Kapitel 1.2

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Auch die Wache verneigte sich tief vor der Frau, welche weder ihm noch Lina Beachtung zu schenken schien. Stattdessen observierte sie die Dienstmädchen, gab ihnen Anweisungen und maßregelte gelegentlich einige Gardisten, dass sie doch nicht rumstehen sollten wie ein Pack Vagabunden.

„Madam Filtrin, die neue Hauslehrerin der Prinzessin ist hier", erhob der Wachmann letztlich seine zittrige Stimme und das katzenhafte gelbe Augenpaar der Frau richtete sich langsam auf Lina.

„Was stehst du da dann noch rum? Los, zurück an deinen Posten", entgegnete die große Frau und machte eine huschende Bewegung, worauf die Wache sich zögerlich entfernte und Lina mit der Madam zurückließ. Diese schnippte darauf mit den Finger und machte auf der Verse kehrt, um mit wiegenden Hüften vorauszugehen. „Folgt mir. Ich werde Euch herumführen."

„Habt Dank", antwortete Lina, bevor sie der Frau folgte. Dabei versuchte sie sich daran zu erinnern, woher sie den Namen Filtrin kannte. Wer war diese Frau genau? Warum fiel es ihr nicht ein? Dabei war sie sich sicher, dass sie diesen Namen schon einmal gehört hatte.

„Ich bin die Madam des Palasts. Jedes Dienstmädchen, welches Ihr hier seht und mit der königlichen Familie in Kontakt kommt, wird von mir ausgebildet. Ich bin sozusagen das Bindeglied zwischen Hof und Königsfamilie. Sollte also irgendetwas mit Euren Räumlichkeiten nicht stimmen oder eines meiner Mädchen unverschämt werden, wendet Euch an mich und ich werde mich darum kümmern. Allerdings will ich von vornherein klarstellen, dass ich zwar mit der Küche zusammenarbeite, jedoch nicht die Leitung über diese habe." Letzteres erklärte sie mit einem angestrengten Seufzen, als würde böses Blut zwischen ihr und der Küche herrschen. Derweil wurde Lina durch lange Gänge, kunstvolle Galerien und eindrucksvolle Hallen geführt.

Lina unterdrückte bei der Erklärung ein erleichtertes Seufzen. Heute schien wirklich alles gut zu laufen. Jetzt musste sie nur noch herausfinden, wie ihr eigentlicher Name sein müsste. Immerhin war die Hauslehrerin sicherlich namentlich bekannt. Ob sie vielleicht sogar schauen sollte, dass sie ihren Gönner informierte und sich dieser darum kümmerte? Wenn die echte Hauslehrerin hier auftauchte, könnte das durchaus Probleme mit sich bringen.

„Ich verstehe", sagte Lina möglichst ruhig. „Ich bin sicher, dass ich mich auch mit der Küche arrangieren werde."

Ein hohes, melodisches Lachen, was man fast schon als falsch bezeichnen könnte, erklang von der Madam, als sie die Finger vor die Lippen hob. „Ich würde es eher nicht empfehlen. Die fette, hässliche Kuh lässt nur mit sich reden, wenn man sie vorher mit hartem Schnaps abgefüllt hat", winkte sie amüsiert ab, doch der Hohn in ihrer Stimme war nicht zu leugnen.

Lina war sie schon jetzt unsympathisch, doch sie würde es nie zeigen. „Das ist sehr gut zu wissen. Dann sollte ich mir vorher vielleicht etwas dementsprechend liefern lassen", ging sie darauf ein. Allerdings würde sie sich vorher ein eigenes Bild machen wollen.

Die Madam winkte nur ab. „Wie Ihr meint. Jeder muss seine eigenen Fehler machen", schloss sie das Thema vorerst ab.

Mit einer eleganten Drehung hielt sie vor einer Tür inne und legte die Hand an diese. „Dies wird jedenfalls Euer Zimmer sein, während Eures Aufenthalts. Meine Mädchen kümmern sich um die Beheizung, doch wenn Ihr bestimmte Vorlieben habt, lasst es mich wissen. Geografie war noch nie meine Stärke. Ich erinnere mich nicht daran, ob man in Karakams wärmere Temperaturen gewohnt ist."

Schnell versuchte Lina ihr Gehirn anzustrengen und zu überlegen, wo Karakams lag. „Bei uns ist es sehr warm, daher bin ich die Kälte hier noch nicht gewohnt", antwortete Lina, als dieser einfiel, dass Karakams recht weit im Süden lag. Sie erinnerte sich, dass die Sommer dort sehr hart sein konnten und die Winter eher mild.

Tatsächlich schien die Madam von dieser Information fasziniert, wie amüsiert zugleich. „Oh, das wird den König sicher interessieren. Wir bekommen hier nicht so oft solch exotischen Besuch. Am besten Ihr sucht Euch schon mal die schönsten Anekdoten zusammen. Man lässt extra ein großes Abendmahl für Euch veranstalten. Doch nehmt es nicht zu ernst. Der Prinz nimmt jeden Grund als Anlass für eine gute Feier. Und der König kann seinem Liebling ja nichts abschlagen", erklärte sie mit einem belustigten Kopfschütteln, als würde sie über ihre eigene Familie sprechen. „Wie dem auch sei, eine passende Abendgarderobe sollte dennoch vorhanden sein."

Bei diesen Worten wanderte der klagende Blick der Madam missbilligend über Linas Aufmachung. „Ich bin sicher, die Dienstknaben werden Euer Gepäck bis zum Abend in Euer Gemach gebracht haben."

Vorausgesetzt sie hatte Gepäck ... abgegeben hatte sie immerhin nichts. Doch noch bevor Lina antworten konnte, setzte sich die Madam auch schon wieder zügig in Bewegung und klackerte mit ihren hohen Absätzen durch die leeren Korridore.

Zurück blieb Lina, die erst einmal ausatmete. Sie hatte durchaus Gepäck, nur war dieses noch unterwegs. Ihre Kutsche hatte sie etwas weiter vom Schloss entfernt herausgelassen, damit sie ein Stück laufen und die Atmosphäre in sich aufnehmen konnte. Zudem war nicht ganz klar gewesen, was sie alles brauchen würde. Jetzt, da sich ihre Identität geändert hatte, musste sie umplanen.

Obwohl sie nicht damit gerechnet hatte, als Hauslehrerin auftreten zu müssen, war sie doch auf viele Dinge vorbereitet gewesen. Sie glaubte jedoch nicht, dass sie ein passendes Kleid besaß.

Als sie sich auf das Bett setzte, bemerkte sie sofort, wie weich es war. Es lud förmlich dazu ein, sich darauf niederzulassen, doch das konnte sie jetzt nicht. Statt sich auszuruhen, zog sie aus ihrer Manteltasche ein kleines Büchlein und notierte sich: Hauslehrerin, Madam Filtrin, Karakams und Prinz Lieblingskind. Damit würde sie später hoffentlich noch genug anzufangen wissen.

Noch während ihr Füller über das Papier kratzte, erklang plötzlich ein zögerliches, gar zaghaftes Klopfen an ihrer Tür. Viel zu sanft, als dass es Madam Filtrin sein könnte. Zumindest ging sie davon aus, dass diese Frau sicher eine bestimmte Klopferin war ... eine, bei der man nicht anders konnte, als die Tür sofort zu öffnen.

Lina versteckte ihr Büchlein unter dem Kopfkissen, erhob sich und öffnete die Tür, um zu sehen, wer da war.

Zu ihrer eigenen Überraschung stand dort die Wache, welche sie bereits an den Toren empfangen hatte und welche auch vor Angst gezittert hatte, als sein Kollege das Wort an ihn gerichtet hatte.

Er verneigte sich tief, als er Lina erblickte, doch rührte sich vorerst nicht von der Stelle. „Ich erbitte Eintritt, Mylady."

Zuerst wollte sie diesen verweigern, doch da sie gerade erst eingezogen war, machte sie einen Schritt zurück. „Bitte", sagte sie und ließ ihn eintreten. Was er hier wollte, fragte sie gar nicht. Er würde es sicherlich erklären, sobald die Tür geschlossen war. Vielleicht fühlte er sich dann auch etwas sicherer.

Mondmagie - Windfall - Band 1 - BEENDETWo Geschichten leben. Entdecke jetzt