Aufgeregt knete ich meine Hände, um ihnen eine Beschäftigung zu geben und nicht zum wiederholten Male mein Handy in die Hand zu nehmen. Bisher kam noch keine Nachricht von Vivien, die heute ihr Gespräch mit Oliver hat. „Du bist unerträglich, wenn du aufgeregt bist", zieht mich Elaine auf, die sich meiner angenommen hat, da ich ein nervöses Wrack bin. „Du wärst an meiner Stelle auch aufgeregt", erwidere ich und zähle wieder einmal die Stunden, seitdem ich nichts mehr von ihr gehört habe. „Sie wird sich melden, gib den beiden Zeit sich auszusprechen", beruhigt mich meine beste Freundin und ich nicke geistesabwesend, „Hilf mir jetzt lieber dabei, mich für ein Kleid zu entscheiden." Elaine hielt es für eine gute Idee Kleider shoppen zu gehen, um mich von dem Gespräch der beiden abzulenken, es klappt mehr schlecht als Recht, aber ich tue ihr den Gefallen und konzentriere mich wieder auf unsere Shoppingtour. „Wie wäre es mit dem Kleid hier?", frage ich und halte ihr ein tiefblaues Kleid entgegen, welches mir bereits vor einigen Minuten aufgefallen ist. Es schmeichelt ihrem leichten Teint, ihren blauen Augen und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es alles an ihr betont, was es zu betonen gibt. „Meinst du echt? Ist es nicht zu gewagt?", sie hält sich das Kleid vor den Körper und begutachtet sich kritisch im Spiegel. „Ich glaube das finden wir nur raus, wenn du es mal anprobierst", ich deute auf eine freie Kabine und mache es mir auf dem Sessel davor gemütlich, „Na los jetzt." Ich scheuche sie lachend hinein, versetze ihr auf dem Weg noch einen Klaps und hole kurz darauf wieder mein Handy raus. Noch immer keine Nachricht – ich stecke es wieder weg und kaue nervös auf meine Lippe herum. Wenn ich so weitermache, ist sie bald wund. „Schau nicht ständig aufs Handy und hör auf deine Lippe zu malträtieren", ruft mir Elaine aus der Kabine zu. Ich prüfe, ob sie mich von dort sehen kann, aber keine Chance, sie kennt mich einfach so zu gut. „Ist ja gut", murre ich und konzentriere mich auf diesen Moment. „Was meinst du, wie viel Spaß wird Ben heute Abend mit uns haben? So ohne männliche Verstärkung?", wechsle ich das Thema und ich höre Elaine schnauben. „Er wird klarkommen, keine Sorge. Er versteht sich gut mit Vivien, er mag sie echt. Ich mache mir da keine Sorgen", beschwichtigt sie mich, dennoch frage ich mich, ob das für ihn nicht trotzdem doof ist. „Ja, daran habe ich keinen Zweifel, aber es ist schon was anderes als sonst", referiere ich und denke an die Zeiten zurück, in denen wir die Abende zu sechst verbracht haben. „Lou, zerbrich dir bitte nicht über alle Eventualitäten deinen Kopf – das wird ein guter Abend und Ben kommt zurecht", ihre Stimme ist durch den Stoff der Abtrennung gedämpft, trotzdem verstehe ich sehr gut, was sie meint, nicht nur akustisch. Ich zerbreche mir zu sehr den Kopf, aber ich stehe unter Strom und weiß nicht wohin mit mir, der heutige Tag verlangt mir viel ab. „Und?", höre ich Elaine frage und schaue in ihre Richtung. Das Kleid steht ihr unglaublich gut und wie von mir vermutet, sitzt es wie angegossen. „Wow", bringe ich mühsam hervor, „Das Kleid steht dir so gut, das ist der Wahnsinn!" Ich geselle mich zu ihr, zupfe an der Hüfte, zumindest versuche ich es, aber der Stoff sitzt wie eine zweite Haut. „Ich sage dir, Ben würden die Augen aus dem Kopf fallen", witzle ich und Elaine lacht beschämt. Sie dreht sich langsam vor dem Ganzkörperspiegel und behauptet dann: „Das Kleid steht mir doch nicht, oder? Sei ehrlich." Nun zupft sie an allen Stellen, die ihr zugänglich sind und ich schlage energisch ihre Hand fort: „Hör auf zu spinnen und zupf nicht am Kleid herum. Es steht dir ausgezeichnet, das war kein Scherz von mir. Du weißt genau, dass ich es dir sonst sagen würde." „Danke, Lou", sie betrachtet sich ein letztes Mal im Spiegel, dann verschwindet sie wieder in der Kabine, „Danke, dass du meine Eigenarten aushältst." „Das kann ich nur zurückgeben", lache ich und genieße es, endlich ein wenig abschalten zu können.
