1

164 8 0
                                    

Matteo lässt seinen Blick über die Menschenmenge auf der Tanzfläche schweifen, die unter ihm wogt. Donnerstags ist immer viel los in seinem Club, den er vor Jahren übernommen und wieder ins Laufen gebracht hat. Er nippt an seinem Bourbon, bevor er sich umdreht und zurück in sein Büro gehen will. Doch in der Bewegung stockt er und sieht nochmal zurück. Er schaut nochmal genauer und tatsächlich - dort an der Bar sitzt Julia.

Seine Julia!

Julia, die ihn vor fast 30 Jahren einfach verlassen hatte. Sie war einfach untergetaucht, ohne Abschied, ohne Erklärung.  Er hatte kurz darauf eine Frau geheiratet, die sein Vater ausgesucht hatte und die gut fürs Geschäft war, hatte zwei Söhne in die Welt gesetzt, wie es verlangt wurde  - aber seine große Liebe hatte er nie vergessen. Die alte Wut flammt wieder in ihm auf und er würde sie am liebsten sofort zur Rede stellen, doch er beobachtet sie noch ein wenig. Sie ist älter geworden - natürlich, drei Jahrzehnte gehen nicht spurlos vorbei - und sie wirkt traurig. Es wirkt, als ob sie sich an ihrem Cocktailglas festhält. Er schmunzelt, als er bemerkt, dass es einer der alkoholfreien Cocktails ist. Anscheinend hat sich ihre Abneigung zu Alkohol nicht geändert. Er überprüft ihre Umgebung, doch sie scheint allein zu sein. Nachdenklich betrachtet er sie, als sie den Kopf hebt und sich ihre Blicke kreuzen. Erschrocken sieht sie ihn an, dann springt sie vom Barhocker und schiebt sich durch die Menschen in Richtung Ausgang. Er tippt an sein Headset, mit dem er immer in Kontakt mit seinem Sicherheitsteam steht. "Leon?" - "Ja, Boss?" - "Gleich kommt eine brünette Frau zu dir. Schwarzes Oberteil, Jeans, mein Alter. Halt sie fest, ich bin gleich bei dir" - "Okay, Boss". Matteo stellt sein Glas auf dem nächstbesten Tisch ab und läuft nach unten.

"Was soll das?" Wütend sieht Julia den Türsteher an, der sie davon abhält nach draußen zu gehen. "Sollten Sie nicht eher Leute davon abhalten, REIN zu gehen?" - "Danke Leon, ich übernehme". Leons Blick geht über ihre Schulter und er nickt und entfernt sich von Julia, die wie erstarrt da steht. "Julia", Matteos Stimme ist leise, als er sie zu sich dreht. Er mustert die Frau, die blaß vor ihm steht und immer wieder den Kopf schüttelt. Er legt einen Finger unter ihr Kinn und hebt ihren Kopf an. "Sieh mich an! Julia, bitte!"
Als sie ihm schließlich in die Augen schaut, erschrickt er über den Schmerz und die Angst in ihren Augen und seine Wut verschwindet. "Julia, was ist passiert?" Wieder schüttelt sie den Kopf und macht dann einen Schritt nach hinten. "Du musst vergessen, dass ich hier war. Bitte. Ich komm auch nie wieder her. Du hast mich nie gesehen!" - "Julia ..." - "Ich war NIE hier, verstehst du!" Abrupt dreht sie sich um und läuft davon. Leon sieht ihn fragend an, als sie an ihm vorbeiläuft, aber Matteo gibt ihm ein Zeichen und sie kann den Club verlassen. Grübelnd geht er in sein Büro. Irgend etwas an ihrer Reaktion irritiert ihn gewaltig. Es hatte den Anschein, als ob sie Angst hätte.
Hat Julia Angst vor IHM? Oder vor wem oder was sonst? Julia wusste nicht, dass seine Familie eine mächtige Mafiafamilie war, die in Deutschland agierte. Zumindest damals hatte sie keine Ahnung davon. Könnte das jetzt anders sein? Matteo greift zu seinem Handy und wählt die Nummer seines IT-Spezialisten, Sicherheitschefs und besten Freundes. "Ich hoffe, es ist wichtig, Matteo. Ich bin beschäftigt!" Gio ist der einzige in seinem Umfeld, der so mit ihm reden darf. "Gio, ich brauch deine Hilfe. Ich habe Julia heute gesehen". Gio ist lange still, bis er antwortet. "Julia? Deine Julia?" - "Genau die. Kannst du sie aufspüren?" - "Wie geht es ihr?" - "Ich weiß nicht ... sie war erschrocken, als sie mich gesehen hat, ängstlich, als ich sie angesprochen hab. Entweder hat sie Probleme, oder ..." - "... es hat etwas mit ihrem Verschwinden zu tun", ergänzt Gio seinen Freund. "Kannst du sie finden?" - "Du kennst mich. Hast du irgendwas, womit ich suchen kann? Eine Kreditkartenabrechnung, ein Autokennzeichen, ein Foto?" - Ich geh die Aufzeichnungen vom Club durch" - "Mach das. Ich fang ganz von vorne an, damals, als sie verschwunden ist. Wir haben heute ganz andere Mittel als damals ... Matteo?" - "Ja?" - "Was erhoffst du dir davon?" - "Ich hab sie nie vergessen, Gio, und als sie heute vor mir stand ... es war wieder wie früher. Ich wollte sie nur in den Arm nehmen, ihren Duft einatmen und sie beschützen. So, als wäre sie nie weggewesen" - "Sie könnte verheiratet sein" - "Ich weiß. Und wenn das so ist, muss ich das akzeptieren. Aber ich will wissen, warum sie damals so spurlos verschwunden ist. Verstehst du?" - "Ja" - "Vielleicht ist es Zeit, endlich mit der Vergangenheit abzuschließen, aber dafür brauche ich Antworten, die nur sie mir geben kann. Vielleicht gibt es aber auch eine zweite Chance für uns" - "Willst du sie wirklich in diese dunkle Welt hineinziehen?" - "Gio ... sie war immer mein Licht in meiner Welt, selbst als sie nicht bei mir war. Maria konnte das nie. Ich habe sie nie so geliebt wie ich Julia liebe. Das war nie mehr als ein Arrangement, eine Zweckehe zum Stärken der Familie. Du weißt, dass Luca und Alessio die Geschäfte so gut wie alleine führen ... ich bin zwar immer noch das Oberhaupt, aber ich kann jederzeit das Zepter weitergeben" - "Du wirst IMMER ein Teil dieser Welt sein, Matteo" - "Finde sie, Gio!"

Cara MiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt