Der Abgrund und Granger

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Er hatte schlechte Laune. Wirklich verdammt miese Laune.

Sie strömte wie ihn Wellen aus ihm heraus und man musste es ihm auch an seinen geschürzten Lippen und der Kapuze, die ihm bis über die Augen hing, ansehen, denn jeder, an dem er auf dem Weg zum Frühstück vorbeikam, warf einen Blick auf ihn und wich ihm schnell aus. Sie zogen ihre Köpfe ein, doch trotz ihrer offensichtlichen Furcht, konnte er immer wieder Geflüster hören, wenn ihre Unverfrorenheit die Oberhand gewann. Draco warf einer besonders dreisten Gryffindor Schülerin einen finsteren Blick zu, die sich nicht einmal die Mühe machte, ihre Stimme zu senken, als sie ‚Malfoy' und ‚Todesser' im selben Satz verwendete.

Es war ja nicht so, dass sie Unrecht hatte, aber er musste nicht ständig daran erinnert werden.

Er hatte seine Tasche nicht dabei, weil er der Unterricht für ihn jetzt eh nicht mehr wichtig war. Blaise steckte ihm eine Feder und etwas Papier zu, als der Professor nicht hinsah, und Draco machte sich erst nach fünf Minuten wütenden Grübelns und einem mühsamen Seufzer Notizen, weil sein Kopf durch die Hitze des Blicks seines Freundes zu brennen begann. Obwohl er immer ein guter Schüler gewesen war (nie so gut wie Granger, dachte er verbittert), konnte er sich nur fragen, was das Ganze sollte. Welchen Sinn hatte es, zu versuchen, wieder auf den richtigen Weg zu kommen, wenn er in weniger als vier Monaten bereits in Askaban sitzen könnte.

Blaise hatte seinen Prozess nicht mehr erwähnt. Insgeheim war Draco erleichtert über das Taktgefühl seines Freundes, aber ein Teil von ihm wünschte sich, dass Blaise sich weniger Gedanken machen würde. Er grenzte sich nur selbst aus, wenn er mit ihm gesehen wurde, und Draco wusste genau, dass gesellige Gespräche verstummten, sobald er einen Raum betrat. Ihm war auch aufgefallen, dass Blaise sowohl seinen als auch Dracos Teller mit Essen füllte, um sich zu vergewissern, dass er auch aß. Das war einer der Gründe, warum Draco dazu übergegangen war, einige seiner Mahlzeiten in der Küche einzunehmen.

Er wollte nicht, dass Blaise sich zu sehr an ihn gewöhnte. Nicht, wenn er nicht mehr lange hier sein würde.

Aber er wusste auch, dass Granger ebenfalls in der Küche aß, und im Moment war Blaise die geringere der beiden Nervensägen.

Er fragte sich, was ihre Gründe dafür waren.

In der Großen Halle herrschte reges Treiben. Die Eulen waren soeben hereingeflogen und pickten an den Fingern ihrer Empfänger, als sie um Futter oder Bezahlung wetteiferten. Draco fühlte sich zu dem offenen Fenster hingezogen, das ihnen den Zugang ermöglichte. Er wünschte sich, es wäre so einfach, einfach abzuheben, in den Septemberhimmel zu fliegen und niemals anhalten oder zurückschauen zu müssen, einfach in den Wolken zu verschwinden. Der Lärm der morgendlichen Aufregung verstummte, und er wurde sich schmerzlich der Stille und der Hunderte von Augen bewusst, die sich umdrehten, um ihn anzustarren, bevor sie sich schnell wieder abwandten.

Draco fand, dass dies seine Laune erheblich verschlechterte.

Er schlich hinüber zum Slytherin-Tisch, und als Blaise die Bank entlang rutschte, um ihn Platz zu machen, gab er nach, denn er hatte weder die Mühe noch die Energie, sich heute Morgen gegen ihn zu wehren. Sein Herz sank mit seinem Körper, als er sich neben Blaise setzte, die Schultern entspannten sich, der Kopf hämmerte. Er widersprach nicht einmal, als Blaise begann, ihm Speck und Toast auf den Teller zu legen.

„Magst du Blutwurst?", fragte Blaise beiläufig.

Draco antwortete nicht. Seine Augen brannten, weil er kaum geschlafen hatte, und er hatte das Gefühl, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggezogen.

„Ich nehme an, das heißt nein.", sagte Blaise. „Aber du isst ein paar Bohnen. Die sind gut für dein Herz."

„Ich gehe nach Verwandlung zu Madam Pomfrey.", murmelte Draco, und Blaise sah ihn überrascht an. „Ich habe nicht geschlafen."

Wanderer deutschWo Geschichten leben. Entdecke jetzt