6

83 3 1
                                    

Nervös wartet Julia am nächsten Morgen auf Matteo. Sie trägt eine Jeans mit T-Shirt und einem lockeren Cardigan, dazu bequeme Sneakers. Sie schaut auf die Uhr, als es klingelt - pünktlich auf die Minute. Julia öffnet die Tür. "Hey, guten Morgen Julia", lächelt Matteo sie an und gibt ihr einen Kuss auf die Wange. "Guten Morgen", erwidert sie und lässt ihren Blick über ihn wandern. Er sieht aus wie früher - mit dunkler Jeans und einem leichten Pullover, unter dem ebenfalls ein T-Shirt hervorblitzt. "Bereit?", fragt er und reicht ihr die Hand. "Ich weiß nicht", antwortet Julia, legt ihre Hand in seine und wird überrascht von dem Gefühl, dass sie durchfährt. So, als ob sie ihr Leben lang nichts anderes getan hätte, diese Hände einfach zusammengehörten. Matteo lässt sich nicht anmerken, ob er auch so fühlt und führt sie zu seinem Auto. "Du fährst selber?" - "Japp" - "Ich hätte nicht gedacht, dass du den noch hast". Julia steht vor dem Auto, dass er bereits als junger Mann gefahren hat - ein schwarzer Aston Martin V8 Vantage. "Klar ... das war immer unser Auto, den konnte ich nicht hergeben. Da stecken viele Erinnerungen drin. Du bist die einzige Frau, die jemals darin mitfahren durfte". Überrascht sieht Julia Matteo an. "Deine Frau?" - "Nein. Die konnte diesem alten Karren nie etwas abgewinnen. Sie war ... egal. Komm, steig ein!" Julia bemerkt seinen Stimmungswechsel und hakt nicht weiter nach. Wenn es wichtig ist, wird er sich irgendwann erklären. Sie setzt sich und nimmt verstohlen einen tiefen Atemzug. Das Leder der Sitze, der Duft von Matteos Parfum, sein Eigengeruch - Julia schließt die Augen und grübelt über das Gefühl nach, das sie gerade überfallen hat ... Daheim! Sie ist endlich wieder daheim! "Alles okay?", fragt Matteo leise. Julia dreht sich zu ihm. "Ja ... na los, fahr schon, ich platze schon vor Neugier, was du mit mir vorhast!" Matteo mustert sie noch kurz, dann grinst er sie an. "Tja ... Geduld war noch nie deine Stärke" - "Nein ... und du warst immer schon so fies und hast dir daraus einen Riesenspaß gemacht". Er streicht ihr sanft über die Wange, dann lässt er den Wagen an und fährt los, das Grinsen weicht nicht von seinem Gesicht. 




"Ernsthaft? Wir fliegen?" Julia steht mit offenem Mund vor einem Helicopter. "Mund zu". Schmunzelnd drückt Matteo ihr Kinn nach oben, schiebt sie auf einen der hinteren Sitze und setzt ihr einen Helm auf. "Julia, das ist Daniel, vorne bei mir sitzt Sandro. Meine ... unsere Schatten" - "Schatten?" Julia dreht sich zu dem jungen Mann, der neben ihr sitzt und ihr kurz zunickt. "Du brauchst Leibwächter?" - "Personenschützer, ja. Daniel ist dir zugeteilt, mi amor. Du wirst ihn normalerweise nicht sehen, aber er ist da" - "Aber ...". Matteo legt einen Finger auf ihre Lippen. "Wir reden später, okay? Jetzt genieß den Flug". Er beugt sich zu Julia und küsst ihre Nasenspitze, dann verschließt er die Tür und geht zum Pilotensitz. Matteo wechselt ein paar Worte mit Sandro, bevor er seinen Helm aufsetzt und startet. "Du kannst mit mir reden, Julia", hört sie seine Stimme. "Du fliegst selber?" Matteo grinst und dreht sich kurz zu ihr. "Klar. Vertraust du mir?" - "Muss ja", murmelt Julia, die ein flaues Gefühl im Bauch hat. Matteo zwinkert ihr zu, dreht sich wieder zu seinen Instrumenten und hebt ab.

Nach einer Weile entspannt sich Julia und beginnt, sich die Landschaft unter ihr genauer anzusehen. Sie hat eine kleine Ahnung, wohin Matteo sie bringen könnte. Er hat das Land seines Großvaters immer geliebt und soweit sie weiß, hatten seine Eltern ein Weingut in der Toscana. Nach gut zwei Stunden landet der Heli tatsächlich in der Nähe einer Finca. Julia hat Schwierigkeiten, den Helm zu öffnen und lässt sich von Daniel helfen. Dieser zieht sich jedoch blitzartig zurück, als Matteo ihre Tür aufschiebt und ihn finster anfunkelt. "Daniel voleva solo aiutarmi", flüstert Julia und Matteo schaut sie verdutzt an. "Du sprichst italienisch?" - "Ja ... wir waren oft hier, Mira und ich. Sie spricht die Sprache noch besser als ich" - "Wow ... trotzdem hat er dich nicht anzufassen!" Julia legt ihre Hand an seine Wange. "Matteo, hör auf! Dieses Machogehabe ist dumm und gefällt mir nicht. Er hat mir geholfen, weil ich ihn darum gebeten habe, okay? Himmel nochmal, du bist doch keine zwanzig mehr, du solltest etwas mehr Selbstbewusstsein haben" - "Ich hab dich doch grade erst wieder, Julia" - "Ja, und ich bin hier, oder? Du hast deine Chance - versau sie nicht!" Julia schiebt ihn zur Seite und hüpft aus dem Hubschrauber, macht ein paar Schritte, schließt ihre Augen und atmet tief ein. Nach ein paar Sekunden schlingen sich Arme von hinten um sie, ein flüchtiger Kuss landet auf ihrer Schläfe. "Es tut mir leid, cuore mio" - "Bei mir musst du dich nicht entschuldigen, Matteo" - "Ich bin sein Boss, er erwartet keine Entschuldigung. Für ihn war es bereits genug, dass du ihn verteidigt hast - dafür wird er dich noch mehr beschützen als er es sowieso getan hätte. Jetzt komm ...". Matteo greift nach Julias Hand und verschränkt seine Finger mit ihren. DAS hier ist genau das, was er vermisst hat, ohne dass es ihm wirklich bewusst war. Mit Maria, das war ... arrangiert. In Gesellschaft waren sie das perfekte Paar, wenn sie alleine waren hatten sie keine Gemeinsamkeiten. Er liebt Italien und das Meer, während Maria lieber in der Großstadt war. Er war schon immer gern allein, während sie es vorzog, sich mit vielen Menschen zu umgeben. Galas und Gesellschaften waren ihm ein  Graus, Maria dagegen blühte dort erst richtig auf ...
So viele kleine Gegensätzlichkeiten, die es ihnen zusätzlich schwer gemacht hatten, eine harmonische Ehe zu führen. Und jetzt ist er hier mit seiner Julia, die Italien genauso liebt wie er und das erste Mal seit Jahren hat er das Gefühl, wieder richtig durchatmen zu können.

Cara MiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt