Noch Tage später dachte Lina froh an den Abend mit Kivan zurück. Sie hatte es wirklich genossen nicht so steif auftreten zu müssen. Nicht, dass ihr das besonders leichtfiel. Eigentlich war sie nicht gut darin und die meisten merkten das wohl auch, doch zum Glück sagte niemand etwas.
Nach dem Unterricht mit Arabella schlenderte sie durch den Garten und überlegte, was sie heute tun sollte. Sie sollte eigentlich Rathan mal wieder besuchen. Ihn hatte sie etwas vernachlässigt.
Sie hatten sich immerhin irgendwie verabredet. Doch erspähen konnte sie ihn nirgendwo. Ob er vielleicht bei sich zu Hause war?
Weil sie nicht sicher war, machte sie sich auf den Weg dorthin, um zu sehen, ob es ihm gut ging. Dabei achtete sie darauf, dass niemand sie bemerkte.
Sie sollte sich erstmal wirklich bedeckter halten und nicht allzu sehr auffallen. Immerhin sollte niemand auf die Idee kommen irgendwelche Fragen zu stellen, die Lina auffliegen lassen könnten.
In einen Umhang gehüllt lief sie durch die gefüllten Pfade der kleinen Stadt, um zu Rathans Behausung zu gelangen.
Dort angekommen, betrachtete sie die eher heruntergekommene Hütte, bevor sie zögerlich klopfte. In seine Privatsphäre wollte sie auch nicht unbedingt eindringen. Zumindest nicht mehr als sie es ohnehin schon getan hatte.
Mit einem Knarzen öffnete sich die Tür und ein ziemlich verschlafener Rathan blickte ihr müde entgegen. „Lina?" Erst als er sie richtig erkannte, rieb er sich eilig über die Augen, verbesserte seine verkümmerte Haltung ein wenig und trat beiseite, um ihr Einlass zu gewähren.
„Ist mit dir alles in Ordnung? Ich habe dich nicht im Schloss gesehen und mir Sorgen gemacht", bemerkte sie und trat langsam ein. „Bist du krank oder hast du frei? Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe."
„Ich habe um einen freien Tag gebeten, ja ..." Unbehaglich rieb er sich den Hinterkopf und schloss hinter Lina wieder die Tür. „Was ist denn los? Hast du etwas rausgefunden?"
„Nicht zwingend. Ich wollte einfach mit dir reden und sehen, ob es dir gut geht", gestand sie und fühlte sich schuldig, dass sie ihn geweckt hatte.
Mit einem flüchtigen Blick, sah sie sich in seiner Bleibe um. An sich wirkte alles genauso wie sie es in Erinnerung behalten hatte. Nur in dem kleinen Ofen, brannte leichte Glut, die zum Großteil von Asche bedeckt war. Kein Wunder bei dem schönen Wetter draußen.
„Hast du Zeit, oder soll ich wieder gehen?", fragte sie zögernd. Wenn er sich ausruhen wollte, sollte sie wirklich wieder gehen.
„Oh! Nein, nein, nein!", versprach er eilig und hob mit einem leicht überforderten Lachen die Hände. „Entschuldige, ich ..." Er ließ den Satz offenstehen. Vermutlich wusste er selbst nicht so recht, was er wollte. Ergeben pustet er die Luft in seinen Lungen zu einem Seufzen aus und deutete Lina sich auf einen Hocker zu setzen. „Hast du denn etwas Neues rausgefunden?"
„Nicht unbedingt", gestand sie und ließ sich einfach auf dem Boden in der Nähe des Ofen nieder. „Ich hab aber ein Mädchen gefunden, das Magie beherrscht und die ich unterrichte, während ich an jemanden vielversprechenden dran bin. Kennst du den Stallburschen Kivan?"
Langsam zog Rathan die Augenbrauen zusammen und schien einen Moment nachzudenken. „Kivan? Ja ... wobei kennen zu viel gesagt wäre. Er redet eigentlich nie mehr als er muss."
