Die Wachen zerrten an den schweren Fesseln. Vor Sekunden war Shaunees Gesicht noch in den Dreck des Marktplatzes gedrückt, jetzt schlossen sich eiserne Schellen um ihre Handgelenke und ihre Knöchel. Kaum war sie in den unergiebigen Ketten gefangen, atmeten die Soldaten um sie herum erleichtert auf.
Shaunee beobachtete dieses Verhalten mit gemischten Gefühlen. Die Haltung ihrer vermeintlichen Gegner entspannte sich. Als könnte sie ihnen nun keinen Schaden mehr zufügen, als wären sie sicher vor ihren Kräften. Dieser Gedanke frustrierte sie, denn es war nicht ihre Aufgabe Furcht und Schrecken zu verbreiten. Dafür standen die Anginen nicht, dafür dürfte sie nicht mehr stehen. Gut zugegeben, sie konnte es den Männern und Frauen nicht verübeln ihr nach dieser kleinen Schlacht gegenüber mit Vorbehalt zu begegnen. Nachdem sie angesehen hatten, wie sie als nur eine Person, in kürzester Zeit mal eben die Hälfte der Kompanien außer Stande gesetzt hatte.
Nein, was ihr vielmehr zu schaffen machte war die Tatsache, dass keiner dieser Soldaten auch nur eine loyale Regung den Anginen gegenüber gezeigt hatte. Waren sie nicht über ihre Anwesenheit erleichtert? Über das Zeichen, dass nun endlich eine neue Zeit angebrochen war? Hatten sie nicht langsam auch genug von dieser grausamen Diktatur, die ihr Leben bestimmte? Das keiner der Soldaten plötzlich seine Kameraden angreifen würde, war ihr klar. Aber warum hatte kein Einziger seine Waffen fallen gelassen und sich damit gewaltlos auf die Seite des Widerstandes geschlagen? Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, dann hatte sie erwartet, dass wenigsten ein Handvoll Soldaten nicht gegen den Angin kämpfen würden.
Tief in Gedanken versunken, entwich ihr ein Seufzen. Jasons Einfluss und Macht auf diese Menschen war stärker, als sie angenommen hatte. Und das hatte sie unglaublich unterschätzt. Ein kalter Schauer breitete sich auf ihrer Haut aus.
„Hattest du erwartet, dass sie dich mit offenen Armen empfangen?" ertönte die vor Ironie triefende Stimme eines Anginen in ihrem Kopf.
„Nein, natürlich nicht. Aber-" antwortete Shaunee der unbekannten Stimme prompt.
„Nicht jeder wird dich respektieren, nur weil du ein Angin bist!"
„Was ich nie vorausgesetzt habe..."
„Diese Annahme wäre unausgesprochen arrogant von dir. Respekt, Loyalität und Kredibilität muss man sich hart erarbeiten. Und da bist du noch lange nicht angekommen Mädchen!"
Das saß! Der scharf verurteilende Ton des männlichen Angins drang ihr tief bis zu den Knochen durch.
Shaunee blieb abrupt stehen. Wut köchelte in ihr auf. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann ihr das letzte Mal so der Marsch geblasen wurde. Außerdem nervte sie gewaltig, dass die Anginen so einfach in den Vordergrund ihres Bewusstseins gelangt waren. Nicht mal ihre Gedanken hatte sie für sich selbst. War das nun ihre Zukunft? Ständige Kontrolle und Beurteilung ihrer Taten und Gedanken, außer sie verbannte die Anginen bewusst aus ihrem Kopf?
Die beiden grimmigen Wachen duldeten ihre kleine Unterbrechung nicht und zerrten sie prompt an den Metallketten weiter. Stumm fluchend stolperte sie ihnen in kleinen Schritten hinterher. Viel mehr ließen ihre Fußfesseln nicht zu.
„Du könntest mir wenigstens deinen Namen verraten, damit ich dich auf die Liste der Leute setzte, denen ich es grundsätzlich niemals recht machen kann!" angesäuert horchte sie in das Bewusstsein der Anginen hinein, doch erhielt keine Antwort. Was anderes hatte sie auch nicht erwartet...
Kurz überlegte sie, ob sie es dem fremden Angin heimzahlen sollte und die Anginen für eine Zeit gänzlich aus ihrem Bewusstsein verbannen sollte. Doch sie ruderte schnell zurück. Jetzt war nicht die Zeit für kindische Handlungen. Sie musste ihre gesamte Konzentration auf das bevorstehende Aufeinandertreffen legen. Und ihr ar es nur Recht, wenn sie diese Begegnung mit dem Kollektiv der Anginen teilte.
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DWK - Zwischen Zwei Welten
FanfictionEine junge geheimnisvolle Frau, aus einer fernen Welt, taucht eines Tages im Lager der Kerle auf und stellt ihren mittlerweile routinierten Alltag mit einem Schlag auf den Kopf. Unter den jungen Männern und Frauen geschehen seltsame Dinge, die sie...