Kapitel 10.1

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Lina betrachtete zufrieden den Kompass. Sie hatte den Abend genutzt, um das Ritual durchzuführen. Es hatte überraschend gut funktioniert, auch wenn es sehr lange gedauert hatte. Jetzt konnte sie jedoch sicher sein, dass er Rathan nicht mehr anzeigte. Es würde also hoffentlich leichter werden, die betreffende Person in den Stallungen zu finden. Deshalb war sie nun auch genau dorthin auf den Weg.

Sie durfte nur nicht vergessen, nachdem sie alles erledigt hatte, wieder bei Rathan zu Hause vorbeizuschauen. Doch vorerst galt es das Mysterium der Stallungen zu lüften. Kivan war eindeutig gut informiert, was bedeutete, selbst wenn er keiner der Söhne war, konnte er ihr vielleicht weitere Informationen über die anderen Stallburschen geben.

Lina betrat die Stallungen und sah sich um. Den Kompass in der Hand, um zu sehen, ob er dieses Mal etwas Hilfreiches anzeigte.

Er drehte sich noch immer wie wild, doch zur Abwechslung, waren inzwischen nicht mehr allzu viele Leute hier unterwegs. Unter ihnen Kivan, der gerade damit beschäftigt war, einen Sattel zu reinigen. Vermutlich räumten die meisten die noch hier waren nur auf, um die Stallungen nach diesem langen Tag zu schließen.

Lina atmete tief durch. Wie es schien, musste sie wirklich mit Kivan anfangen und ihn ausschließen, damit sie deutlichere Signale bekam. Allerdings hatte er auch nicht viel über seine Familie erzählt. Daher könnte er durchaus ein Kandidat sein.

Lina lief langsam auf Kivan zu. „Hallo", grüßte sie und beobachtete, wie er den Sattel reinigte.

Er hob den Blick zu ihr und setzte dazu an sich für eine Verneigung zu erheben. „Lady Zaratus."

Lina lächelte und neigte etwas den Kopf. „Hättest du vielleicht etwas Zeit für mich?", fragte sie und suchte nach einem Vorwand, Zeit mit ihm zu verbringen.

Er sah zurück auf den Sattel, welchen er auf einem Hocker platziert hatte. „Wenn es Euch nicht stört, dass ich derweil arbeiten muss, sicher."

Lina nickte. „Ich hatte gehofft, dass du mir vielleicht bei meiner Angst gegen Pferde behilflich sein könntest", log sie, weil sie einen Vorwand suchte, ihm nah zu sein.

Erneut ließ er sich auf einen Hocker fallen, um sich wieder an das Putzen des Sattels zu machen. „Ich gebe zu, das kommt unerwartet. Glaubt Ihr nicht, dass ein Reitlehrer da eine bessere Wahl wäre?"

Lina schüttelte den Kopf. „Es geht mir nicht darum, das Reiten zu lernen", sagte sie, denn das war die Aufgabe eines Reitlehrers. „Sondern den Umgang mit den Tieren."

Kivan seufzte leise und hielt den Blick auf den Sattel gerichtet, welchen er sorgsam polierte. „Ich kann es versuchen, aber ich weiß nicht, ob ich die Zeit dafür finde. Meine Arbeit als Stallbursche geht vor."

„Natürlich. Ich dachte, dass ich dich vielleicht begleiten könnte", schlug sie vor. „So kann ich mich in der Nähe der Tiere aufhalten."

Kivan schien zunächst noch skeptisch und wiegte den Kopf, bevor er zustimmte. „Ja, wieso nicht. Solange Ihr hier kein Chaos veranstaltet."

„Ich werde mir Mühe geben", versicherte sie lächeln. So würde sie die Möglichkeit bekommen, in seiner Nähe zu sein und vielleicht mehr über ihn zu erfahren. Zudem konnte sie tatsächlich ihre Angst gegenüber Pferden bekämpfen.

„Woher kommt denn die Angst?", fragte er, während er weiter an dem Sattel arbeitete. Seine Handgriffe waren schnell und geübt, beinahe, als würde er das alles auch im Schlaf machen können und doch setzte er all seine Konzentration darauf.

„Als ich mit meiner Mutter ausreiten war, hat ihr Pferd gebockt und sie abgeworfen. Dadurch wurde sie verletzt und seitdem habe ich Angst auf einem Tier zu sitzen oder in seine Nähe zu kommen", erklärte sie, wobei sie ihn genau beobachtete. Er war sicherlich gut in dem, was er tat.

„Aber Euer Pferd hat Euch nicht abgeworfen?", fragte er ein wenig verwirrt, als wolle er nur nochmal sichergehen.

„Es hat es versucht", sagte sie schief lächelnd. „Aber es hat es nicht geschafft."

„Huh ... ich verstehe", murmelte er nachdenklich. „Tut mir leid, was Eure Mutter angeht."

„Ihr geht es zum Glück wieder gut, aber ... ich habe trotzdem Angst", gestand sie flüsternd. „Es ist doch etwas irritierend als Kind zu sehen, dass die eigenen Eltern nicht allmächtig sind."

„Wahrscheinlich, ja", stimmte er ihr schulterzuckend zu, als würde er das selbst nicht einschätzen können. „Wie lief denn Euer Ausritt?"

„Der Meloceros war etwas stürmisch und ist mit mir davongerannt", lachte sie leise. „Aber ansonsten lief es gut", versicherte sie. „Wobei ich glaube, dass ein paar der Knospen der Kirschbäume verspeist wurden."

„Klingt doch verschmerzbar. Sofern Ihr sagt, Ihr hattet keine Angst."

„Es hat irgendwie Spaß gemacht", sagte sie gut gelaunt.

„In dem Fall kann ich Euch eines sagen", begann er und erhob sich mit dem Sattel, um ihn wegzuräumen und sich den nächsten zu holen. „Magische Reittiere sind weitaus gefährlicher als Pferde. Wenn Ihr Euch also nicht vor ihnen fürchtet, gibt es keinen Grund vor Pferden Angst zu haben."

„Ich bin mit magischen Reittieren aufgewachsen. Ich weiß durchaus wie intelligent sie sind und gerade deshalb habe ich keine Angst vor ihnen", versuchte sie zu erklären. Immerhin wussten magische Tiere, wie sie mit Menschen umzugehen hatten. Zumindest meistens.

Mit einem fragenden Gesichtsausdruck drehte er sich wieder zu Lina um, einen dreckigen Sattel dabei auf seinen Armen. Sein Blick fragte deutlich: „Wieso interessieren Euch dann Pferde?" Er musste es nicht mal aussprechen.

„Weil Pferde doch die normalen Reittiere bleiben und man ihnen häufiger begegnet als magischen Wesen", erklärte sie, wobei sie kurz den Sattel beäugt. „Ich kann nicht immer mit einem magischen Tier reisen."

„Nicht mal als Adelige?", fragte er, da er keine Ahnung zu haben schien. Sie konnte ihm ansehen, dass er aus der Unterschicht kam. Vermutlich ging er davon aus, dass der Adel nur auf Wolken lief und nie den dreckigen Boden der Bevölkerung berührte.

Mondmagie - Windfall - Band 1 - BEENDETWo Geschichten leben. Entdecke jetzt