diese toten, leeren Augen, der noch siegessicher verzogene Mund. Allein bei dem Gedanken kam es ihr wieder hoch.

Fallon saß die ganze Zeit neben ihr. Nur dank ihr hatte Mara es hoch bis ins Bad geschafft und nicht direkt in den Gang gekotzt. Sanft strich sie ihr über den Rücken und hielt ihre schwarzen Locken zurück. Sie sagte kein Wort. Es hätte ohnehin nichts geändert.

Nur ganz kurz verließ die Vampirin Maras Seite, um sich Hände und Gesicht zu waschen. Beides war voller Blut. Nishas Blut. Auch ihr Kleid hatte eine Menge abbekommen, aber das Umziehen konnte warten. Sie wollte sich erst vergewissern, dass es Mara gut ging.

Fast 15 Minuten dauerte es, bis die Schwarzhaarige sich wieder beruhigt hatte. In dieser Zeit hatte Fallon Will schon mehrfach verscheucht und ihn angewiesen, wegzubleiben. Zumindest vorläufig.

Erschöpft ließ Mara sich nach hinten fallen und starrte an die Decke. Ihr Hals schmerzte und in ihrem Mund hatte sie den Geschmack von purer Galle. Allein deshalb hätte sie sich fast wieder übergeben müssen. "Das war..."

"Tut mir leid, dass du das mit ansehen musstest", entschuldigte sich Fallon ehrlich. "Mein Temperament ist mit mir durchgegangen."

"Ist schon gut", versicherte Mara. Ihre Stimme war viel zu leise, viel zu zittrig. "Ich war nur... so etwas habe ich noch nie gesehen." Zwar hatte sie schon Leichen gesehen, schließlich war sie es gewesen, die ihre Eltern nach ihrem Unfall hatte identifizieren müssen, aber nicht so. Das Blut, die Brutalität, das war zu viel gewesen, wo sie doch sowieso schon mit den Nerven am Ende war.

"Es tut mir leid", wiederholte Fallon.

Mara versuchte sich an einem Lächeln. "Es ist okay, wirklich. Aber ich muss was trinken. Dringend. Kotze ist widerlich."

Fallon lachte ein wenig. "Natürlich."

Noch immer geschwächt und zittrig stand Mara auf. Fallon versuchte sie zu stützen, aber sie löste sich von ihr. Sie konnte auch allein laufen. So scheiße ging es ihr auch wieder nicht.

Während sie also selbstständig die Treppen hinab stolperte, Fallon jedoch stets an ihrer Seite um sie notfalls zu fangen, versuchte sie alles, um sich von dem ekligen Geschmack in ihrem Mund abzulenken. "Können Vampire eigentlich kotzen?"

"Es wäre möglich, aber da wir weder krank noch schwanger werden, ist es eher ungewöhnlich, dass es passiert. Zumindest bei älteren Vampiren. Die frisch verwandelten ekeln sich manchmal noch vor dem Blut."

"Verständlich", murmelte Mara. Mittlerweile waren sie in der Küche angekommen und sie schnappte sich sofort eine Cola. Eine halbe Flasche musste sie trinken und auch wirklich den letzten Rest des Gallengeschmacks loszuwerden.

"Viel besser", seufzte sie anschließend und lehnte den Kopf in den Nacken. "Du weißt gar nicht, wie gut das tut."

Fallon schmunzelte. "Ich kann es mir denken."

Mara grinste schief. "Ich sehe scheiße aus, oder?"

"Im Vergleich zu sonst? Ja. Wenn man bedenkt, dass du dir gerade fast die Seele aus dem Leib gekotzt hast? Nein. Du siehst gut aus." Die Vampirin ließ ihren Blick über Maras Körper schweifen. "Aber vielleicht solltest du dich umziehen."

Nickend sah Mara an sich hinab. Ihr Pulli hatte ein paar Blutflecken abbekommen und war auch nicht vor Erbrochenem verschont geblieben. "Okay, das ist echt eklig. Aber du siehst auch aus wie direkt aus einem Horrorfilm gesprungen."

"Ich bin eine Untote, also so unwahrscheinlich ist das doch gar nicht." Fallon grinste. "Schaffst du es allein noch oben oder soll ich dir helfen?"

"Das krieg ich schon hin", versicherte Mara und lief los. Mittlerweile war sie schon wieder sicherer auf den Beinen. Auch wenn sich in ihrem Kopf noch immer alles drehte.

