Julia hat das Haus nicht verlassen, sie ist eine Treppe nach oben gelaufen und kauert dort im Schatten eines Schranks, Tränen laufen ihr übers Gesicht und sie schlägt ihre Hände vor den Mund, um ihr Schluchzen zurückzuhalten. Sie braucht einen Plan, einen Zufluchtsort und weiß auch schon, wo der sein wird. Doch um dorthin zu gelangen, muss sie erst mal raus aus diesem Haus. Sie hört unten Stimmen, laute Schritte, Türen die schlagen, Autos wegfahren ... dann ist es still. Julia traut der Ruhe nicht und wartet ab, den Kopf auf den Knien abgelegt und tief in Gedanken versunken. In welchen Alptraum ist sie da nur geraten?
"Hey", hört sie plötzlich eine leise Frauenstimme und Julia zuckt zusammen. Vorsichtig sieht sie auf und in die Augen einer jungen Frau, die vom Alter her ihre Tochter sein könnte. "Warum versteckst du dich hier oben?" Julia zögert, sie kennt diese Frau nicht und sie weiß nicht, wie weit sie ihr vertrauen kann. "Okay ... ich bin Tessa, die Tochter des Arztes und ich wohne hier. Wollen wir in mein Zimmer gehen? Hier finden sie dich bald, aber die Privaträume sind tabu. Du gehörst zu Matteo, oder?" Zögernd nickt Julia, steht langsam auf und folgt Tessa, die den langen Gang entlang läuft und am hinteren Ende eine Tür öffnet. "Komm schon", sagt sie etwas ungeduldig, da von unten wieder Stimmen zu hören sind. Sie schließt schnell die Tür, als beide in ihrem Zimmer sind und dreht zusätzlich den Schlüssel um, dann geht sie durch eine andere Tür und Julia hört, wie sie auch dort eine Tür verriegelt. Julia schaut sich um. Tessa hat ein Appartment für sich, mit Küchenzeile samt kleiner Essecke und ein großes Wohnzimmer im Anschluss, hinter einem Paravent vermutet Julia ein Bett und in dem anderen Zimmer ein Bad. "Setz dich. Willst du was trinken?" Tessa deutet auf einen Stuhl am Tisch und sieht sie fragend an. "Oh ja, bitte ... ein Glas Wasser vielleicht?" Tessa grinst Julia an. "Klar. Ich hab aber auch Limo oder Cola" - "Wasser ist gut, danke". Sie stellt eine Flasche auf den Tisch und zwei Gläser dazu, schenkt beide ein und schiebt ein Glas zu Julia. "Also ... wie heißt du? Und warum flüchtest du vor Matteo?" Julia hält ihr Glas mit beiden Händen fest und starrt auf das Wasser darin. "Julia ... ich bin Julia". Sie holt tief Luft, bevor sie Tessa in die Augen schaut. "Es ist eine lange Geschichte ... ich kenne Matteo schon sehr lange, er war meine Jugendliebe. Wir haben uns vor kurzem wieder getroffen und ...". Tessa ist neugierig, lässt Julia aber in Ruhe nachdenken. "Du weisst, dass er angeschossen wurde?" Tessa nickt. "Das war vor meiner Wohnung. Und jetzt will er mich wegsperren, in München, in seiner Villa. Ich muss hier weg, Tessa, bevor er mich findet" - "Er will dich beschützen, Julia, das ist doch klar" - "Zwischen beschützen und wegsperren ist ein großer Unterschied", antwortet Julia bitter. "Naja ... okay, ich bin so aufgewachsen ... aber wenn du für eine gewisse Zeit nur beschützt werden kannst, wenn du von der Bildfläche verschwindest? Du weißt bestimmt, dass Matteo der Don ist? Als seine Frau bist du ..." - "Ich bin nicht seine Frau!" - "Gut, dann halt Freundin, Partnerin, Lebensabschnittsgefährtin - ist doch vollkommen egal! Du bist immer in Gefahr. Und