Gute zwei Stunden später sitze ich in meiner Wohnung, Elaine hat mich gerade abgesetzt und es sind nur noch zwei Stunden bis zu unserer Verabredung am heutigen Abend. Ich soll mir keine Sorgen machen, aber noch immer nichts von Vivien gehört zu haben, nagt langsam an meiner Substanz. Die Fragen „Was wäre, wenn", „Wie gehen sie auseinander?", „Wird sie heute Abend in meinen Armen liegen, oder nicht?" belasten mich seit Stunden, aber ich wollte Elaine nicht noch mehr auf die Nerven gehen und habe vorgeschlagen, nach Hause zu gehen. Ich konnte ihr ansehen, wie viel sie davon hielt, aber ich habe sie so gut es geht beschwichtigt. Sie hat genug Zeit mit mir verbracht – ich komme auch allein klar. Ich widme mich meinem Haushalt, schmeiße dazu meine Lieblingsplaylist an und singe aus vollem Hals mit.
Fast hätte ich die Türklingel überhört, doch nach dem dritten Mal realisiere ich, dass es nicht aus dem Lied kommt und eile zur Tür. Aus der Gegensprechanlage ertönt erst keine Antwort, doch als ich Viviens Stimme vernehme, fällt mir ein Stein vom Herzen. Ich drücke den Buzzer so schnell ich kann und erwarte sie aufgeregt an meiner Haustür. Sie schlendert die Treppen hinauf und schenkt mir das ansteckendste Lächeln der Welt. Ich kann nicht anders als es zu erwidern und schließe sie in meine Arme, sobald sie vor mir steht. „Ich habe dich vermisst", nuschle ich in ihr Haar und sauge das Gefühl ihres Körpers in meinen Armen in mich auf. „Ich dich auch", erwidert sie und folgt mir in die Wohnung, „Bist du gerade am Putzen?" Mir entgeht ihr neckender Unterton nicht und ich stecke ihr die Zunge entgegen: „Kann sein, ja. Musste mal wieder sein PLUS es hat mich abgelenkt." „Habe ich mir gedacht", sie nimmt mich sanft in den Arm und haucht einen federzarten Kuss auf meine Schläfe, „Es hat länger gedauert als gedacht, das tut mir leid... Aber ich glaube es war gut, dass Oliver und ich uns diese Zeit genommen haben. Es gab einiges zu besprechen und um es direkt vorwegzunehmen, wir waren beide für eine Trennung. Er hat mir bereits mehr von der Frau aus Stuttgart erzählt und sie gehen bald auf ihr erstes Date, damit hat er extra gewartet, bis wir miteinander geredet haben... Und ich wollte auch ehrlich sein, ich habe ihm von uns erzählt..." Mir fällt ein Stein vom Herzen und ich bin der Überzeugung, dass sie es gehört haben muss, denn sie drückt leicht meine Hand, als wollte sie mich beruhigen. „Und?", bringe ich mühsam hervor, auch wenn ich so viel mehr sagen möchte als dieses eine Wort. „Er hat es sehr gefasst aufgenommen und später noch gemeint, da wäre immer dieser Vibe zwischen uns gewesen. Hat das Natalie nicht auch schon gesagt?", sie legt die Stirn in Falten und ich nicke. „Ja, Elaine hat das auch behauptet... aber dass er es so gefasst aufnimmt, damit habe ich nicht gerechnet", gebe ich zu. „Ich auch nicht, vielleicht liegt es auch an Emma, der Frau aus Stuttgart. Ich glaube sie hat ihm in der letzten Zeit sehr geholfen und dazu beigetragen, die Trennung nicht mehr als ein Unding anzusehen. Diskussionen über eine Trennung hatten wir bereits vor einem Jahr, aber da haben wir uns wieder zusammengerauft, weil man sich nicht einfach trennt. Vor allem nicht, wenn man bereits verlobt ist. Über diesen Punkt sind wir nun endlich hinweg, dafür sind wir beide sehr