Kapitel 1

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Nova

Weinend lief ich nach Hause. Das war die schwerste Entscheidung meines Lebens gewesen. Eine innere Kälte breitete sich in mir aus. Ich konnte kaum atmen. Es war, als läge eine schwere Decke auf mir und würde mich langsam erdrücken. Schluchzend stand ich an der Ampel und wartete auf Grün. Immer wieder wischte ich mir die Tränen weg.
Du hast die richtige Entscheidung getroffen. Er liebt dich nicht. Nicht mehr zumindest. Wenn er es täte, hätte er sich nicht so benommen. Du verdienst jemanden, der dich wertschätzt, auch wenn er viel zu tun hat. Er hat das nicht getan. Er hat dich hängen lassen. Und das über Monate. Er hat seine Versprechen gebrochen. Du kannst ihm nicht trauen. Du weißt nicht, mit welchen Frauen er es in deiner Abwesenheit getrieben hat. Mit so viel hübscheren Frauen als dir. Du warst für ihn nur eine nette Ablenkung. Ein kleines Spielzeug. Kannst du so jemanden überhaupt über den Weg trauen?

Zuhause angekommen sprintete ich in mein Zimmer und schloss die Tür ab. Sofort verschnellerte sich mein Atem und ich fing an heiser zu schreien. Ich presste meine Hand vor den Mund, damit man ja keinen Mucks hörte. Noch nie hatte ich so einen innerlichen Schmerz gespürt, wie in diesem Moment. Selbst das leise Schreien und weinen brachte mir keine Genugtuung. Verkrampft hockte ich auf dem Boden, weinte und schluchzte in meine Hände hinein. Ausgerechnet heute mussten meine beiden Eltern da sein. Ich fühlte mich innerlich so leer. So leer wie noch nie. Mein Inneres bebte. Die Tränen machten es mir unmöglich auch nur irgendetwas in meinem Zimmer zu erkennen. Schwach kletterte ich auf mein Bett. Unter der Decke rollte ich mich zusammen und ließ alles raus. Mein Körper fühlte sich leer und kalt an. Die Vibration meines Handys an meinem Brustkorb ließ mich erschaudern. Wer schrieb mir denn jetzt?! Hoffentlich war es nur Calle, der mich etwas wegen des Trainings fragte. Ich schaute verheult auf das Display. Erst konnte ich nichts erkennen. Ich blinzelte mehrmals und erkannte dann den Namen.
Dano hatte versucht mich anzurufen.
Vergiss es.
Als ob ich da rangehen würde.
«Bitte, Nova! Ich bereue es so sehr! Du weißt gar nicht, wie mich das trifft! Lass uns bitte noch mal reden. Ich will dich nicht verlieren»
Dafür hatte ich keinen Nerv. Absolut nicht.
«Tut mir leid, aber ich bin momentan nicht in der Verfassung mit dir zu sprechen. Vielleicht in ein paar Tagen.»
Darauf antwortete er mir nicht mehr.
Im Bad betrachtete ich mein rotes und geschwollenes Gesicht. Meine Augen waren so stark aufgequollen, dass ich mich wunderte, wie ich überhaupt noch irgendetwas sehen konnte. Aber selber Schuld. Wer geht denn auch mit seinem Lehrer eine Beziehung ein? Es war doch vorauszusehen, dass er sich irgendwann nicht mehr für mich interessierte.
Ich hätte seinen Kuss ablehnen sollen.
Ich hätte die Reise ablehnen sollen.
Ich hätte seinen Schutz ablehnen sollen.
Mit den damaligen Tanzstunden hatte der ganze Scheiß ja angefangen. Wieso habe ich das gemacht?! Letztendlich hätte es niemanden gejuckt, ob ich nun Tanzschritte draufhatte, oder nicht. Waren sowieso alle hackedicht. Wahrscheinlich wäre ich nicht mal zum
Ball gegangen. Wozu auch? Wäre ich nicht gegangen, hätte mich Marlisa nie fast umgebracht.
Aber das war nicht mehr zu ändern. Ich konnte ähnliche Ereignisse verhindern, indem ich ihn meidete. Am Mittwoch wäre die erste Unterrichtsstunde mit ihm. Hoffentlich kam er nicht auf die Idee, mich nach dem Unterricht dazubehalten.