Das überraschte Lina, hatte sie ihn doch die letzten Tage recht gut kennengelernt. „Mit mir spricht er eigentlich recht viel", bemerkte sie nachdenklich. „Er könnte einer der Gesuchten sein."
„Na du gehörst ja auch zur hohen Gesellschaft", erinnerte er sie, als würde sie dadurch einen Sonderstatus innehaben. „Mit Prinz Marel redet er auch öfter."
„Verstehe", meinte sie, obwohl sie gar nicht recht nachvollziehen konnte, warum das so war. Vielleicht, weil er nicht unhöflich sein wollte? Er wusste aber auch nicht, dass Lina eigentlich eine Magierin des Ordens war.
„Bist du denn sicher, dass er ... mein Halbbruder sein könnte? Meine Mutter hat immer gesagt, er war nur für ein Jahr in Windfall, bevor er verschwunden ist. Kivan ist doch ... fünf Jahre älter als ich oder so", gab Rathan zu bedenken.
„Es gibt keine Garantie, dass dieser aus Windfall ist", bemerkte sie nachdenklich. Immerhin hatte er ihr nicht erzählen können, woher seine Eltern gekommen waren. Oder er hatte es nicht gewollt.
„Gibt es nicht?", fragte Rathan irritiert und hob vielsagend eine Augenbraue. „Wieso sonst sollte man hier leben und als Stallbursche arbeiten wollen, wenn man eine andere Wahl hätte?"
„Er hat keine andere Wahl, da seine Eltern, laut ihm, nicht mehr leben. Weder Mutter noch Vater", erklärte sie nachdenklich und spielte mit einer Haarsträhne. Dass sie noch immer am Boden vor dem Ofen saß, machte ihr nichts aus.
„Aber wieso sollte er dann hierhergekommen sein, wenn er von außerhalb kommt?", fragte er rätselnd. Es war weniger eine Frage direkt an Lina als mehr an die allwissende Macht, die sich irgendwo in den Wolken verbarg.
Lina zuckte die Schultern. „Eine sehr gute Frage. Leider weiß ich das nicht", gestand sie leise. „Aber ich denke, dass wir vielleicht weitere Söhne außerhalb von Windkreis finden könnten. Soweit ich das verstanden habe, seid ... ihr auf der ganze Welt zerstreut."
Schweigen legte sich über den Raum, während Rathan ihrem Blick auswich. Es musste eigenartig für ihn sein, nun zu erfahren, dass er eine Familie haben sollte, von der er zuvor noch nie gehört hatte. Zumindest sofern man es denn eine Familie nennen konnte.
„Ich möchte dich aber auch nicht gleich überfordern", bemerkte Lina, da Rathan offensichtlich nichts dazu zu sagen hatte. „Aber ... ich möchte noch einmal besprechen, was es bedeutet, Teil der Prophezeiung zu sein."
Langsam schielte er wieder zu der jungen, schwarzhaarigen Frau und schien ein wenig zu zweifeln. „Teil der Prophezeiung sein? Ich dachte ... wir müssen nur irgendein Ritual vollführen?"
„Ja. Aber trotzdem seid ihr die acht Söhne der Prophezeiung. Diejenigen, die den Untergang aufhalten sollen", erklärte Lina, die in die leichte Glut im Ofen starrte.
Es hatte etwas Beruhigend, dem Licht beim Flimmern zuzuschauen, bevor es nach und nach langsam erlöschen würde.
„Und wie genau wird das aussehen?", fragte er vorsichtig. Ihm war anzuhören, dass er sich wohl selbst noch unsicher war, ob er die Antwort überhaupt hören wollte.
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Mondmagie - Windfall - Band 1 - BEENDET
FantasyBand 1 der Mondmagie-Reihe Wenn der Doppelmond am Himmel erscheint, beginnt die Zeit des Blutes. Es wird fließen in Strömen und die Menschen werden befallen vom Heißhunger. Es wird sein die Zeit der Säuberung. Blutsklaven werden alles sein, was von...