Sie konnte einfach nicht glauben, dass Nisha tatsächlich tot war. All die Erinnerungen an früher suchten sie heim. Nisha war die ältere Schwester gewesen, die Mara nie hatte, sie war ihre beste Freundin. All das hatte sich nicht einfach in Luft aufgelöst, nur weil sie sich seit Jahren nicht gesehen hatten. Damals war Nisha für ein Studium umgezogen und sie hatten sich aus den Augen verloren.

Aber... war es wirklich zum Studieren gewesen? Oder wegen etwas anderem? Hatte sie damals schon zu den Tenebris gehört? Hatte sie Vampire gefangen und gequält? Mara fühlte sich, als wäre ihr ganzes Leben eine Lüge gewesen. Hatte irgendetwas gestimmt? Oder hatte sie sich nicht nur von Nisha, sondern auch von allen anderen blenden lassen? Von ihren Eltern? Hätten sie wirklich gewollt, dass sie ebenfalls zu den Tenebris gehörte? Hätten sie sie zu einem Monster machen wollen?

Wütend auf sich selbst wischte Mara sich übers Gesicht. Sie war mittlerweile in ihrem Zimmer angekommen und stand im begehbaren Kleiderschrank. Sie hatte sich nie die Mühe gemacht, ihre Klamotten aufzuhängen und lediglich den Koffer, das einzige Gepäckstück, das sie mitgebracht hatte, dort abgestellt.

Und dort holte sie sich jetzt einfach saubere Sachen heraus. Den dreckigen Pulli warf sie in den Wäschekorb nebendran und ging duschen. Sie wollte alles abwaschen. Blut, Erbrochenes, Erinnerungen, einfach alles.

Fast eine halbe Stunde stand sie unter dem heißen Wasser und als sie sich schließlich abtrocknete, fühlte sie sich schon viel mehr wie ein Mensch.

Endlich in sauberen Klamotten und noch mit nassen Haaren ging Mara zurück nach unten, wo Fallon Will gerade über die Ereignisse aufklärte. Auch sie hatte wohl gerade erst geduscht, denn um ihren Kopf war ein Handtuch geschlungen. Ansonsten war sie jedoch perfekt gestylt wie immer. Ein schlichtes, enges, schwarzes Kleid, tadelloses Make Up und elegante Schuhe. Wie hatte sie das in so kurzer Zeit hinbekommen?

"Ist alles in Ordnung?", fragte Will in der Sekunde, in der Mara den Raum betrat.

Sie nickte nur und setzte sich neben Fallon aufs Sofa. "Was machen wir jetzt?"

"Wir müssen Javed befreien", stellte Will fest. "Und das so schnell wie möglich."

Fallon nickte zustimmend. "Wir fahren heute Abend los. Sobald wir da sind, werde ich Javed dort rausholen."

Mara blickte sie irritiert an. "Du? Was ist mit uns?"

"Ihr bleibt in Sicherheit", entschied die Vampirin. "Ich werde die Tenebris angreifen. Allein. Ihr hattet bei weitem nicht genug Training, um etwas Derartiges überleben zu können. Also haltet ihr euch da raus solange es möglich ist."

"Und wie lange ist es möglich?", fragte Will, während er Fallon mit den eisblauen Augen fixierte.

Die Vampirin zuckte nicht einmal mit den Wimpern. "Bis ich tot bin."

"Nein." Das würde Mara nicht akzeptieren. Niemals. Sie holte Luft und sprach mit eisernen Entschlossenheit weiter: "Du wirst nicht sterben. Das lasse ich nicht zu."

Fallon lächelte traurig. "Du hast keine Wahl."

"Man hat immer eine Wahl. Und ich habe meine getroffen. Du wirst nicht sterben." Mara nahm Fallons Hände in ihre. "Du darfst nicht sterben."

Doch die Vampirin schüttelte den Kopf. "Es gibt exakt zwei Szenarien, die eintreffen können. Nummer eins: Ich gehe dort hin und töte jeden, der dort ist. Nummer zwei: Sie töten mich. Aber was nicht passieren wird, ist, dass ich mich wieder gefangennehmen lasse."

Wieder... Das Wort hallte in Maras Kopf nach. Wieder. Aber das musste bedeuten, dass...

Bevor sie noch etwas sagen konnte, stand Fallon auf und ging zur Tür. "Wenn ihr mich entschuldigen würdet, ich werde mich vorbereiten gehen."

The Light - Blut des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt