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Marlon rutschte unruhig im Sattel umher, doch trieb Lilith stetig vorwärts. Vor ihnen erhoben sich die hohen steinernen Stadtmauern Tamborinis. Alle hundert Meter ragte ein Wachturm empor, soweit das Auge reichte. Jeweils drei Soldaten hielten dort Ausschau und sicherten die Stadt. Zusätzlich patrouillierten einzelne Wachen auf dem Wehrgang und hatten ihre Blicke sowohl auf die Innenstadt gerichtet, wie auch auf die Zubringerwege außerhalb der dicken Mauern.

Auf genau einer solch unbefestigten Straße befanden sich die beiden Feuerbändiger gerade. Sie ritten geradewegs auf das streng kontrollierte Stadttor zu, welches aktuell den einzigen Ein- und Ausgang in die Hauptstadt darstellte. Vorkehrungen wurden getroffen, um die Stadt zusätzlich zu schützen. Darauf hatte Shaunee ihn vorbereitet.

Vor Ihnen zogen zwei Ochsen einen voll beladenen Wagen mit Stroh in die Stadt. Der ältere Herr hielt mürrisch die Zügel in der Hand und richtete seinen Blick stur geradeaus. Hinter ihnen taumelte eine Gruppe Menschen mit ihrem gesamten Hab und Gut auf dem Rücken. Kleine Kinder rannten freudig zwischen den Erwachsenen umher und ließen sich nicht von der besorgten Laune ihrer Eltern abhalten.

Shaunee vermutete, dass diese Leute Flüchtlinge aus dem gesamten Feuerstaat waren und sich mit der Hoffnung auf Arbeit und Essen auf den Weg in die Hauptstadt gemacht hatten. Vielen Menschen des Landes ereilte dasselbe Schicksal. Sie konnten ihre Höfe nicht länger bewirtschaften, da Jason ihnen beinahe alle Einnahmen und Erträge für die eigenen Truppen abzog. Für die Familien der Bauern blieb dann zu wenig Nahrung übrig, um zu überleben, während sie den ganzen Tag hart dafür arbeiteten. Wie sie in Airson erfahren hatten, sind im letzten Jahr die Flüchtlingsströme auf die zahlreichen größeren Städte angestiegen. Die missliche Lage des Landes spitze sich allgegenwärtig zu.

Unter seiner tief in die Stirn gezogene Kapuze wagte Marlon einen Blick zu Shaunee. Auch sie hatte sich einen langen braunen Mantel übergeworfen, dessen übergroße Kapuze versteckte die Hälfte ihres Gesichts. Beide trugen darunter lange Kleidung, die sämtliche Tattoos verdeckte und sie wie Reisende ausschauen ließ.

Marlon hoffte inständig, dass ihr Plan aufgehen würde. Am Vorabend hatten sie sich mit Henna-Farbe die roten Haare erneut braun gefärbt, um bloß nicht als Feuerändiger erkannt zu werden. Er hatte sich ein letztes Mal rasiert, damit sein rötlicher Bart ihn nicht verraten würde.

Sie wussten, dass die Tore in die Stadt besonders genau kontrolliert wurden, um den Angin zu schnappen. Deswegen durften sie kein Aufsehen erregen bei ihrem Versuch in die Stadt zu gelangen.

Marlon war auf die Idee gekommen, sich als Geschwisterpaar auszugeben, welches im Auftrag des Königshauses jagen ging. Um ihr Alibi zu decken, hatten sie beide die letzten zwei Tage in den Wäldern vor der Stadt auf Jagd gegangen. Hinter Marlon baumelten die Beine eines toten Rehs unter einer Decke hervor. Drei Hasen und zwei Fasane waren an den Sattel von Shaunees Hengst gebunden.

Mit Köcher und Bogen bewaffnet, erweckten sie ein glaubwürdiges Bild von Jägern. Also, wenn es nach ihm ging. Jetzt mussten ihnen das nur noch die kontrollierenden Wachen abnehmen.

Langsam näherten sie sich den schweren Holztüren des Stadttors. Der Wagen des Bauers vor ihnen wurde von zwei griesgrämig schauenden Wachen angehalten. Sie wechselten ein schnelles Wort mit dem grauhaarigen Mann, der sich nur ein verschrecktes Nicken abringen konnte. Kurz darauf traten beide Wachen an den hohen Strohberg und stachen mit spitzen Lanzen tief in das Stroh hinein. Nachdem sie dies einige Male wiederholt hatten und sicherstellten, dass er niemanden in seiner Wagenladung versteckte, winkten sie ihn schließlich durch.

Marlon kroch ein Schauer den Rücken hinunter. Sie sind verdammt genau, stellte er unruhig fest und zwang sich, gelassen zu wirken.

Als hätte Shaunee seine Gedanken gehört, was nicht möglich war denn sie hatten beide ihr Vidya zurückgezogen und einen starken Schutzwall darum errichtet, schenkte sie ihm einen bedeutungsvollen Blick. Er interpretierte es als einem Es-wird-schon-gut-gehen und hoffte, dass sie damit richtig lag. Dann trieb sie ihren Stutee vorwärts, den Wachen entgegen.

DWK - Zwischen Zwei WeltenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt