Kapitel 3

723 61 7
                                    

Während meines Studiums malte ich mir in Gedanken immer wieder eine Traumzukunft aus, mit dem perfekten Job, den besten Kollegen und spannendsten Aufgaben. Die Realität, drei Jahre später, sieht allerdings anders aus. Der Stress laugt mich aus und Natalie, meine Kollegin in der Grafik und ehemalige Kommilitonin, steht kurz vor einem Anfall: „Ich frage mich wirklich, wozu wir einen Master gemacht haben. Wir hätten wie die anderen zum Fernsehen gehen sollen, oder in einen anderen Bereich. Wir sind die einzigen Idioten, die ernsthaft in der Gestaltung arbeiten. Unsere Profs hatten Recht, als Designer ist man gearscht! Uns, unsere Meinung, unsere Entwürfe nimmt hier keiner von den Oberen ernst! Ich hasse es!" Ich beiße von meinem Müsliriegel ab, werfe einen erneuten Blick auf unseren letzten Logoentwurf und schüttle den Kopf: „Auf einmal sind alle Designer, können alles besser und glauben die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben... und das Schlimmste an der Sache? Sie übergehen jede gestalterische Regel, wir reden uns hier den Mund fusselig, warum dieser Entwurf besser ist, aber eigentlich ist es ihnen egal... Nat, unsere Profs hatten wirklich Recht – was haben wir uns hier nur angetan?" Die ersten Monate im neuen Job waren klasse, es war spannend und abwechslungsreich. Wir durften Entscheidungen treffen, uns wurde zugehört und unsere Chefin wusste unsere Expertise zu schätzen. Als sie jedoch krank wurde, übernahm ein höheres Tier ihre Position, die Herde braucht ja einen Hirten. Dieser Spruch kommt nicht von mir und allein der Gedanken daran, lässt mir die Galle hochkommen. Er, das höhere Tier, ist gelernter Personaler, arbeitete sich von Abteilung zu Abteilung hoch und bekleidet nun eine Position, die vielleicht für ihn passend ist, aber als Vertretung unserer Chefin für unsere Abteilung scheint er mir völlig unpassend. Einen ungelernten Menschen, ohne grafischen Hintergrund, wichtige Designentscheidungen treffen zu lassen, gleicht einem Irrsinn. Wenn ich vorschlage ein Element im Logo rund zu gestalten, wird mir erklärt, wie es zu sein hat. Liefere ich Argumente dagegen, baut er das Logo selbst zusammen und die einzige Aufgabe, die ich dann noch habe, ist das Logo exakt so nachzubauen. Und wehe ich mache einen Gegenvorschlag, nehme Änderungen vor, oder stelle etwas in Frage. Selbst Anmerkungen, die aus grafischer Sicht sehr wertvoll sind, werden übergangen: wir versuchen es erstmal so ist seine Standardantwort. Die Luft bei mir ist raus und so auch bei Natalie. „Lass uns Pause machen und einen Kaffee holen, was hältst du davon?", schlage ich vor und meine Kollegin nickt zustimmend. „Das ist die beste Idee des heutigen Tages. Oder warte... ist es vielleicht die bessere und grafisch korrekte Darstellung eines Rahmens, genau nach Michaels Art?", murrt Natalie, die Michael ebenso gefressen hat wie ich. „Komm, lass uns das alles hier mal für einen Moment vergessen", dränge ich sie und schnappe mir die Jacke von der Garderobe, „Vielleicht solltest du dir auch ein ausgleichendes Hobby suchen." „Soll ich mich jetzt etwa auch auf ein Pferd schwingen?", fragt sie lachend und folgt mir nach draußen.

Den Weg zum Café bringen wir fast schweigend hinter uns, zu sehr beschäftigt uns die heutige E-Mail, zieht uns runter, demütigt uns in unserem Job und unserer Expertise. Ich tippe gedankenverloren eine kurze Nachricht an Sebastian, der heute im Homeoffice arbeitet und meine Hasstiraden kaum noch erträgt. Die Antwort kommt prompt, ich sehe förmlich sein genervtes Gesicht vor mir, was mich noch viel mehr verärgert. „Redest du manchmal mit Robin über die Situation bei der Arbeit?", frage ich Natalie, die ihr Handy ebenfalls wegsteckt und die Augen verdreht als ich ihren Freund erwähne. „Reden wir nicht über Robin, er kann und will mich nicht verstehen", antwortet sie und hält mir die Tür auf als wir vor dem Café zum Stehen kommen, „Er glaubt ich übertreibe und sollte das Gespräch suchen. Wenn ich ihm dann erkläre, dass wir das ständig versuchen, glaubt er mir nicht. Als ob ich ihn über diese Situation anlügen würde... Wie ist es denn mit Sebastian? Ich hoffe er verhält sich anders als Robin?" „Leider nein", gebe ich zu und wir stellen uns an der langen Schlange von wartenden Leuten an, „Bei ihm auf der Arbeit ist alles toll, er und vor allem sein Können wird akzeptiert. Er denkt, ich würde mich nicht genug verteidigen, mir alles gefallen lassen. Meistens fragt er gar nicht mehr nach wie mein Tag war, weil er nicht will, dass ich wieder schimpfe. Aber mir ist es wichtig mit jemanden darüber zu reden und ich habe echt das Gefühl, dass nur wir beide das so richtig verstehen können. Elaine stimmt mir zu und hört auch zu, aber ganz nachvollziehen kann sie es trotzdem nicht." „Geht mir genauso", platzt es aus Natalie raus, die fast schon erleichtert aussieht, „Wir teilen uns das Elend, deswegen können wir auch am besten darüber reden. Wir wissen genau was der andere meint, weil wir es jeden Tag hautnah erleben. Verdammt, ich dachte echt, Sebastian wäre da etwas einfühlsamer. Vor allem da er den Bachelor noch mit uns gemacht hat." Ich studiere die Karte vor mir, auch wenn ich bereits weiß, was ich will, um Natalie nicht sofort antworten zu müssen. Es schmerzt darüber nachzudenken, wie sehr die Sichtweisen von mir und meinem Freund ab dem Master auseinander gegangen sind. Er entschied sich im Master für einen anderen Schwerpunkt und arbeitet nun im Marketing, in einer größeren Agentur. Ich entschied mich bewusst gegen eine Agentur, da meine drei Praktika in diesem Bereich nicht sehr zusagend waren und bekam trotzdem die Quittung. Wenn doch nur meine alte Chefin da wäre.

Vom Flieder so bunt (gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt