Jasmin

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Die Steine unter ihren Füßen waren kalt und kantig. Sie kühlten ihre bloße Haut und ließen eine Gänsehaut auf ihren Armen entstehen. Sie wickelte die Decke fester um sich selbst und lief weiter.

Hermine wusste nicht genau wohin sie lief, nur dass sie nicht schlafen konnte, weil die Burg zu unheimlich leise war und ihr Verstand zu taub und da war etwas Schweres, dass tief in ihrem Innern saß, dass jedes Mal gefährlich ins Schwanken geriet, wenn sie versuchte sich auszuruhen. Es half auch nicht, dass jedes Mal, wenn sie ihren Augen schloss, vorbeizischende Lichter von Zaubersprüchen die Dunkelheit hinter ihren Augenlieder zerrissen. Jeder Moment der Stille führte zu Schreien und Rufen, zu einer lähmenden Angst, sodass sie sich außer Atem fühlte und sich selbst daran erinnern musste, dass diese Ruhe sicher war, dass sie sie genießen konnte, dass sie einfach atmen konnte.

Hogwarts war nicht mehr der Ort, an den sie sich erinnerte.

Wo einst dieselben Steinmauern das Fundament für alles Sichere und Magische in der Welt gewesen waren, sah Hermine jetzt nur noch den Tod. In der Dunkelheit lauerten Spinnen, und das Rascheln eines Umhangs ließ sie nach dem versteckten Schimmer einer silbernen Maske suchen. Jedes Mal, wenn sie die Augen schloss oder ein wenig länger als nötig hinsah, war es, als wäre sie wieder dort. Zurück bei den Monstern und den Schreien und den drohenden Schmerzen, die so quälend waren, dass man sich nur noch den Tod wünschte.

Sie hatte geglaubt, dass die Rückkehr zum Abschluss ihres letzten Jahres heilsam sein würde, dass sie sich ihrer Vergangenheit stellen und ihr Kinn trotzig erheben könnte, um zu zeigen, dass sie keine Angst hatte. Aber so war es nicht.

Stattdessen fühlte sich alles wie ein weiterer Stich in den Rücken an, eine weitere Fleischwunde, die zu der Narbe auf ihrem Arm passte. Anstelle eines Abschlusses hatte Hermine bisher nur mehr Schmerz erfahren. Anstatt das Grab zu bedecken, ertrank sie im Dreck, erstickte im Sarg, zusammen mit allem anderen, was hier geschehen war.

Seit ihrer Rückkehr vor zwei Wochen hatte sie nicht eine Nacht durchgeschlafen.

Harry und Ron hatten darauf bestanden, dass sie mit ihrem Leben weitermachen wollten, und Hermine musste sich eingestehen, dass sie verbittert darüber gewesen war. Obwohl sie den Frieden verdienten, versuchte sie egoistischer Weise, sie umzustimmen, denn Hogwarts war nicht dasselbe ohne ihre wetteifernden, aber erfolglosen Schachpartien und Harrys verzweifeltes Stöhnen, wenn Ron wieder einmal gewann. Sie schrieben ihr jeden Tag, aber Harrys Unterschrift konnte das konzentrierte Stirnrunzeln nicht ersetzen, das er machte, wenn er versuchte, etwas Neues zu verstehen, und der freundliche Biss von Pig in ihre Finger war nichts im Vergleich zu dem schweren Gewicht von Rons Arm, den er ihr um die Schultern legte.

Sie vermisste sie.

Sie vermisste Normalität. Sie vermisste alles, was ihnen versprochen gewesen war, bevor der Krieg gekommen war und ihnen alles entrissen hatte. Hermine vermisste es ohne den vergiftenden Einfluss der Angst zu leben, der ihren Herzschlag beschleunigte, wenn sie einen leeren Gang alleine hinunter lief und die Art, wie sie drei als sie noch jünger waren aufgeblüht sind und diese Zeit einfach hinuntergeschlungen und verschwendet haben. Sie hätten genießen sollen, wie sich die Sonne auf ihren Gesichtern angefühlt hat, als ihre größte Sorge gewesen ist, dass Snapes Aufsatz am nächsten Tag fällig war. Sie hätten es genießen müssen zu leben.

Denn obwohl sich Hermine mehr als genug über das klopfende Herzen in ihrer Brust bewusst war, war sie sich auch bewusst, dass das was sie tat, nicht leben war. Es war kaum mehr als zu überleben.

Also wanderte sie die dreizehnte Nacht in Folge durch die kalten Korridore in Hogwarts, zuckte zusammen, wenn ihre nackten Füße auf etwas kantiges traten und versuchte ihre wirren Gedanken zu ordnen. Sie fühlte sich wie ein Puzzle ihres alten Ichs, durcheinander und in zerbrochen Teilen, die jeden stachen, der versuchte sie anzufassen. Egal wie viele Stunden sie in der Bibliothek verbrachte, oder wie viele ihrer Lieblingsbücher sie las, Hermine schaffte es nicht, dass die Teile wieder an ihren ursprünglichen Platz wanderten, um ihr altes Ich wieder herzustellen. Sie weigerte sich zu glauben, dass sie gebrochen war. Vielleicht wusste sie nur noch nicht, wie sie die Teile wieder zusammensetzten musste.

Wanderer deutschWo Geschichten leben. Entdecke jetzt