Bereits seit mehreren Minuten stehe ich im Eingang der Reithalle und beobachte das rege Treiben vor mir. Es finden Vorbereitungen für einen Wettkampf statt, in einem Teil der Halle baut Oliver mit Hilfe der Angestellten kleine Tribünen und Bänke auf, während auf der anderen Seite noch fleißig geübt wird. „Und jetzt verlagere dein Körpergewicht nach vorne", ruft Vivien Tabea zu, die vor ein paar Tagen 11 geworden ist, „Genau so, du machst das Klasse!" Tabea grinst über das ganze Gesicht und auch ich kann es mir nicht verkneifen, die Interaktion ist pur und schön zu betrachten. „Ist es so besser?", hakt Tabea nach, die sich noch etwas vorbeugt, „Und ich falle auch sicher nicht runter?" „Würde ich dir jemals etwas ansagen, was zur Folge hätte, dass du fällst?", selbst von weitem weiß ich genau, dass ihre Augenbraue nach oben hüpft und ein Lächeln ihre Züge umspielt. „Niemals, du passt immer auf mich auf", Tabea ahnt nicht, wie berührend ihre Worte sind, aber ich freue mich für Vivien, solch ein schönes Lob zu bekommen. Auch wenn ich mir sehr sicher bin, dass sie sich gerade ein paar Tränen verdrücken muss. „Gut, dann kommen wir jetzt zum Sprung", ihre Stimme klingt leicht belegt und bestätigt meine Vermutung. Vivien zeigt der kleinen, blonden Tabea die richtige Haltung im Sattel und diese ahmt es nach. Sie gehen in die Hocke, spannen ihren Körper an und beugen sich noch etwas tiefer. Niemals werde ich mich an einen Sprung wagen, dessen bin ich mir zumindest jetzt sicher. „Hey, alles gut bei dir?", eine Stimme ertönt rechts von mir und es kostet mich alles, nicht vor Schreck zusammenzuzucken. Ich drehe mich zu Oliver, der eine Bank unter dem Arm trägt und mir ein schiefes Lächeln schenkt. „Guten Morgen, alles gut und bei dir? Sieht ja schon so gut wie fertig aus", ich deute auf die Halle und lobe den Fortschritt seit gestern Abend. „Es gibt noch einiges zu tun, vor allem da Maria heute vorbeikommt, bevor die Reha losgeht", erklärt er und wirft dabei einen prüfenden Blick auf seine Uhr, „Demnach etwas stressig, aber ansonsten ist alles gut." „Das freut mich zu hören", ich verschränke die Arme vor meinem Brustkorb und stoße mich von dem Rahmen ab, „Ich sollte jetzt wohl mal zu Fiori, was?" Ich kann ihn kaum ansehen, während wir sprechen und bin schon fast auf dem Sprung als er sagt: „Ist wirklich alles gut? Du wirkst unglücklich." „Es ist alles gut, mach dir keine Sorgen. Ich habe bisher einfach noch keine positiven Rückmeldungen zu meinen Bewerbungen bekommen und das nimmt mich etwas mit, wenn ich ehrlich sein soll", erkläre ich und hoffe mit der wahren Geschichte, das zu überdecken, was Oliver mir eigentlich ansieht. Oliver stellt die Bank ab und antwortet: „Das tut mir total leid, hast du es bei Gercher versucht? Ich habe da einen Kumpel, der könnte ein gutes Wort für dich einlegen." Im Kopf gehe ich meine Bewerbungen durch und erwidere: „Ich glaube nicht. Was machen die denn?" Oliver fährt sich über seinen Dreitagebart und überlegt einen Moment, dann erzählt er mir über die Firma Gercher, die Elektroteile vertreibt und eine eigene Marketingabteilung haben. „Sie haben in den letzten Jahren unheimlich expandiert und wenn ich mich recht entsinne, gibt es die Abteilung seit circa zwei Jahren. Sag mir Bescheid, wenn du die Bewerbung fertig hast, dann haue ich Jörg an, der gibt das dann an die Personalabteilung weiter. Er arbeitet im After Sales, aber er ist seit Ewigkeiten dabei, auf seine Meinung legen sie oft bei solchen Entscheidungen wert." „Bist du dir sicher?", hake ich nach, „Sebastian wollte bei seinem Freund Lukas nicht nachfragen, ob er in seiner Firma ein gutes Wort für mich einlegen könnte. Wenn es schiefläuft, würde das ein schlechtes Licht auf Lukas geben... also vielleicht auch auf deinen Kumpel Jörg. Das will ich auf keinen Fall." Ich sehe, wie es hinter Olivers Stirn arbeitet und während ich selbst über das nachdenke, was ich gerade gesagt habe, ahne ich, warum ich Bestürzung auf seinem Gesicht ablesen kann. „Louisa, du solltest dringend daran arbeiten, dich und deine Arbeit zu wertschätzen. Wieso solltest du schlecht abliefern? Nicht immer passt es zwischen dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber, aber deswegen wirft man kein schlechtes Licht auf irgendwen und das sollte auch Sebastian wissen. Lass dir nichts einreden und ich frage Jörg gerne! Ich kann auch mal im Freundeskreis horchen, ob es in den Unternehmen, wo diese arbeiten, auch offene Stellen oder überhaupt diesen Bereich gibt!", muntert er mich auf und klopft mir auf die Schulter, „Kopf hoch, ja? Das wird schon!"
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Vom Flieder so bunt (gxg)
RomanceLouisa, die von allen nur Lou genannt wird, könnte nicht glücklicher sein. Mit ihrem Freund Sebastian baut sie sich ein gemeinsames Leben auf, entdeckt die Arbeitswelt nach einem partyreichen Studium und plant eine Zukunft, die ihr von der Gesellsch...