Kapitel 1.3

313 35 4
                                    

Mit leise klappernder Rüstung trat die junge Wache ein und wandte sich zu Lina. Seine Körperhaltung und generelle Ausstrahlung war noch immer sehr angespannt und regelrecht nervös. „Ich ... ich werde Euch jetzt die Möglichkeit geben unauffällig das Schloss zu verlassen, damit wir beide nicht in Schwierigkeit geraten. Ich h-helfe Euch auch, unbemerkt zu gehen." Man konnte hören, dass er versuchte selbstsicher zu klingen, doch nahm seine Nervosität und sein Stottern leider so jeglichen ernst aus seinen Worten.

Lina hob eine Augenbraue und musterte ihn eingängig. Sie sah selten Männer, die sich einer Frau gegenüber so unbeholfen ausdrückten. „Und warum solltet Ihr das tun?", fragte sie, wobei sie ihre Belustigung recht gut verstecken konnte. Allerdings hoffte sie auch, dass sie noch genügend Zeit fand, ihren Mentor zu kontaktieren. Dazu brauchte sie aber ein paar Minuten für sich.

Der junge Mann schluckte und schielte unsicher in der Gegend rum, als wüsste er nicht so recht, wo er hinschauen sollte. „Weil ... na, weil wir beide wissen, dass Ihr nicht die richtige Hauslehrerin seid. Und das ... das ... das wird b-bald auffliegen."

Lina verschränkte die Arme vor der Brust. „Nur, wenn du dich verplapperst", sagte sie und starrte ihn ernst an. Dabei überlegte sie, ob sie vielleicht etwas hatte, was ihr helfen könnte, ihn zu beruhigen. Ob sie es mit einem Zauber versuchen sollte?

Zögerlich legte sie ihre Hand auf seinen Arm und sandte die Art von Magie aus, die sie gelernt hatte und die ihn beruhigen sollten. „Wie heißt die richtige Hauslehrerin?", fragte sie mit ruhiger Stimme.

Fassungslos schüttelte er den Kopf und machte große Augen. Sonst blieb er jedoch ruhig. „Wisst Ihr was Ihr da von mir verlangt? Ich bin noch in Ausbildung und weiß ja nicht mal, ob Ihr eine Attentäterin seid oder sowas. Und was soll ich sagen, wenn die richtige Lehrerin hier ankommt?" Sein Stottern schien in der Tat wie verschwunden, doch dafür war die Dringlichkeit in seiner Stimme nun umso stärker.

„Das wird sie nicht", sagte Lina lächelnd. So sicher war sie sich da noch nicht, doch ihr Orden würde sich darum kümmern. Sie musste nur endlich die Gelegenheit bekommen, ihn zu informieren. „Also: Wie hieß die Lehrerin. Oder nenn mir erst einmal deinen Namen." Erneut nutzte sie Magie, um ihren Worten mehr Nachdruck zu verleihen. Sie wollte Antworten.

Die Schultern der Wache sackten ein wenig hinab, genau wie seine Lider, als sich sein Blick auf seine Füße richtete. „Ich heiße Rathan."

„Rathan also", sagte sie schmunzelnd. „Gut. Meinen Namen kennst du bereits", sagte sie, damit das klar war. „Und jetzt sei brav und nenn mir den Namen der Hauslehrerin, dann werde ich dafür sorgen, dass du nicht in diese Dinge hineingezogen wirst. Keine Sorge: Ich habe nicht vor, jemanden zu töten. Ich bin auf der Suche", erklärte sie, wobei sie unbedingt einen Blick auf ihren Kompass werfen musste. Vielleicht war sie bereits einen der Gesuchten begegnet.

Die Verzauberung zeigte Wirkung und es schien immer leichter zu werden, die junge Wache zu beeinflussen, als er den Namen: „Arelia Zaratus", von sich gab.

Lina konnte gerade noch ein Seufzen unterdrücken. Arelia Zaratus war ihr sogar ein Begriff. Sie war eine Gelehrte und wirklich gut. Mit ihr zu konkurrieren war schwierig und sie war sich unsicher, ob ihr Orden es wirklich schaffen würde, sie zu umgehen.

Für einen Moment dachte sie darüber nach und schüttelte dann den Kopf. „Gut. Du hast angeboten, mich hier herauszubringen", sagte sie. „Ich bin auch eigentlich nur als Dienstmädchen hier. Der Dame Zaratus den Posten zu klauen war nie meine Absicht", bemerkte sie. So ganz stimmte das zwar nicht, aber sie wollte sehen, was die Wache vorhatte. „Ich habe lediglich die Gelegenheit genutzt, um hereinzukommen. Dein Kamerad wirkte nicht, als hätte er mich sonst durchgelassen."

Als hätte Lina Rathan soeben aus seinem Schlaf gerissen, hob dieser schon wieder den Blick zu ihr und wirkte geradezu dankbar, doch zugleich auch verwirrt. „Warte ... du willst trotzdem hierbleiben?", fragte er mit kugelrunden, blaugrauen Augen. „Die Madam und Carrick haben dein Gesicht gesehen! Gut letzterer hat ein Gedächtnis wie ein Sieb, aber die Madam vergisst nie etwas! Sie ist wie eine sakkretische Sonnenuhr!"

„Sie mag die Küche nicht, oder?", fragte Lina, die ihren Platz dort sah, weil sie hoffte, nicht von der Madam gefunden zu werden. „Dort werde ich einen Platz finden und ansonsten gehe ich ihr aus dem Weg", versicherte Lina, die sich davon nicht aus dem Konzept bringen lassen wollte. Im Notfall musste eben noch andere Magie herhalten, auch wenn sie damit nicht so begabt war. Ihr Gesicht würde sich sicherlich ein bisschen abändern lassen. Was sie konnte, war ihre Statur ändern. Zwar nicht viel und es beschränkte sich darauf, ihre Brüste zu vergrößern, doch auch das könnte helfen.

Die Augenbrauen von Rathan zuckten kurz zusammen, während er Lina einmal genauer und vor allem ohne Stress musterte. „Ich halte es für keine gute Idee. Aber erstmal bringen wir dich hier weg, bevor die Madam wiederkommt." Es war mehr ein in Kenntnis setzen als fragen, denn noch während er sprach, bewegte er sich auf das Fenster zum Hof zu, um dieses zu öffnen und hinauszuspähen.

„Und wohin genau?", fragte sie nun ihrerseits skeptisch geworden. Der Wachmann wirkte in ihren Augen sehr ungeschickt und eher ängstlich, doch das konnte genauso gut Fassade sein. Was, wenn er sie direkt in die Kerker brachte? Warum sollte sie ihm vertrauen?

Sie konnte nur sehen, wie sein Kopf immer wieder hin und her huschte, während er sich scheinbar umsah, wer draußen so herumlief. Dann drehte er sich wieder zu Lina um.

„Da unten ist ein kleiner, halbrunder Balkon. Wenn du da drauf springen kannst, wenn keiner hinsieht, geh ich runter und mach dir die Tür auf, dann kann ich dich geradewegs in die Küche führen, wenn du unbedingt willst."

Es war ein Angebot. Und ein besseres würde sie wohl auch nicht bekommen, außer vor die Palasttür gesetzt zu werden.

Lina entschied sich dazu es anzunehmen. „Gut, machen wir es so", sagte sie entschieden. Wenn er ihr die Tür nicht öffnete, musste sie sich eben etwas anderes überlegen.

Lina trat an das Fenster und blickte hinaus, bevor ihr leicht mulmig wurde. Es war doch höher, als sie angenommen hatte. Würde sie das schaffen?

Schluckend versuchte sie sich zu beruhigen. Sie durfte nicht nervös werden. Das würde nur dafür sorgen, dass es noch schwieriger wurde.

Die Wache war bereits wieder aus ihren Räumen verschwunden. Noch hatte sie die Möglichkeit einfach umzudrehen und weiter die Rolle der Lehrerin zu spielen. Vielleicht war das Königshaus ja ungebildet genug, um sie für qualifiziert zu halten?

Es war nicht so, dass sie nichts konnte, doch das Problem, dass diese fremde Lehrerin hier auftauchen konnte, war gegeben.

Lina atmete tief durch, bevor sie in ihrer Manteltasche nach einer kleinen Spiegelscherbe griff. Damit sollte sie nur im Notfall hantieren, doch ihrer Meinung nach war es einer. Daher nutzte sie den Spiegelzauber, um mit ihrem Mentor oder wenigstens irgendwem anderen aus dem Orden Kontakt aufzunehmen.

Mondmagie - Windfall - Band 1 - BEENDETWo Geschichten leben. Entdecke jetzt