Mit einem, alles andere als begeistertem, Gesicht, sah Rathan ihr erst einmal nach, seufzte dann jedoch leise, bevor er ihr in den dunklen Wald hinein folgte. „Ich verstehe deine Prioritäten nicht. Sollten wir uns nicht überlegen, wie wir dich unbemerkt wegschaffen und deine Spuren verwischen?"
„Nicht im Moment. Zuerst brauche ich einen Trank, um den letzten Sohn zu testen", sagte sie ernst. „Immerhin hab ich Lateux jetzt gefunden, da ist der Kompass etwas genauer", erklärte sie und klopfte dem Hirsch die Flanke.
Irritiert sah Rathan von Lina zu dem Hirsch und wieder zurück. „Sag, hast du jetzt vollkommen den Verstand verloren?", fragte er sie vollkommen fassungslos. „Welcher letzte Sohn denn. Ich dachte, du willst diesen Stallburschen testen", erinnerte er sie.
Lateux' Kichern hallte dabei lediglich in Linas Kopf wider, als sie auf eine große Lichtung traten, in deren Zentrum eine Trauerweide mit vier kleinen Steinkonstrukten standen. „Hier wurden die Vorbesitzer der Mühle beerdigt, Ravinas Eltern", erklärte Lateux kurz, bevor er sich vor dem Vorhang aus grünen Lianen niederließ, als würde er sich erstmal entspannen wollen.
Lina betrachtete Lateux und verdrehte die Augen. „Du bist mir wirklich einer", bemerkte sie seufzend, bevor sie sich zu Rathan wandte. „Das da ist Lateux. Wie ich schon sagte: dein Bruder und ein Gestaltwandler", erklärte sie nüchtern.
Lateux blieb am Rande der Lichtung stehen und brauchte einen Moment, um die gesagten Worte zu verdauen. Sein Gesichtsausdruck ging von verwirrt, zu angewidert, über Erkenntnis, hin zu Erleichterung. Sein Blick lag dabei auf dem doch sehr auffälligen, beigen Kreis am Hals des Hirsches, welcher neben den ganzen Streifen und Schnörkeln der Fellzeichnung fehl am Platz wirkte.
Lina streichelte Lateux. „Wärst du so freundlich, dich zu verwandeln, oder wenigsten mit ihm zu sprechen?", fragte sie, während sie ihre Tasche abnahm und auf den Boden absetzte. Darin hatte sie alles, was sie brauchte.
Der Hirsch gab ein missmutiges Brummen von sich und wandte den Blick konsequent von Rathan ab, als würde er sagen wollen, dass er keine Lust hatte.
Lina seufzte. „Ich fasse es nicht", murmelte sie frustriert und öffnete ihre Tasche. „Auch, wenn du mich wohl für verrückt hältst, wegen dem Hirsch: Ich brauch dein Blut", sagte sie und würde sich nicht damit beschäftigen. Im Moment gab es weitaus wichtigere Dinge als die beiden Brüder.
Stockend, beinahe schüchtern schlurfte Rathan weiter auf die Lichtung, ohne den Blick von Lateux abzuwenden. „Wozu?", fragte er unsicher und ließ sich vorsichtig neben Lina nieder. Man könnte meinen, er hätte Angst vor Lateux, was bei seiner Größe als Hirsch vermutlich nicht mal ganz unvorstellbar war.
„Ich möchte einen Trank brauen, damit ich diesem Prinz Marel verabreichen kann. Wenn mein Kompass nicht ganz spinnt ... Ist er auch einer der Gesuchten", sagte sie, stockte aber zwischendrin, denn es auszusprechen, machte es nicht gerade angenehmer.
Unnatürliche Stille kehrte ein, in welcher nur leises Blätterrascheln zu hören war, welches von einer leichten Briese verursacht wurde. Lina konnte förmlich spüren, wie sich die Blicke von Lateux und Rathan in sie bohrten, während sie sich dem Inhalt ihrer Tasche widmete. Es waren keine Worte nötig. Sie konnte die Frage im umherwehenden Wind hören. Bist du nun völlig durchgeknallt?
Lina versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr es sie traf. Um sich abzulenken, zog sie eine kleine Phiole hervor. „Daher will ich ihn auch so testen", erklärte sie ernst. Zudem fördert sie noch etwas zu Tage, was man eine Spritze nannte. Diese war nicht weit verbreitet, das wusste sie. Daher würde Lina die Nutzungsweise wohl erklären müssen.
Als Rathan die lange, dünne Nadel erblickte, weiteten sich seine Augen und er kippte ein wenig zurück, als würde er noch in seiner sitzenden Position fliehen wollen. „Was ... was hast du damit vor?", fragte er beinahe panisch und ließ die Spitze nicht aus den Augen. Auch Lateux' hatte den Blick auf das Utensil geheftet, sagte jedoch nichts.
DU LIEST GERADE
Mondmagie - Windfall - Band 1 - BEENDET
FantasíaBand 1 der Mondmagie-Reihe Wenn der Doppelmond am Himmel erscheint, beginnt die Zeit des Blutes. Es wird fließen in Strömen und die Menschen werden befallen vom Heißhunger. Es wird sein die Zeit der Säuberung. Blutsklaven werden alles sein, was von...