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Die Duschen tat mir unglaublich gut. Nachdem Erin mir schnell das Baumhaus gezeigt hatte, in welchem sie mit Raban gemeinsam lebte und mir erklärt hatte, wie alles funktionierte, lies sie mich alleine zurück. Ich konnte gar nicht schnell genug aus meinen verschwitzten und staubigen Klamotten heraussteigen. Das kühle Wasser auf meiner Haut war eine Wohltat und die Minuten vergingen wie in einem tranceartigen Zustand.

Sobald ich mir die Haare ausgewaschen hatte, stieg ich aus der Duschkabine heraus und wickelte mich in ein Handtuch. Der Abend war angebrochen und hüllte alles in ein dunkles, gemütliches Licht. Ein sanfter Wind durch die Baumkronen und zirpende Grillen waren das einzige, dass ich hören konnte. Diese Leute hatten sich schon einen schönen Ort ausgesucht, um eine Siedlung zu gründen.

Ich tapste zurück ins größere Zimmer. Erin hatte mir ein paar ihrer Klamotten zur Auswahl auf das große Bett gelegt. Meine Sachen konnte ich bei aller Liebe nicht erblicken. Das sommerliche grüne Kleid und ein kurzer Rock kamen für mich eher nicht in Frage. Ich kannte diese Leute nicht, warum sollte ich Ihnen direkt meinen gesamten Körper präsentieren. Mir war bewusst, dass ich durch das jahrelange Verstecken meiner Tattoos Freizügigkeit nie für mich in Frage kam.

Meine Hand wanderte zu einer langen aber weit geschnittenen beigen Stoffhose. Als ich sie anzog reichte sie mir bis zum Bauchnabel und war am Bund enganliegend. Ein dekorativer Gürtel, mit großer brauner Schnalle, war in den Saum eingenäht. Ich nahm mir einen schlichten BH und ein weißes Top und zog mich schnell um. Zurück im Bad angekommen kam ich nicht darum, mich im Spiegel zu betrachten. Es war sonderbar, wie ich aussah, ich war diesen Anblick nicht mehr gewohnt. Abgesehen von meinen auffälligen Tätowierungen, sah ich richtig normal aus! Meine langen, sonst so wilden roten Haare, hingen mir jetzt in nassen aber sanft geschwungenen Wellen bis zur Taille. Durch meinen hellen Hautton wurden die schwarzen Zeichnungen, die sich von meinem Schlüsselbein beide Arme herunter wanden und den kräftigen tiefen Rotton meiner Haarfarbe stark hervorgehoben. Beinahe schon kontrastartig.

Nachdem ich mir noch kurz meine Haare mit einem Handtuch antrocknete, entschloss ich mich, zu den Zwillingen zurück zu gehen. Ich schlüpfte in bequeme Sandalen und lief die Hängebrücke entlang, in jene Richtung zurück, aus der ich mit Erin gekommen war. Während ich die Treppe herunterlief, fielen mir die vielen Fackeln und Leuchten auf, die Wege und Richtungen abgrenzten. Was muss das für ein entspanntes Leben sein, hier ungestört mit seinen Freunden zu wohnen? Wo waren ihre Familien? Was war geschehen, dass die Gruppe an jungen Erwachsenen sich so weit abseits von jeder Zivilisation in diesem Niemandsland ansiedelte?

Ich war so in meine Gedanken vertieft, dass mir nur sehr spät auffiel, dass alle verschwunden waren. Erin hätte mir ja auch mal sagen können, wo ich hinkommen soll!

„Sie sind alle in der Lagerhalle und bereiten das Abendessen vor. Komm ich zeige dir den Weg." Eine der fremden Frauen erschien auf einer Treppe zu meiner linken Seite. Sie lächelte mich freundlich an, ehe sie die letzten Treppenstufen herunter gelaufen kam. Ihre braunen Haare hatte sie nun zu einem unordentlichen Dutt auf ihrem Kopf zusammengebunden. Sie schien mir etwas älter zu sein, nur einige wenige Jahre. Etwas war besonders an ihr, doch ich konnte meinen Finger nicht darauflegen.

„Ich bin übrigens Horizon. Kannst mich aber auch gerne Hori nennen, ist ein bisschen kürzer." Wie auch Klette zuvor, hielt sie mir ihre ausgestreckte Handfläche entgegen. Ihre Stimme war sanft, doch ihren wachsamen Augen schien keine Bewegung zu entgehen.

„Hi" antwortete ich und schüttelte auch ihre Hand. „Du bist eine der älteren hier, richtig?" ich konnte meine Neugierde nicht zurückhalten. Horizon nickte bestätigend und lenkte mich in eine gezielte Richtung, während wir nebeneinander her schlenderten.

DWK - Zwischen Zwei WeltenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt