Es war noch vor Sonnenuntergang, als Lina von der Madam aus ihrem Zimmer abgeholt und in den Innenhof gebracht wurde. Es war ein schöner Sommerabend, weshalb man das Fest wohl nach draußen verlegen wollte. Reihenweise Tische waren aufgestellt worden und kleine Gläser mit leuchtenden Schmetterlingen hingen in den Bäumen, um für entsprechende Beleuchtung zu sorgen, wenn die Sonne sich verabschieden sollte. Musik, eine große Tanzfläche und haufenweise Leute hatten sich bereits eingefunden. Die Tafel der Königsfamilie jedoch, an welcher bereits Arabella saß, stand auf einem erhöhten Podest, um aus dem gewöhnlichen Adel hervorzustechen.
„Der König hat angeordnet, dass Ihr für diesen besonderen Anlass am königlichen Tisch speisen dürft", setzte die Madam Lina in Kenntnis, als sie sie durch die Menge führte.
Lina neigte dankbar den Kopf. „Es ist mir eine Ehre", sagte sie mit einem Lächeln. So würde sie die Königsfamilie kennenlernen. Zum Glück hatte sie ihren Kompass dabei und konnte sehen, ob sich hier bereits eine der gesuchten Personen aufhielt. Bei dieser Feier würden genügend Leute anwesend sein. Es würde nur schwer werden, den Kompass hervorzuholen und ihn sich anzusehen.
Auf das Podest tretend, machte die Madam einen eleganten Knicks und hielt vor der Königsfamilie in dieser Position inne. „Mylady Arelia Zaratus aus Karakams, Eure Hoheit."
Lina folgte ihr und knickste ebenfalls tief. Den Blick gesenkt. „Eure Hoheit. Es ist mir eine Ehre", sagte sie und schielte nur leicht nach oben, um hoffentlich den König zu erkennen.
Er war unmöglich zu verwechseln, mit der festlichen Krone, die auf seinem Haupt thronte. Ein dichter schwarzer Bart verdeckte sein Gesicht, in dem sich schon so das ein oder andere weiße Haar eingeschlichen hat. Freudig lagen seine blassgrauen Augen auf Lina, während seine Züge ein Lächeln unter dem Bart vermuten ließen.
Mit einem Kelch in der Hand erhob er sich und ließ somit das Orchester verstummen. „Unser Ehrengast ist soeben eingetroffen! Lady Arelia Zaratus, ist aus den Weiten von Karakams zu uns gereist. Seid willkommen, Mylady und genießt Euer Fest!" Er sprach zu der gesamten Gesellschaft, doch sollte diese kleine Rede wohl dazu dienen, dass auch wirklich jeder wusste, dass sie die neue Hauslehrerin war.
Lina erhob sich und wandte sich der Gesellschaft zu. Dass jemand sie erkannte, wagte sie zu bezweifeln. Soviel sie von der wahren Lady Zaratus wusste, hatte kaum jemand sie bisher länger zu Gesicht bekommen, da sie zwar verheiratet war, doch sehr zurückgezogen lebte und viel studierte. „Es ist mir eine Ehre", wiederholte sie und ließ den Blick über die Anwesenden schweifen. Der Kompass, den sie um ihr Bein geschnallt trug, bewegte sich. Das leichte Kribbeln, das er dabei machte, verriet ihn. Ihre gesuchte Person war also hier. Etwas, was sie mit Freude erfüllte.
Als ihr Blick so über die nun jubelnde Menge wanderte, spürte sie jedoch einen geradezu bohrenden Blick in den hinteren Reihen. Sie entdeckte die junge Wache, die sie anblickte, als wolle er fragen: Was bei allen Göttern tust du da?!
Lina schenkte ihm lediglich ein Lächeln. Dass er sie überhaupt wiedererkannte, war ein Wunder, trug sie doch das Kleid der Prinzessin und ihre Haare zu einem Kranz.
Doch damit würde sie sich arrangieren, wenn die Zeit passte. Hier auf einem vollen Fest, würde das viel zu viel Aufmerksamkeit erregen.
Der König nahm wieder Platz und winkte Lina aufgeregt zu sich heran, damit sie zwischen ihm und seiner Tochter Platz nehmen konnte. „Kommt her, kommt her. Wir haben Eure Ankunft schon sehnlichst erwartet. Ich hoffe, Ihr habt ordentlich Hunger mitgebracht."
Mit langsamen, eleganten Schritte hielt Lina auf den ihr gebotenen Platz zu und ließ sich nieder. Ihr Blick dabei auf der Suche nach weiteren Königskindern und der Königin. „Die Reise hat ihr Möglichstes getan, um meinen Hunger anzukurbeln", sagte sie mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Sie versuchte selbstsicher und stolz zu wirken, wusste aber nicht recht, ob es ihr gelang.
„Greift ruhig zu. Das Wild wurde heute Morgen frisch erlegt", schaltete sich nun die Frau neben dem König ein und prostete Lina einladend zu. Der schlichten Krone auf ihrem Kopf nach zu urteilen, musste sie die Königin sein, doch würde man sie ohne diese kaum für ein Mitglied der Königsfamilie halten. Ihr Kleid war viel zu schlicht und auch ihre sonstige Aufmachung ließ eher darauf schließen, dass sie eben noch durch den Wind geritten war, als sich für ein königliches Fest vorzubereiten. Andererseits würde das auch zu Arabellas Beschreibung von ihrer Mutter passen.
„Danke, Eure Hoheit", sagte Lina und prostete auch ihr zu. Vermutlich hatte sie bis zuletzt alles koordiniert. Der König musste das Fest auf die Beine gestellt haben. „Euer Gebiet ist eine willkommene Abwechslung zu meiner Heimat. Ich habe gar nicht gewusst, dass Temperaturen so angenehm sein können, obwohl wir Sommer haben."
Ein Dienstknabe füllte Linas Kelch mit Wein, während ein anderer ihren Teller mit frischem Wildbret, Gemüse und Brot füllte.
Der König nickte derweil nur verstehend, als hätte er schon ganz ähnliche Erfahrungen gemacht. Dabei strich er sich nachdenklich durch den Bart. „Ja, die Sommer in Karakams sollen ziemlich hart sein. Hab mal gehört eine Kutsche soll Feuer gefangen haben, nur weil sie zu lange in der Sonne stand."
Lina nippte kurz an dem Wein und schloss genießend die Augen. „Ja. Das kommt durchaus vor. Zur Sicherheit werden die meisten Kutschen nur noch aus besonderem Holz gebaut. Es kommt aber auch vor, dass Abgesandte aus anderen Ländern auf der Straße zusammenbrechen, weil sie die Hitze nicht vertragen", erzählte sie und versuchte zu klingen, als würde es sie berühren. Dabei hatte sie eigentlich keinerlei Verbindungen zu Karakams.
„Stimmt es, dass es dort einen großen Markt gibt, wo Menschen per Auktion verkauft werden?", platzte es regelrecht aus Arabella heraus, während sie an einem Brot knabberte.
Lina rieb sich das Kinn. „Leider muss ich gestehen, dass es diesen Markt gibt", sagte sie mit verzogenen Lippen. „Es ist nicht so offiziell, wie Ihr denkt", fügte sie allerdings hinzu. „Es ist mehr ... geheim. Es gibt trotzdem viele, die eingeweiht sind. Kein sonderlich gutes Aushängeschild für unser Gebiet."
„Menschenhandel gibt es überall, aber unsere Prinzessin beschäftigt sich nicht gern mit sowas", erklang nun eine männliche Stimme hinter Lina, als sich eine behandschuhte Hand an ihr vorbeischob und sich ein Hühnerbein von ihrem Teller klaute.
Lina versuchte nicht zu zucken und warf einen kurzen Blick über die Schulter. Obwohl er sich nicht vorgestellt hatte, wusste Lina sofort, dass es der Prinz sein musste. Daher betrachtete sie ihn auch musternd.
Im Gegensatz zu Arabella, schien der Sohn mehr nach seinem Vater zu kommen. Das halblange, schwarze Haar trug er in einem unordentlichen Dutt und seine Augen erstrahlten in einem glühenden Scharlachrot. Seine Kleidung glich mehr einer edlen Lederrüstung, die kunstvoll geprägt war. Durchaus schön anzusehen, doch nichts, was man auf einem solchen Fest erwarten würde.
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Mondmagie - Windfall - Band 1 - BEENDET
FantasíaBand 1 der Mondmagie-Reihe Wenn der Doppelmond am Himmel erscheint, beginnt die Zeit des Blutes. Es wird fließen in Strömen und die Menschen werden befallen vom Heißhunger. Es wird sein die Zeit der Säuberung. Blutsklaven werden alles sein, was von...