anscheinend ist irgendetwas am Laufen, sonst hätte man nicht auf euch geschossen. Julia!" Tessa greift über den Tisch nach Julias Händen. "Es gibt keinen Ort, der sicherer ist, als die Villa des Don ... oder eines seiner Häuser oder eine der Wohnungen. Du solltest ihm vertrauen". Julia denkt kurz nach, aber ihr Entschluss steht fest. "Kannst du mir helfen, hier rauszukommen?" Tessa mustert sie lange, sieht die Entschlossenheit in Julias Gesicht und nickt dann. "Ist ja egal, ob ich dir helfe oder nicht ... du ziehst das durch. Okay ... ich werde dich heute nicht mehr rausbringen, du musst hier schlafen. Morgen früh um acht ist hier Schichtwechsel mit Besprechungsrunde, da kannst du das Haus unbemerkt verlassen. Papa weiß, dass ich da oft eine Runde spazieren gehe, also fällt es nicht auf, wenn du in meiner Kleidung aus dem Haus gehst. Weißt du, wo du hinkannst?" - "Ja" - "Weiß Matteo das auch?" - "Nein" - "Okay. Hast du ein Handy?" - "Ja. Es ist aus" - "Perfekt. Ich besorg dir ein anderes, mit einer neuen Prepaidkarte. Du darfst das alte nicht nutzen, das ist dir klar, oder?" - "Man könnte mich orten, ich weiß" - "Ja, und zwar nicht nur Matteo, sondern auch andere. Ich lass dich jetzt mal kurz allein, ich sperr von außen ab. Da hinten im Schrank wär was zu essen, falls du Hunger hast. Ich bring aber Pizza mit - ich liebe Pizza, das fällt nicht auf".
Julia sieht Tessa hinterher, die fast lautlos nach draußen schlüpft und die Tür verschliesst. Endlich hat sie Zeit, tief durchzuatmen und ihre Gedanken zu sortieren. Sie wird später Tessa fragen müssen, ob sie telefonieren kann. Sie muss ihre Kolleginnen im Stich lassen, etwas, was sie nur äusserst ungern macht ... aber ihr bleibt keine Wahl. Und sie muss Mira Bescheid geben, dass sie ein paar Tage nicht erreichbar sein wird. Julia schaut in ihrem Rucksack nach ihrem Geldbeutel. Zum Glück war sie am Vortag noch auf der Bank und hat Geld abgehoben ... nicht viel, aber bis zu ihrem Unterschlupf wird es reichen - vorausgesetzt, ihr Plan funktioniert. Gerade wird ihr bewusst, wie riskant es ist, ohne Anruf dort aufzutauchen, aber es geht nicht anders.
Als Tessa nach langer Zeit wieder kommt, hat Julia tatsächlich etwas Hunger und sie isst dankbar die Pizza. Die beiden Frauen besprechen noch, wie das am nächsten Tag ablaufen soll und Tessa gibt Julia eine Jacke von sich. Da die beiden eine ähnliche Figur haben, wird es nicht auffallen, wenn Julia die Kapuze aufsetzt.Am nächsten Morgen sondiert Tessa die Lage und winkt Julia nach unten, als die Luft rein ist. Die Frauen umarmen sich kurz, aber herzlich, und als Julia vor der Mauer steht, die das Grundstück umgibt, atmet sie tief durch und beginnt, zügig in Richtung des nächsten Bahnhofes zu gehen. Mit dem Zug zu fahren ist ein Risiko, aber ihr eigenes Auto ist keine Option und ein Taxi zu teuer. Tessa schaut ihr von ihrem Fenster aus nach. "Viel Glück, Julia. Du wirst es brauchen!"
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Cara Mia
RomansaMatteo & Julia Ein Paar, das auseinander gerissen wurde. Matteo, der eine Familie gründete, seine Liebe aber nie vergessen konnte. Julia, die ein großes Geheimnis hütet, um ihre erste und einzige Liebe zu schützen. Was passiert, wenn die beiden nach...