"Wir werden sie nicht foltern." Diese Entscheidung hatte Mara noch in derselben Nacht getroffen und teilte sie Fallon jetzt am frühen Morgen mit.
"Wieso? Was hatte sie denn vor, mit dir zu tun?" Die Vampirin verschränkte die Arme.
Mara senkte den Blick, streckte dann aber den Rücken wieder durch. "Wenn wir sie foltern sind wir auch nicht besser als sie. Und... ich kenne sie. Vielleicht sagt sie auch so, was sie weiß, wenn ich mit ihr rede."
"Weil das gestern so gut geklappt hat?"
"Gestern war ich nicht vorbereitet. Ich wusste nicht mal, was sie wollte. Ich hatte keine Ahnung, dass sie auch zu den Tenebris gehört", verteidigte Mara sich. "Außerdem kann sie jetzt nicht weg." Denn Fallon hatte Nisha in den Keller gebracht und dort eingesperrt. Es gab keine Fluchtmöglichkeit.
"Sie wird dir keine Antworten geben. Alles, was sie will, ist dich zu manipulieren. Sie wird dir nicht antworten."
"Das können wir nur wissen, wenn wir es versuchen. Außerdem weiß sie wahrscheinlich auch nicht viel mehr als Karan. Dabrio erzählt nie jemandem, was er plant."
Fallon zog eine Augenbraue hoch. "Wir wissen nicht alles, was Karan wusste. Er ist zu schnell gestorben."
Will, der die Diskussion in der Küche bisher nur stumm verfolgt hatte, mischte sich nun doch ein. "Wir sollten Mara erst mit ihr reden lassen. Das könnte mehr bringen als reine Folter. Wenn wir sie verletzen, bestätigt das doch nur ihr Bild von uns."
"Aber es ist wirksam."
"Ich werde mit ihr reden", entschied Mara. "Und das ist endgültig. Wenn es nichts bringt kannst du danach machen, was du willst, aber ich will es zumindest versuchen."
Fallon seufzte. "Du bist zu gutherzig. Aber von mir aus. Rede mit ihr. Sie dürfte mittlerweile wach sein. Aber wenn sie auch nur Anstalten macht, dich zu verletzen, reiße ich ihr den Kopf ab."
"Hoffen wir mal, dass das nicht nötig sein wird." Mara erhob sich von ihrem Stuhl und ging in den Keller. Die Entschlossenheit hatte sie gepackt. Sie würde sich Antworten beschaffen. Jetzt sofort.
Nisha saß zusammengesunken auf einem Metallstuhl, als Mara den fensterlosen Raum betrat. Ihr Kopf ruhte auf ihrer Brust und ihr Rücken war gekrümmt, aber sie war wach.
"Du siehst scheiße aus", stellte Mara fest. Nishas tiefbraunes Haar war von Blut völlig verklebt und auch ihr dunkelgrauer Hosenanzug hatte rotbraune Flecken abbekommen
"So fühle ich mich auch, aber das weißt du. Schließlich war es dein Vampir, der mich bewusstlos geschlagen hat."
"Sie ist nicht mein Vampir", stellte Mara klar und schloss die Tür, bevor sie sich mit einigem Abstand zu Nisha an die Wand lehnte. "Sie ist ihre eigene Person und trifft eigene Entscheidungen. Sie hätte dich ebenso gut töten können."
"Und wieso hat sie es dann nicht getan?" Nishas Stimme war unfassbar schwach und als sie den Kopf hob, war die Erschöpfung deutlich erkennbar.
Mara versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie sich bei diesem Anblick schlecht fühlte und schaute im Raum herum. Blöderweise gab es nichts zu sehen. Die schwarzen Wände waren schmucklos und der Stuhl, auf den Nisha gekettet war, war das einzige Möbelstück.
Also verschränkte sie schließlich einfach die Arme. "Weil du uns erzählen musst, was du weißt."
Nisha schnaubte amüsiert. "Das werde ich nicht tun. Diese Vampirin hätte mich töten sollen."
"Ich denke schon, dass du reden wirst", meinte Mare. "Du hast allerdings die Wahl, wie das Ganze jetzt abläuft. Fallon hat vorgeschlagen, einfach alle Informationen aus dir heraus zu foltern. Jetzt kannst du entscheiden, was dir lieber ist. Entweder du sprichst mit mir und wenn all das vorbei ist, lassen wir dich gehen, oder es wird deutlich schmerzhafter und du endest so wie Karan. Kennst du ihn zufällig?"
"Ihr habt ihn also getötet", stellte sie fest. "Wir haben uns schon gefragt, was mit ihm passiert ist."
Mara nickte. "Es war nicht unbedingt unsere Absicht, aber ja. Also, wie entscheidest du dich?"
"Ich rede nicht mit Feinden."
Seufzend setzte Mara sich auf den Boden. "Wir sind keine Feinde. Zumindest müssen wir keine sein. Dir die Wahl zu lassen, zeigt doch nur unseren guten Willen."
"Das ändert nichts daran, dass du mit Vampiren verbündet bist. Sie sind Monster, Amara!"
"Hast du auch noch andere Argumente? Welche, die Sinn ergeben zum Beispiel? Wieso hasst du Vampire überhaupt so sehr?" Mara war kurz davor, aufzugeben.
Nishas Miene verfinsterte sich. "Vampire haben meine gesamte Familie umgebracht. Alles, was sie getan haben, waren simple Forschungen! Sie haben niemanden verletzt."
Das war doch nicht zu fassen! "Haben sie an Vampiren experimentiert? An Vampiren, die sich nicht dazu bereit erklärt haben?"
"Ja, aber es war nichts Schlimmes. Niemand wurde verletzt", beteuerte Nisha und riss an ihren Fesseln. "Da hast du deinen Grund. Und jetzt lass mich gehen. Du kannst dich uns noch immer anschließen."
Enttäuscht schüttelte Mara den Kopf. Was war nur mit der lieben, gutherzigen Nisha passiert, die sie früher als Schwester angesehen hatte? "Hörst du dir überhaupt selbst zu? Deine Familie hat Vampire gegen ihren Willen als Versuchsobjekte benutzt! Wie kannst du da die Vampire beschuldigen?"
"Meine Familie hat sie nicht getötet!", fauchte Nisha. "Aber sie wurden kaltblütig ermordet!"
In diesem Moment realisierte Mara, dass es keine Hoffnung mehr für die Frau vor ihr gab. Sie hatte sich vollkommen in ihrem Hass verloren und nichts und niemand konnte an sie heranreichen, um sie aus diesem dunklen Loch zu ziehen.
Fallon hatte recht. Nisha würde nicht reden, nicht freiwillig. Aber... etwas in Mara klammerte sich noch an die Frau, die Nisha einmal gewesen war. Also startete sie noch einen letzten Versuch: "Isha-" Der Spitzname passte nicht mehr. Die Person, die so hieß, war tot. "-Nisha." Das war schon besser.
Mara holte tief Luft, bevor sie weitersprach. "Ich will dir wirklich nicht wehtun. Aber du musst reden. Du musst mir sagen, was du über die Tenebris weißt. Es geht um Leben und Tod. Bitte sprich mit mir."
"Du willst deine Leute nicht verraten, ich verrate meine nicht." In Nishas Stimme schwangen keine Emotionen mit. Keine Reue, keine Trauer, keine Wut. Gar nichts.
Ernüchtert schüttelte Mara den Kopf. "Es tut mir leid, was aus dir geworden ist."
Nun blitzte doch etwas in Nishas braunen Augen auf. Schmerz. "Wenigstens ist etwas aus mir geworden. Deine Eltern wären enttäuscht, dich zu sehen."
"Okay, das reicht." Wütend sprang sie auf und öffnete die Tür. Tränen stiegen in ihr auf, doch sie kämpfte sie nieder. "Fallon! Du hattest recht. Sie verrät nichts."
Innerhalb von Sekunden stand die Vampirin neben ihr. Als sie Maras Blick sah, knurrte sie grimmig und warf Nisha einen mordlustigen Blick zu. "Was hat sie getan?", fragte sie Mara.
Diese kam nicht zum Antworten, denn Nisha meinte nun doch, etwas sagen zu müssen. "Eine Sache solltest du noch wissen, Amara. Wir haben den Vampir, der dort im Wald war. Dabrio wollte, dass ich dir das mitteile."
Mara konnte gar nicht mehr darauf antworten. Innerhalb eines Wimpernschlags hatte Fallon Nisha den Kopf abgerissen.
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The Light - Blut des Lebens
ParanormalMara wollte immer nur eines. Leben. Doch in letzter Zeit wurde das immer schwieriger. Als sich der junge Will jedoch dazu entschließt, sie vor dem Tod zu bewahren, dachten sie beide, dass nun alles besser werden würde. Falsch gedacht. Als sie in ein...