Die Bewerbungen sind bis zum heutigen Tag unbeantwortet und zugegebenermaßen habe ich zumindest mit einer Rückmeldung gerechnet. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, auch wenn Sebastian versucht das Gegenteil zu bewirken. Er findet es ist eindeutig, ein Zeichen, dabei ist erst eine Woche vergangen. Lediglich Elaine spricht mir Mut zu, beschwichtigt mich, wenn ich zweifle und unterstützt mich, wenn ich bei etwas Hilfe brauche. Ich schreibe weiterhin Bewerbungen, auch wenn mein eigener Freund keinerlei Zuspruch leistet. Eine Person, die ich in meinem Alltag meide? Vivien. Ich unterstütze sie beim Reiterhof, kümmre mich um Fiori, aber seit dem Abend bei ihr, an dem ihre Mutter verunfallte, bin ich nicht mehr bei ihr in der Wohnung gewesen. Es gibt viel zu tun und durch den alltäglichen Stress fällt es kaum auf, wie wenig wir miteinander reden. Am Anfang versuchte Vivien es immer wieder, suchte das Gespräch wo sich die Möglichkeit ergab. Ich verhalte mich wie ein Arschloch und das weiß ich selbst, aber da nichts gerade Sinn ergibt, ist es meine einzige Möglichkeit Ruhe zu erhalten. Innere Ruhe, wohlgemerkt, denn Vivien bringt etwas mit sich, was sich nicht in Worte fassen lässt. Sie ist der Wirbelwind, der mich auf Trapp hält, meine Gedanken kreisen lässt und einen Schwindel auslöst, wie niemand zuvor. Zeitgleich ist sie auch der Sonnenschein nach einem Sturm, der mir Wärme und Zuversicht schenkt. Der alles um sich herum beruhigt und Fröhlichkeit erzeugt. Der das Glänzen in deine Augen zaubert, ein warmes Gefühl auf deiner Haut und deinem Innersten hinterlässt. Sie ist der Zwiespalt meiner Gedanken und deshalb meide ich sie. Bis zum heutigen Tag. Sebastian, Oliver und Ben haben sich zum Billard spielen verabredet, da wollte Elaine nicht mitmachen, weshalb ich nun mit ihr und Vivien ins Kino gehe. Davor gehen wir gemeinsam Essen und ich hoffe inständig, dass niemand bemerkt, was gerade in mir vorgeht. Elaine sind die Spannungen zwischen mir und meinem Freund natürlich nicht entgangen, aber die Symbiose zwischen mir und Vivien wird neu für sie sein. Unser letzter gemeinsamer Ausflug ist mehr als einen Monat her, es ist viel passiert und doch auch nichts. Auch das Möbelhaus haben wir nicht aufgesucht, bis jetzt gab es keinen neuen Spiegel in unserer Wohnung, da ich nicht mit Vivien gehen will und Sebastian immer neue Ausreden findet, um mich nicht begleiten zu müssen.
„Wir müssen gleich los, wenn du also nicht in deinem Bewerbungssumpf versinken willst, mach dich fertig", ruft Sebastian mir zu, der gerade im Bad steht und sich rasiert. Ich lausche dem summenden Geräusch, lasse mich davon einnehmen und blocke alle negativen Gedanken ab, die mir in den Sinn kommen. Vor unserer Verabredung werde ich mit Sicherheit keinen Streit vom Zaun brechen, auch wenn das immer öfters vorkommt. Es bereitet mir Bauchschmerzen, wie sich unsere Dynamik über die Wochen verändert hat. Unser Alltag wird davon beeinträchtigt, anstatt Zärtlichkeiten auszutauschen, verbringen wir viel Zeit allein. Er hängt oft bei Leto ab, manchmal auch bei Fabio, ich dagegen sitze in der Wohnung, schreibe Bewerbungen, oder koche gemeinsam mit Elaine. Wenn ich schlecht gelaunt von der Arbeit komme, sprechen wir nicht darüber, er hat dazu eh nichts mehr zu sagen und so verbringen wir solche Abende oft schweigend. Ich mit einem Buch in der Hand, er mit einem Controller. Es fühlt sich wie ein klaffender Abgrund an, eine Leere, die sich ausbreitet, mich aussaugt und nicht als schwarz hinterlässt. Anders vermag ich es nicht zu beschreiben, es ist ein komisches Gefühl. Ich spüre, wie wir uns entfremden, obwohl wir nebeneinander liegen. Ich spüre, wie unsere Meinungen auseinander gehen, unsere Zukunftsvisionen, unsere Vorstellungen für alles. Plötzlich mag er Spaziergänge im Wald nicht mehr, früher gehörte ein ausgedehnter Spaziergang pro Wochenende im Wald dazu. Jetzt zockt er lieber online. Konzerte - ob bekannte Bands oder kleine Geheimtipps, wir probierten alles aus. Von Rock zu Indie, von Pop zu Grunge, manchmal sogar Musikrichtungen, denen ich im Radio niemals eine Chance geben würde. Aber wir lieben die Stimmung auf Konzerten, etwas Neues zu entdecken bringt einen Nervenkitzel mit sich, erweitert den Horizont und jetzt? Jetzt will er nicht mal zu „A Day To Remember", eine Band, die zu unseren Lieblingen gehört. Live ein Erlebnis für Augen und Ohren. Auf Nachfrage, was er an diesem Tag schon vorhat, ernte ich nur ein Schulterzucken. Es fühlt sich falsch an, ungewohnt, es macht mir Angst. Ich erkenne meinen langjährigen Partner nicht wieder und ich vermute fast, ihm geht es genauso. „Bin schon dabei", sage ich nur, speichre meine Datei ab, klappe den Laptop zu und starre mich im Spiegel an, der hinter dem Laptop steht. Ich habe Augenringe, mein Gesicht wirkt leicht eingefallen. Ich starre, bis alles vor mir verschwimmt und als ich blinzle, verweile ich auf dem neuen Kleiderschrank, der nun in unserem Schlafzimmer thront. Der Schrank passt perfekt in unsere Wohnung und ich bin froh über die Wahl der Türgriffe, denn die zuerst favorisierten hätten sich hier nicht so gut gemacht wie gedacht. Es ist eine gute Entscheidung gewesen, in diesem Fall auf Vivien zu hören. Ihr würde der Schrank in dieser Umgebung auch gefallen, ich wollte ihre Meinung hören und doch auch nicht, aber ich wage es nicht ihr ein Foto zu schicken oder sie zu uns einzuladen. Ich schüttle den Kopf, krame meine Schminke zusammen und beginne mich herzurichten.
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Vom Flieder so bunt (gxg)
RomanceLouisa, die von allen nur Lou genannt wird, könnte nicht glücklicher sein. Mit ihrem Freund Sebastian baut sie sich ein gemeinsames Leben auf, entdeckt die Arbeitswelt nach einem partyreichen Studium und plant eine Zukunft, die ihr von der Gesellsch...