dankbar. Wenn das für dich okay ist, würde ich ihn fragen wollen, ob er heute Abend dabei sein möchte. Er hat nach Ben und Elaine gefragt... ich habe aber nichts über unser Treffen verraten, weil ich mir vorstellen könnte, dass es für dich nicht angenehm ist. Deshalb frage ich dich hier und jetzt", erwartungsvoll blickt sie mich an und ich versuche, nicht all meine Emotionen sichtbar offenzulegen. Das sind viele Informationen auf einmal – da ist Freude in mir, Unsicherheit, Geborgenheit und doch auch ein Hauch von Eifersucht, obwohl ich keinerlei Grund dazu habe. Den heutigen Abend habe ich als Pärchenabend verbucht, tief in meinem Innersten ist es mein Wunsch gewesen, sich endlich wie ein Paar verhalten zu dürfen, mit Oliver in der Nähe, würde ich darauf allerdings verzichten. Ich mag Oliver und würde ihm nicht seine Freunde streitig machen wollen, ich habe sie in unseren Freundeskreis mit aufgenommen und nun egoistisch an die Sache heranzugehen, wäre nicht fair, vor allem nicht, wo das Gespräch so gut verlaufen ist. „Frag ihn ruhig", nun drücke ich ihre Hand in meiner und sehe wie ihre Schultern erleichtert ein Stück hinabfallen, nicht nur ich schien nervös gewesen zu sein.Keine zwei Stunden später sitzen wir beim Inder und warten auf den Rest der Truppe, Vivien hält meine Hand und ich erwarte voller Anspannung die Ankunft der anderen. Wie sich ihr Verhalten wohl ändern wird, sobald Oliver zu uns stößt? Gegen meine Erwartung lässt sie meine Hand nicht los als er wenig später um die Ecke biegt. Sein Blick wandert zwar kurz zu unseren verschränkten Händen, aber ich erkenne nichts als Wohlwollen in seinen Augen. Sein Lächeln erreicht seine Augen und er schließt mich in seine Arme, als wäre nie etwas gewesen. „Schön dich wiederzusehen", begrüßt er mich und umarmt kurz darauf Vivien. Die Umarmung fällt kurz und knapp aus, doch mit seiner Art und Weise, nimmt er mir Stück für Stück die Eifersucht. „Gleichfalls", sage ich und bedeute ihm Platz zu nehmen, „Ben und Elaine müssten auch gleich kommen." „Sehr schön und danke, dass ich dabei sein darf", dankend nickt er und ich rüge mich innerlich, ihm so böse Absichten zugeschrieben zu haben, „Das ist nicht selbstverständlich, das weiß ich, umso dankbarer bin ich hier sein zu dürfen." Ich schlucke und mir fehlen die Worte, Vivien scheint meine Unsicherheit zu spüren und springt für mich ein: „Sehr gern, außerdem konnten wir dir den Inder nicht vorenthalten, du hast es hier immer sehr gemocht." „Das stimmt", er schaut sich um und bedenkt uns kurz darauf mit einem eindringlichen Blick, „Ich möchte nur sagen, ich bin vollkommen okay mit der Situation... Nicht, dass ihr deswegen streitet oder so..." Irritiert schaue ich ihn an und danach Vivien, auch sie scheint etwas sprachlos über seine Selbstlosigkeit zu sein und nun bin ich es die einspringt: „Ich danke dir für deine Ehrlichkeit und deinen Umgang mit der neuen Situation, es ist wohl nicht nur für uns nicht so einfach. Danke, Oliver." Er nickt und schenkt mir ein aufrichtiges Lächeln: „Man merkt einfach, wenn es Zeit ist weiterzuziehen – und ich erkenne, wie glücklich du Vivien machst. Das ist alles, was ich mir immer für sie gewünscht habe. Und vielleicht, ja ganz vielleicht, kann ich beim nächsten Mal ja auch jemanden mitbringen." „Gerne", ich streiche mit dem Daumen über Viviens Handrücken und danke ihr innerlich für einen so loyalen und korrekten Menschen in ihrem Leben, er ist das Gegenteil von Sebastian, ein guter Mensch, mit aufrichtigen Intentionen, „Ah, da vorne sind sie." Elaine und Ben biegen um die Ecke und steuern zielstrebig auf uns zu, ich sehe, wie sie kurz die Situation zwischen uns abschätzen, aber als sie keine negativen Vibes wahrnehmen, entspannen sie sich sichtlich. „Na hallo zusammen", flötet Elaine und schließt uns nacheinander in die Arme. Ben klatscht Oliver ab und verfällt mit ihm keine zwei Minuten später in einen intensiven Plausch über Sport. Wir Frauen haben andere Themen und trotz der neuen Dynamik zwischen mir und Vivien, fühlt es sich nicht komisch an und ich hoffe inständig, dass es auch für Elaine nicht unangenehm ist.
„Auf deinen neuen Job!", ruft Vivien und erhebt ihr Glas, „Es freut mich so sehr, dass es bei Gercher geklappt hat!" „Danke, ich freue mich auch so sehr auf einen Neuanfang! Und da sollte ich meinen Dank auch an dich, Oliver, aussprechen. Ohne dich, hätte ich mich dort nie beworben!", ich erhebe ebenfalls mein Glas, halte es in die Mitte und wir stoßen auf meinen neuen Job an. „Wir freuen uns so für dich", stimmt Ben mit ein und sie fragen mich über das Telefonat mit dem Personaler aus. „Und wie hat Michael reagiert? Du hast doch schon diese Woche gekündigt, oder?", hakt Elaine nach und ich wippe zaghaft mit dem Kopf. „Sonst hätte ich die Kündigungsfrist nicht mehr einhalten können. Gercher hat sich etwas Zeit gelassen und somit musste ich meine Kündigung noch in dieser Woche abgegeben, da gestern der 31. war", erkläre ich, „Und Michael hat erst überhaupt nicht reagiert, bisher gab es auch kein Gespräch oder ähnliches... Er erledigt das subtiler, mit viel Arbeit." Ich verdrehe die Augen und ernte einen erbosten Lacher von meinen Freunden, sie kennen Michaels Art mittlerweile nur zu gut. „Wie gut, dass du dort bald weg bist. Die drei Monate gehen auch schnell um", Viviens Hand fährt an der Seite meines Oberschenkels entlang und ich presse meine Lippen aufeinander, um kein Geräusch von mir zu geben, „Und dann hast du ja auch noch Urlaubstage und Überstunden, lange wirst du die Firma nicht mehr von innen sehen."
„Ich bin wirklich froh, dass du mit deinen Bewerbungen am Ball geblieben bist, du bist dort so unglücklich", murmelt Elaine und langsam driften unsere Gesprächsthemen wieder auseinander. Ben und Oliver tauschen sich über ihre Übungen im Gym aus, während wir meinen Job thematisch ad acta legen. „Ich auch, ich merke schon jetzt, wie es mir besser geht. Was es allein ausmacht zu wissen, dass ich dort bald nicht mehr bin", erwidere ich und erblicke unser Essen in den Händen unseres Kellners, „Unser Essen kommt!" Die Gespräche verstummen und wir machen uns hungrig über das leckere Essen her – wir verbringen einen ausgeglichenen und sehr angenehmen Abend miteinander, etwas, was ich zu Anfang nicht erwartet habe.
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Vom Flieder so bunt (gxg)
RomanceLouisa, die von allen nur Lou genannt wird, könnte nicht glücklicher sein. Mit ihrem Freund Sebastian baut sie sich ein gemeinsames Leben auf, entdeckt die Arbeitswelt nach einem partyreichen Studium und plant eine Zukunft, die ihr von der Gesellsch...