Noch fünf Minuten, dann startete die Geschichtsstunde. Nervös wackelte ich mit meinem Stift. „Alles in Ordnung?", fragte Ben. Ich nickte. Dano kam rein. Nein, nicht Dano. Herr Hardwig. Ihn wieder mit Nachnamen anzusprechen würde sicherlich bei der Distanzierung helfen. „Guten Morgen, liebe Klasse", begrüßte er uns.
Wie die Stunde wohl wird?
„Ihr bekommt heute einen längeren Arbeitsauftrag, denn-"
„Herr Hardwig!"
Johanna.
Hatte Marlisa ihren Crush auf Hardwig an Johanna weitergegeben?
„Wann bekommen wir die mündlichen Noten? Von allen Lehrern haben wir die schon bekommen, nur von Ihnen noch nicht", schmollte sie. Er überlegte kurz und sah auf seinen offenen Ordner. „Ja, in Ordnung. Während ihr arbeitet, bekommt ihr eure mündlichen Noten. Ich gebe euch für Sport direkt die Note dazu."
Ben und Tjark freuten sich. Notenbesprechung hieß immer: keine Arbeit, zocken und dann bei den Strebern abschreiben.
Ich war relativ mittig in der Namensliste. Er gab uns den Arbeitsauftrag und verschwand aus dem Klassenzimmer. Nach und nach gingen die Schüler raus. Ich bekam schwitzige Hände. Zu Unrecht, denn was sollte auf dem Schulflur schon passieren?
„Nova."
Ich seufzte und stand auf. „Soo", nuschelte er leise und schloss die Tür. „Nova, ich würde dir mündlich in Geschichte eine zwei plus geben. Bist immer gut dabei und arbeitest zuverlässig." Er räusperte sich. Ihm schien es schwerzufallen, in meiner Anwesenheit die normale Lehrerrolle zu übernehmen.
Hm. Dieses Outfit kenne ich doch... Das hatte er schon mal an... Genau! Er hatte ein Zoom-Meeting gehabt und sich dafür schick angezogen. Danach war er frustriert und gut gelaunt zugleich. An diesem Abend war es das erste Mal, dass Hardwig mich gefesselt hatte. Das war das erste Mal, dass ich je multiple Orgasmen erlebt hatte.
„Alles in Ordnung? Oder gibt es etwas einzuwenden?" Ich erwachte aus meiner Starre.
Er sieht schon lecker aus.
Nein, sowas darf ich nicht denken.
„Kommst du am Stundenende nochmal zu mir?"
Seufz.
„Klar", sagte ich, ohne ihm in die Augen zu sehen. Die Erinnerungen an besagten Abend waren zu heftig gewesen. Mein Kopf war extrem heiß und zwischen den Beinen wurde es nass. Und es ärgerte mich. Wieso sah er nur so gut aus? Wieso musste mein Körper noch so auf ihn reagieren? Er hat mich verletzt! Das sollte Grund genug sein, nicht mehr ein Wasserfall zu werden.

Am Stundenende packte ich schnell zusammen und wollte hastig das Klassenzimmer verlassen, doch ausgerechnet heute mussten meine lieben Mitschüler die Tür verstopfen. Und ich stand hinten an. Na, vielleicht hatte er es trotzdem vergessen.
„Nova? Würdest du bitte noch mal zu mir kommen?"
Was war eigentlich meine Sportnote gewesen..?
Seufzend drehte ich mich um und ging auf ihn zu. Die Tür fiel ins Schloss und er setzte an. „Nova, es tut mir unfassbar leid."
Och Junge.
„Ich wollte dich nie verletzen. Ich habe dich wegen meiner Arbeit aus den Augen verloren."
Irre ich mich, oder fängt der gleich an zu weinen?
„Nova, du weißt gar nicht, wie viel du mir bedeutest, ich-"
„Psshh." Wenn er das schon in der Schule ansprechen musste, dann doch bitte leise.
„Ich liebe dich", hauchte er und wollte meine Hände ergreifen. Ich wich zurück. „Ich kann das noch nicht. Gib mir noch ein bisschen Zeit." Ich sah ihn entschuldigend an und wandte mich ab.
Auf die Tränendrüse braucht er mir nicht zu drücken. Er soll seine Liebe beweisen.
Aber wie soll er sie beweisen, wenn ich ihn andauernd abblocke?
Gute Frage. Keine Ahnung, soll er sich was einfallen lassen.
Genervt verließ ich das Schulgelände.
Der weiß gar nicht, in was für 'ne Scheiße der sich geritten hat.
Andererseits fiel es mir schwer, so kalt zu ihm zu sein. Ja, er hatte mich verletzt. Und nicht nur einmal. Aber er war und ist meine erste und große Liebe. Ihn so zu sehen zerriss mich innerlich.

Die folgenden Tage waren mehr als unangenehm. Im Unterricht nahm er mich öfter dran, auch wenn ich mich nicht gemeldet hatte. Beim Sportunterricht gab er mir besonders viele Tipps und besonders viel Lob. Auf dem Schulflur grüßte er immer herzlich. Ich war erschöpft. Ihn jeden Tag zu sehen und gezwungenermaßen jeden Tag mit ihm zu reden. Lange hielt ich das nicht mehr aus.
Es vergingen Wochen und Monate. Hardwig hatte immer versucht sich zu entschuldigen und wieder Kontakt aufzubauen. Aber ich blockte weiterhin ab. Ich war zu leer und zu ermattet, als dass ich ihm die Liebe geben konnte, die er von mir gewohnt war. Ich war nicht bereit für einen weiteren Versuch. Natürlich vermisste ich ihn. Seine Zuneigung und dummen Witze. Aber war es das wert? Nur noch ein Jahr Schule und dann sah ich ihn wahrscheinlich nie wieder. Was soll's. Vielleicht täte ein klärendes Gespräch zwischen uns gut. Selbst nach zwei Monaten Funkstille gab er nicht auf. Er war hartnäckiger als gedacht.

Forever Teachers Pet (Lehrer x Schülerin) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt