Lina schenkte ihr ein Lächeln. „Störe ich?", fragte sie an Rathan gewandt. „Dann komme ich später wieder."
Fragend blickte sie zu ihm, wobei sie bemerkte, dass seine Ohren ganz rot geworden waren.
„Oh ... Nein, nein! Alles in Ordnung. Das ist ähm ... das ist Zera. Eine ... Freundin meiner Mutter", erklärte er mit sichtlich überforderten Gestiken und Worten. Ihm war anzusehen, dass ihm das alles äußerst unangenehm war.
Die Frau lächelte jedoch nur und schloss die Tür hinter sich, bevor sie vielsagend das Bündel hob. „Ich wollte nur schnell noch etwas zum Essen vorbeibringen. Ist das deine Freundin?"
„Mein Name ist Lina", sagte sie und erhob sich, um leicht zu knicksen. „Freut mich."
„Ach Liebling, du musst doch nicht vor mir in die Knie gehen", meinte die Frau mit einem amüsierten, ausgelassenen Lachen und einer wegwerfenden Handbewegung. Das Bündel gab sie in Rathans Hand, der sich darauf grummelnd erhob.
Lina lachte leise und peinlich berührt. Sie hatte sich im Schloss so daran gewöhnt, dass sie es mittlerweile fast aus Gewohnheit machte. „Ich bin allerdings nicht seine Freunde", stellte sie mit einem Lächeln und leiser Stimme klar.
„Sie ist ... ähm ... eine Bekannte ... ein Küchenmädchen aus dem Schloss", erklärte Rathan nun mehr schlecht als recht.
Zera blinzelte ihn darauf nur abwartend an. „Aha. Ist das so?", fragte sie. Scheinbar wollte sie mehr wissen. Lina erinnerte das an eine Mutter, die ihren Sohn gerade mit einer Freundin vorgefunden hatte und nun eine Erklärung wollte. Zumindest stellte sie sich das so vor.
Lina lächelte und nickte zustimmend. „Ja. Rathan hat mir geholfen und daher bin ich vorbeigekommen, um mich zu bedanken", log sie und spielte mit. Das war eine gute Erklärung, warum sie hier war. Hoffte sie.
„Ach ja, so ist er unser Hasenfuß. Er hat schon als Kind immer dem Bäcker beim Tragen des Mehls geholfen", kicherte Zera amüsiert. Von Rathan selbst kam nur ein unliebsames Brummen, während er das Bündel auspackte. Dieser Spitzname würde wohl so ziemlich niemandem gefallen.
Lina musste sich Mühe geben, nicht zu lachen. Es war niedlich und irgendwie erinnerte er sie damit an Kivan. Ob es wohl derselbe Müller war? „Er ist sehr zuvorkommend."
„Nicht wahr?", schmunzelte die Frau und schielte dabei vielsagend zu Rathan. „Ich hab ja immer geglaubt er macht das nur, weil er ein Auge auf die Bäckerstochter geworfen hat", flüsterte sie Lina hinter vorgehaltener Hand zu. Allerdings war es wohl schwierig etwas im Geheimen zu flüstern, wenn es nur einen kleinen Raum gab.
„Musst du nicht zur Arbeit oder so?", fragte Rathan wenig begeistert und sah dabei vielsagend zu Zera. Ein klares Zeichen, dass er wohlwollte, dass sie verschwand.
Lina schmunzelte. „Ja? Das muss ich mir mal ansehen", flüsterte sie mit einem Grinsen zurück.
Sie winkte nur ab auf Rathans Frage. „Keine Sorge, ich habe noch Pause, aber danke der Nachfrage. Und was das Bäckersmädchen angeht, die ist inzwischen verheiratet, also kein Grund zur Sorge", erklärte sie Lina und zwinkerte ihr dabei wissend zu.
Lina lachte leise. „Sehr gut zu wissen", sagte sie zufrieden und schenkte Rathan ein breites Lächeln. Einfach, weil sie ihn ärgern wollte.
„Ich hatte nie Interesse an ihr ... du warst doch immer die, die gesagt hat, ich solle allen helfen, denen man helfen kann", erinnerte er Zera und ließ sich neben Lina mit zwei Schüsseln Kartoffeln mit Speck, von denen er eine Lina anbot, nieder.
„Hm? Den Schwachsinn hast du dir doch hoffentlich nicht zu Herzen genommen", erwiderte die ältere Frau nur.
Lina lachte leise und nahm dankbar eine Kartoffel und knabberte daran. „Danke", murmelte sie und würde Rathan das nächste Mal auch etwas mitbringen.
Während sie aß, lauschte sie, denn es war unglaublich interessant.
„Außerdem habe ich dir das gesagt, damit du mir beim Kochen hilfst", fügte sie noch hinzu und warf sich den leichten Sommerschal über das üppige Dekolleté.
„Jedenfalls ...", setzte Rathan seufzend an, um das Thema zu wechseln. „... Zera hat damals auch ... meinen Vater kennengelernt. Als er noch bei meiner Mutter war. Solltest du irgendwelche Fragen haben."
Linas Augen wurden groß und sie blickte zu Zera. „Wirklich?", fragte sie und wurde zögerlich. „Du kennst Lorian De Revier?", wollte Lina wissen, um wirklich sicherzugehen.
„Du meine Güte, der Kerl?", murmelte Zera und legte mit einem nachdenklichen Seufzen den Kopf in den Nacken. „Ja, der kam eigentlich jeden Abend in die Schenke, um Lilby zu besuchen", nickte sie bestätigend. „Ist aber schon so lange her ..."
Lina rieb sich das Kinn. „Weißt du noch, wann das ungefähr war?", wollte sie wissen, um zu erfahren, wann er hier gewesen war.
„Puh, lass mich überlegen ... Rathan ist jetzt 21 Jahre alt und er war ungefähr ein Jahr hier, bevor er geboren wurde ... das muss ungefähr vor 22 Jahren gewesen sein. Plus Minus."
Lina nickte. Das ergab irgendwo Sinn. Sie war jetzt 20 Jahre. „Und er ist auch vor ungefähr 22 Jahren verschwunden? Kurz vor Rathans Geburt?", fragte sie weiter. Das würde bedeuten, dass er danach noch weiter durch das Land gereist war, denn er war erst auf die Schule zurückgekommen, wo sie schon sechs gewesen war.
„Nein, nein", lachte Zera amüsiert. „Der ist verschwunden, da war Lilby gerade erst im vierten Monat. Irgendwann ist er einfach nicht mehr aufgetaucht. Er hat als Orakel im Schloss gedient. Manche sagen sogar, er wurde hingerichtet, weil er sich den dunkeln Künsten verschrieben hat ..., aber das sind nur Gerüchte."
Lina nickte, schwieg aber dazu. Sie wusste, dass er nicht hingerichtet wurde. Die Sache mit den dunklen Künsten konnte sie aber nicht widerlegen. „Danke für die Auskunft", lächelte sie. Gleichzeitig machte sie sich aber auch Gedanken darum. Er war am Hof als Orakel. Das war nicht normal für die Magier aus dem Orden. Eigentlich sollten sich diese aus den politischen Angelegenheiten heraushalten. Dass Lorian sich mit dem Königreich von Windfall eingelassen hatte, machte die Sache verzwickt. Hatte er es getan, um eine politische Stellung zu demonstrieren?
„Kein Problem ... wieso interessierst du dich den für den Schürzenjäger?", fragte sie skeptisch. Für sie lag all das immerhin schon Dekaden zurück.
„Es ist einfach sehr interessant", lächelte Lina schief. „Und, dass er wohl als Orakel gedient hat, macht es nur noch interessanter."
„Ach ja?", schmunzelte sie belustigt. „Ich glaube persönlich nicht an solchen Hokuspokus. Lilby konnte er damit jedoch sehr beeindrucken", seufzte sie und richtete ihren Blick in die Ferne. „Sie war sehr ... gutmütig ... aber auch naiv." Rathan senkte bei diesen sanften Worten bedrückt den Blick und begann in seinen Kartoffeln zu stochern. Offensichtlich war diese Lilby seine Mutter gewesen, doch so wie sie über sie sprachen, konnte man davon ausgehen, dass ihr diese positiven Charakterzüge nicht gerade zugutegekommen waren.
Wie sie wohl gestorben war?
Lina bekam fast ein schlechtes Gewissen. „Ihr glaubt nicht an Magie?", fragte Lina neugierig. Auch, um das Thema zu wechseln.
Schmunzelnd lehnte sich Zera nach vorne und schnippte mit den Fingern, wobei sich ein wirbelnder Wasserball an der Spitze ihrer Finger bildete. „An Magie schon", korrigierte sie, bevor sich der Ball auch schon wieder auflöste. „Aber nicht daran, dass man die Zukunft vorhersagen kann."
Linas Blick wurde neugierig und sie lächelte. „Dann habt Ihr Euch wohl noch nie mit dieser Art der Magie beschäftigt", sagte sie und versuchte darüber hinwegzutäuschen, dass sie wirklich überrascht, darüber war, dass die Frau Magie besaß. Das müsste ihr eigentlich eine gute Stellung einbringen.
„Wieso sollte ich auch? Ich hab noch nie von einer Vision gehört, die tatsächlich wahr geworden war. Zumindest keine, die nicht nur ein Mythos der Altvorderen war."
Lina nickte verstehend. Vielleicht lag da das Problem. Dass die meisten Menschen nicht weit genug mit den Orakeln in Verbindung standen, um zu erleben, wie Visionen wahr wurden. Vielleicht sollte sie mit Prinz Marel oder der Königin sprechen. Ob sie vielleicht mehr darüber erzählen konnten?
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Mondmagie - Windfall - Band 1 - BEENDET
FantasyBand 1 der Mondmagie-Reihe Wenn der Doppelmond am Himmel erscheint, beginnt die Zeit des Blutes. Es wird fließen in Strömen und die Menschen werden befallen vom Heißhunger. Es wird sein die Zeit der Säuberung. Blutsklaven werden alles sein, was von...