Kapitel 6.5

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Der Prinz schnaubte amüsiert und schwang sich von seinem Greifen, um auf den Hirsch zuzutreten. „Dabei ist er noch ein kleineres Exemplar seiner Gattung, sagt man sich. Vielleicht versucht er das ja mit seiner Sturheit zu kompensieren", behauptete der Thronerbe und griff den Hirsch am Geweih, in dem Versuch seinen Kopf von dem Baum wegzuziehen. Dieser schien davon jedoch reichlich unbeeindruckt und schenkte seinen kläglichen Versuchen nicht einmal wirklich Beachtung.

Lina stieg ab, um dem Prinzen zu helfen. Sie nutzte ein wenig Magie, mit der sie vorhatte, den Hirsch sanft dazu zu bewegen, ihnen Folge zu leisten. Es war eine ganz sanfte Form der Manipulation, die sie extra für ihren Auftrag gelernt hatte. Diese würde sie wohl auch beim Prinzen anwenden. Nachdem der Kompass nun so durchgedreht war, wollte sie diesen auch testen.

Der Hirsch gab ein tiefes Brummen von sich und zog seinen Kopf von den beiden weg, als wäre er genervt von ihrem Gezerre. Nicht ganz der Effekt, den sie gewollt hatte, doch es funktionierte wohl dennoch.

Lina lachte leise. Sie mochte es, dass der Hirsch so eigensinnig war. Zumindest dann, wenn sie nicht auf ihm ritt.

Als sie zurücktrat, berührte sie wie aus Versehen den Arm des Prinzen und leitete Magie in ihn hinein. Eine, die dafür sorgen sollte, dass er langsam unvorsichtig wurde. In dieser Menge würde es noch nichts bringen, doch vielleicht schaffte sie es, ihn noch ein paar Mal zu berühren, um den Zauber nach und nach zu verstärken. Sonst wäre es zu gefährlich, da sie befürchtete, er würde bemerken, dass sie Magie auf ihn wirkte.

Ob es was brachte, würde sich erst noch zeigen. Das würde ganz darauf ankommen, wie stark seine inneren Barrieren waren und ob er mit Magie leicht zu beeinflussen war. Bei Rathan war es einfach gewesen.

Sie würde das Ganze noch ein paar Mal wiederholen müssen. Dabei musste sie aber aufpassen, dass er nichts bemerkte. „Der Hirsch hat mich auf eine Frage gebracht, die ich Euch gern stellen würde. Eure Schwester ist sehr interessiert in Magie. Seid ihr das auch?", fragte sie. Wenn er wirklich Magie beherrschte, musste sie noch vorsichtiger sein.

Ein arrogantes Schnauben entkam dem Prinzen, während er dem Greif über den Schnabel strich. „Reden wir von der gleichen Schwester? Ella hat selten an etwas anderem Interesse als an Kleidern und exotischen Stoffen", meinte er unbeeindruckt, zuckte dann jedoch die Schultern. „Es gehört eben zur Ausbildung, also ja. Ich bin durchaus dazu in der Lage Magie anzuwenden."

Diese Worte sorgten dafür, dass Lina vorsichtiger wurde. Hätte sie das gewusst, hätte sie sich mit der Anwendung von Magie zurückgehalten. „Tatsächlich? Dann habe ich ihre Reaktionen wahrscheinlich überinterpretiert. Vielleicht, weil ihr Interesse zumindest etwas größer war als an den anderen Stunden."

So ganz stimmte das zwar nicht, aber mehr als Politik schien es sie in jedem Fall zu interessieren.

„Sie ist eben nicht sonderlich pragmatisch", meinte er nur mit einer abwinkenden Handbewegung, als wäre es gar nicht der Rede wert. Das beste Verhältnis hatten die beiden wohl nicht. Das hatte Lina schon am Tag ihrer Ankunft mitbekommen.

„Wie sieht es bei Euch aus? Ist Magie etwas, was Euch interessiert?", fragte sie. Vielleicht konnte sie mit diesem Thema ein Gespräch aufbauen.

Der Prinz begann in gemütlichen Schritten über die Plantage zu spazieren und schielte dabei vielsagend zu Lina. Die Tiere folgten, oder vielmehr der Greif. Der Meloceros hatte sich nach vorne gedrängt, als würde er das Gefühl haben wollen, die Richtung bestimmen zu können. „Nicht so sehr wie Euch, wie es mir scheint."

Lina schmunzelte. „Ich suche lediglich nach einem unverfänglicheren Thema als Politik", gab sie zu. „Etwas, was auch Euch interessieren könnte."

Er gab sich mit einem Kopfwiegen geschlagen. „Nun gut. Ja, früher habe ich mich sehr dafür interessiert, in der Zeit als ich in Sakkret studiert habe", erzählte er und blickte in die Ferne, als würde er sich daran erinnern.

