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Julia überquert gerade die Straße, als ihr ein kalter Schauer über den Rücken läuft. Sie  kennt dieses Gefühl, sie wird beobachtet. Sie sieht sich um und beschließt, in das nächstbeste Geschäft zu flüchten. Sie betritt den kleinen Buchladen und geht zielstrebig nach hinten durch. Von dort hat sie unauffällig die Eingangstür und das Schaufenster im Blick. Erst erkennt sie nichts, aber als die Tür aufgeht schluckt sie. Matteo ist ihr gefolgt und schaut sich neugierig im Laden um. Er hat sie noch nicht entdeckt und nimmt ein Buch aus einem Regal, in dem er ruhig blättert. Nach einer Weile, in der er ein Buch nach dem anderen zur Hand nimmt, versucht Julia, hinter ihm vorbei zur Tür zu schleichen. Doch sie hat ihn unterschätzt. Als sie die Tür öffnen will, greift er an ihr vorbei und hält sie ihr auf. "Bitte. Nach dir!" Sie wirft ihm einen resignierten Blick zu und geht nach draußen. Matteo folgt ihr, nimmt ihre Hand und dirigiert sie zu seinem Auto. "Ich werde da jetzt nicht einsteigen, Matteo!", versucht sie sich zu wehren. Er öffnet ihr die hintere Tür und deutet darauf. "Doch, Julia, das wirst du. Du musst mir einiges erklären!" - "Matteo, bitte, das geht nicht!", fleht Julia, doch er bleibt unnachgiebig. "STEIG. EIN!" - "Matteo ...". Ihr stehen bereits Tränen in den Augen, aber sein Blick bleibt hart und schliesslich steigt sie ein. Er wirft die Autotür zu, umrundet das Auto und steigt neben ihr ein. "Nach Hause", weist er seinen Fahrer an, dann lässt er die Trennscheibe nach oben fahren.

Matteo lässt seinen Blick auf Julia liegen, die zitternd neben ihm sitzt und stur nach draußen sieht. Als der Wagen in die Einfahrt zu seinem Familiensitz einbiegt, hält sie die Luft an. "Atme, Julia!" - "Ich kann da nicht reingehen, Matteo. Bitte tu mir das nicht an". Tränen laufen ihr übers Gesicht, als sie sich ihm zuwendet. Er runzelt die Stirn. "Warum?" - "Weil ... ich ... kann das nicht, bitte" - "Du warst früher gern bei mir" - "Ja ... früher", flüstert sie, während er aussteigt und ihr dann die Türe aufhält. "Wir bleiben auf der Terrasse, geht das?", kommt er ihr entgegen. Julia schliesst kurz die Augen und nickt zögernd. Er greift wieder nach ihrer Hand, die eiskalt ist, und führt sie außen herum auf die Rückseite des Hauses. Er drückt sie auf einen Sessel, holt eine Flasche Wasser und zwei Gläser und setzt sich dann ihr gegenüber. Schweigend mustert er sie.