„Sakkret?", fragte Lina überrascht und lächelte. „Ein sehr interessantes Gebiet. Es ist sehr spannend, wie die Magie dort genutzt wird. Für viele alltägliche Dinge. Warum ist Euer Interesse denn gesunken?"

Er zuckte die Schultern und senkte ausweichend den Blick. „Für einen König ist ein gewisses Magieverständnis zwar wichtig, aber die Praktik an sich steht unter der Politik- und Führungskompetenz. Irgendwann wurde einfach entschieden, das andere Dinge wichtiger waren."

„Ich verstehe", sagte Lina, die es irgendwie schade fand, dass der Prinz diese Art von Passion nicht mehr nachgehen konnte. Er tat ihr irgendwie leid. „Ich stelle es mir etwas schwierig vor, Dinge machen zu müssen, die mir nicht so gut liegen und dafür andere hintenanzustellen."

Der Prinz grinste amüsiert und pflückte sich im Vorbeigehen einen tieforangenen Apfel von einem Baum, den er in seiner Hand auf und ab warf. „Wer sagt denn, dass es mir nicht liegt?", fragte er dann mit einem charmanten Lächeln und reichte ihr den Apfel, als ein unausgesprochenes Angebot.

Lina nahm diesen entgegen. „Stimmt, da habt Ihr recht. Das wurde nicht gesagt. Vielleicht habe ich es einfach angenommen."

„Offensichtlich", stimmte er ihr zu und griff sich selbst einen weiteren Apfel, während sie spazierten. „Sicher, wenn ich die freie Wahl hätte, würde ich mich vielleicht mit anderen Dingen beschäftigen, doch ich mag meine Stellung."

„Das ist gut", erwiderte Lina mit einem sanften Lächeln. „In meiner Gegend pflegt man zu sagen: Nur, wenn man etwas mag, kann man es richtig gut machen."

„Glaubt ihr nicht, dass man etwas erst dann mag, wenn man es richtig gut kann? Wer hat denn nicht gerne dieses Erfolgserlebnis?"

„Ich glaube nicht, dass man etwas richtig gut können muss, um es zu mögen", widersprach sie leise, aber nachdenklich. „Ich kann nicht gut malen, aber ich mache es trotzdem sehr gern. Es macht mir Spaß."

Überrascht hob er die Augenbrauen und blickte zu Lina. „Ihr malt? Ich dachte, Ihr wärt eine Frau des Buches."

„Ja, aber manchmal braucht man auch etwas anderes als nur Buchstaben auf Papier", lachte sie leise. „Ich habe mich an vielen Dingen versucht, um ein bisschen Abwechslung zu bekommen. Nicht vieles liegt mir."

„Ich bin sicher Ihr seid nur bescheiden", beharrte er amüsiert.

Bevor Lina jedoch antworten konnte, spürte sie den magischen Impuls ihrer Scherbe. Vermutlich wollte ihr Mentor mit ihr Kontakt aufnehmen. Das wollte er doch aber sonst nie? War etwas geschehen?

Was sollte sie jetzt machen? Sie konnte doch den Prinzen nicht einfach stehenlassen. Ihr fiel auf die Schnelle jedoch auch kein Zauber ein, der ihr helfen könnte. Und in die Büsche zu verschwinden, gehörte sich für eine Dame wie sie nicht. Was also konnte sie als Ausrede nutzen?

Vielleicht konnte sie den Unterricht mit Arabella vorschieben. War es schon spät genug?

Sie blickte in den Himmel. „Ich danke Euch, für Eure Zeit, aber ich glaube, dass es langsam Zeit wird, zurückzukehren. Sonst komme ich noch zu spät zu Lady Arabellas Unterricht", sagte sie und schenkte dem Prinzen ein Lächeln. Hoffentlich würde er es ihr abkaufen.

Er wirkte zwar zunächst ein wenig verwirrt, blickte dann jedoch zurück, wo sich vermutlich irgendwo das Schloss befand. „Aber natürlich. Ich will Euch ja nicht von Euren Pflichten abhalten. Findet Ihr den Weg zurück?"

Lina blickte zum Meloceros. „Sofern er mich nicht irgendwo anders absetzt, sicherlich", sagte sie unsicher. Das Schloss konnte sie aus der Ferne immerhin sehen.

Das Tier gab ein unwilliges Brummen von sich, als hätte es gespürt, dass man über ihn sprach.

„Ich gebe es ungern zu, aber darüber müsst Ihr Euch denke ich keine Sorgen machen. Er kehrt immer wieder selbst ins Schloss zurück."

„Dann hoffe ich, dass er jetzt schon darauf Lust hat", sagte sie schmunzelnd, bevor sie wieder zu dem Meloceros zurückkehrte, in der Hoffnung, er würde sie zum Schloss bringen.

Mondmagie - Windfall - Band 1 - BEENDETWo Geschichten leben. Entdecke jetzt