"Was ist damals passiert? Warum bist du einfach verschwunden, Ciccina?" Julia schüttelt den Kopf und weigert sich, ihn anzusehen. "Julia ... ich hab dich gesucht. Ich musste heiraten, ein halbes Jahr nach deinem Verschwinden. Ich hatte immer gedacht, dass wir beide irgendwann vor dem Altar stehen ... aber du bist einfach gegangen, anima mia. Hilf mir, es zu verstehen ... bitte!"
Lange bleibt Julia still, bis sie etwas flüstert. "Was?", fragt Matteo nach. "Ich bin nicht einfach gegangen, Matteo" - "Natürlich bist du das. Du warst plötzlich weg und keiner wusste, wo du bist" - "Ja ... aber es war definitiv nicht einfach" - "Warum? Ich versteh es nicht!" - "Frag deinen Vater. Ich dürfte gar nicht hier sein und schon gar nicht mit dir reden!" - "Was hat mein Vater ...? Julia, mein Vater ist vor acht Jahren gestorben". Verwundert beobachtet er, wie sich Julia sichtlich entspannt. Er versteht nicht, was hier vor sich geht, als Julia den Kopf hebt und ihn ansieht. "Er hat mich vor die Wahl gestellt. Entweder ich tauche unter oder ich sterbe" - "Was?" Entsetzt steht er auf und beginnt, auf und ab zu gehen. "Warum hast du nichts zu mir gesagt? Wir hätten das gemeinsam geschafft" - "Hätten wir das? Matteo, ich bitte dich ... dein Vater hatte dich gut unter Kontrolle. Ich war ihm nicht gut genug". Matteo stürmt zu Julia, nimmt ihren Kopf in seine Hände und lehnt seine Stirn an ihre. "Julia, cuore mio, wie kannst du so von dir  denken?" Er zieht sie hoch und schließt die zitternde Frau in seine Arme. "Was hat er getan, dich so zu verängstigen?"

Flashback
Fröhlich läuft Julia die Treppe zum Anwesen hinauf, wo ihr bereits die Haushälterin die Tür öffnet. Sie will gleich in Matteos Zimmer, wird jedoch von seinem Vater aufgehalten. Ein dunkler, harter Mann, vor dem Julia immer etwas Angst hatte. Er bittet sie in sein Büro. "Setz dich!" Als Julia vor seinem Schreibtisch sitzt, öffnet er eine Schublade und legt zwei Stapel vor Julia: einen dicken Stapel Geld, auf dem ein Ausweis mit ihrem Foto liegt ... und eine Pistole. Erschrocken und ängstlich sieht sie die Sachen an, bevor ihr Blick zu dem Mann wandert, der der Vater ihres Freundes ist. "Du hast die Wahl. Entweder du nimmst das Geld und eine neue Identität an, oder du und deine Mutter sterben" - "Was?', haucht sie tonlos. "Deine Entscheidung ... du wirst für immer aus dem Leben meines Sohnes verschwinden, so oder so - die Art und Weise überlasse ich dir!" Er steht auf und schreitet zu einer Tür, die Julia erst jetzt auffällt. Dort dreht er sich nochmal um. "Wag es ja nicht, Matteo davon zu erzählen! Er wird dir nicht glauben. Er wird eine Frau heiraten, die besser zu ihm und unserer Familie passt, du spielst keine Rolle in seinem Leben. Überleg dir gut, was du machst. Mit diesem Ausweis kannst du ein Leben woanders weiterführen, deine Mutter kann hier weitermachen. Denk an sie, wenn du deine Entscheidung triffst! Du hast fünf Minuten!"

Matteos Griff um Julia ist immer fester geworden, als sie ihm das erzählt. "Julia", flüstert er, dann gibt er ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. "Ich wusste das nicht, mein Engel. Im Gegenteil, ich war so wütend auf dich. Dabei hatte er das alles geplant. Du hattest keine Zeit, dich an mich zu wenden, oder?" - "Nein. Nach kurzer Zeit kam er wieder und wollte meine Entscheidung. Ich mein, was sollte ich machen? Ich war 23, Matteo, ich wollte leben. Und ich konnte doch nicht meine Mama in Gefahr bringen!" Ihre Stimme bricht bei ihren letzten Worten. "Jetzt versteh ich auch, warum du Angst hattest ... hast du Angst vor MIR, Ciccina?" - "Nein. Es tut mir leid!" Matteo schiebt sie von sich, greift ihre Oberarme und schaut sie ernst an. "DIR muss überhaupt nichts leid tun, Julia. Es tut MIR leid, dass ich an dir gezweifelt habe und wütend auf dich war. Du hast die einzig richtige Entscheidung getroffen! Du hast dein Leben und das deiner Mutter gerettet, dafür danke ich dir! Denn so haben wir die Chance, nochmal von vorne anzufangen!"

Cara MiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt